Durch diese Ausnahme, die w ir bisher nur bei den Attinen finden, wird es verständlich,
daß gerade in älteren Nestern so viel Zwerge vorhanden sind, wie sich ja auch aus den
Kurven ergibt; da, wo Pilzgärten mit ausgezählt worden sind, ü b e r w i e g t meist die Zahl
der Zwerge (z. B. Tabelle 20), und ebenso dann, wenn wir den Messungen die Puppen zugrunde
legen, wie ich dies einige Male tat, um möglichst Tiere gleichen Alters zu haben
(Tabelle 23, Nr. 4—6). Die dabei ebenfalls gefundenen Mittel- und Großformen zeigen, daß
bei Acromyrmex nicht n u r kleine Eier abgelegt wurden, sondern solche verschiedener
Größe, womit auch die Beobachtung der lebenden und die Anatomie der toten Weibchen
übereinstimmt. Daß bei anderen Ameisen die Zwerge kaum eine Rolle spielen, beweisen
die Kurven von Lasius und Solenopsis (Kurve 1 und 19/21). Dort würden die vielen kleinen,
doch nicht ganz vollwertigen Tiere allerdings auch eine Belastung darstellen, während bei
den Attinen wiederum die Pilzzucht ohne sie nicht denkbar ist. Vielleicht würden aber
auch sie wiederum ohne Pilzzucht nicht in solchen Massen da sein, weil sich ja immer wieder
zeigte, wie hinfällig sie sind und wie leicht sie unter dem Einfluß auch nur wenig veränderter
Bedingungen absterben.
Aus den Kurven der Attinen geht weiterhin hervor, daß die Zwerge meist eine feste
in sich geschlossene Gruppe darstellen, derart, daß sogar die Linie zur nächsten Gruppe
oft a b r e i ß t (vgl. z. B. Tabelle 9 sowie die Kurven 3, 6f, 7 f , 8b). Dies zeigt, daß wir es
bei ihnen wirklich mit einer Spezialkaste zu tun haben, die ja auch bei Atta morphologisch
durch die kleinen Augen und die verhältnismäßig großen Fühlerglieder sich von den anderen
hervorhebt, und ebenso physiologisch und psychologisch durch Bevorzugung bestimmter
Arbeiten.
Die Kurventeile, welche die Zwerge umfassen, zeigen weiterhin ganz den Charakter
einer normalen Variation; d. h. die blastogen in bestimmter Weise ausgeprägten Tiere sind
unter sich verschieden groß. Dies liegt sicher an der Ernährung. Auch bei den Zwergformen,
die aus den Erst-Eiern von Pheidole und Solenopsis schlüpften, machte die Ernährung
etwas aus, derart, daß die von Arbeitern mitgefütterten Larven ein wenig größer sind als
die, welche nur auf die Königin allein angewiesen waren. Auch die aus kleinen Eiern der
jungen Acrom.-striatus-Jiömgm Nr. 151 gezüchteten Tiere stellen keine kleinen Zwerge dar,
so einwandfrei ihr Zwergcharakter sonst auch ist, und zwar deswegen, weil die K ultur sehr
g’ut gefüttert wurde und unmittelbar darauf dort auch der erste Gigant erschien.
Die Mittel- und Großformen der Arbeiterkaste sind darin einander gleich, daß sie auf
ein und denselben Eityp zurückgeführt werden müssen; die normalen Eier, wie wir sie
nennen können. Die also, welche bei der Mehrzahl der Ameisen für die große Masse der
Arbeiter allein in Betracht kommen. Daß es bei diesen Eiern nun noch zu einer besonderen
Größenausbildung kommt zur Entstehung der Giganten, ist t r o p h o g e n bedingt, hängt
also von der Fütterung ab und zwar von der Fütterung in ganz bestimmtem Augenblick.
Nur eine ganz kurze Zeitlang stehen sie in Bereitschaft und reagieren nur dann auf den auslösenden
Futterreiz. Besonders aufschlußreich waren Eier für Versuche an europäischen
und amerikanischen Vertretern der Gattung Pheidole; hier stehen kleine Arbeiter mit normalen
Köpfen und große Soldaten mit Riesenschädeln übergangslos nebeneinander. Läßt
man Larven zu ganz bestimmter Zeit, und zwar am Ende des zweiten Stadiums, also am
vierten bis fünften Tag der Gesamtentwicklung, konzentrierte feste Eiweißnahrung fressen,
so wachsen sie plötzlich mächtig heran, und solche Riesenlarven liefern stets Soldaten mit
großen Schädeln. Wird dieser Augenblick jedoch versäumt, dann entstehen nur kleinköpfige
Arbeiter. Durch starke oder geringe Fütterung kann man höchstens auf die Körpergröße
einwirken, so daß also neben Normalarbeitern vielleicht Großarbeiter entstehen, in gleicher
Weise wie bei reicher Fütterung nach der Determinierung auch Großsoldaten gebildet
werden können.
Dort glückte es auch, die in der Natur nicht vorkommenden Übergangsformen zwischen
Arbeitern und Soldaten gleichsam zu „konstruieren“. Es gelang dies dadurch, daß ich
in Kulturen mit Zuckerfütterung, bei der nie Soldaten entstehen, einige Fleischbrocken (Insektenteile)
hineingab, und die fressenden Larven dann störte.
Diese letzten Ergebnisse sind deshalb wichtig, weil bei anderen Ameisen solche Übergangsformen
zwischen Arbeitern und Soldaten normalerweise Vorkommen, wie bei Messor,
Solenopsis, Camponotus und eben gerade bei den Attinen. Bei allen diesen Gattungen ist,
wie die Versuche ergaben, die Entwicklungszeit sehr viel länger als bei Pheidole (vgl. Tabelle
32); insbesondere dauert das für die Determination so wichtige späte zweite Larvenstadium
hier nicht ein bis zwei Tage, sondern eine Woche und mehr. Dadurch wird die
Möglichkeit der Störung und des Futterwechsels viel größer; die L arven können m eist nicht
die ganze Zeit über an einem Brocken sitzen bleiben und wachsen infolgedessen nicht so
stark heran. Bei sehr viel F u tter und einer großen Zahl von Pflegern ließen sich auch bei
allen oben angeführten Arten Großtiere heranziehen, aber nur, wenn die Kulturen sehr
ruhig standen (vgl. Kurve 21 von Solenopsis). Wurden die Kunstnester oft untersucht und
dadurch gestört, so gab es selbst bei günstigen Bedingungen nur kleine Arbeiter, die sonst
nur bei schlechter Fütterung entstanden; Giganten fehlen dann immer.
Daß die Attinen sich wirklich so verhalten wie die bisher etwas genauer untersuchten
Solenopsis und Messor, zeigten alle Zuchten. In Patquia konnte ich die Zahl der Riesen dadurch
vermehren, daß ich nur wenig junge Larven von Acrom. striatus mit viel Pflegern
und großen Pilzgärten zusammentat und den Tieren außerdem noch zerquetschte Puppen
gab, die, wie wir sahen, stets gern gefressen und verfüttert wurden, wovon ich mich dort
wie auch bei den in Breslau gehaltenen Kulturen überzeugen konnte. Diese Versuche sind
denen von Messor unmittelbar an die Seite zu stellen, bei denen zwei beliebig ausgesuchte
Larven mit 150 Pflegern zu Riesen heran wuchsen, während zu gleicher Zeit in zwei anderen
Kulturen 75 Pfleger mit je 150 und 250 Larven nur kleine Arbeiter lieferten (vgl. G o e t s c h
1937, S. 132/33). Daß die Eier in diesem Falle sämtlich von ein und demselben Weibchen
aus derselben Zeit stammten, machte die Ergebnisse noch eindeutiger.
Aus den E iern derselben Messor-Königin ließen sich in demselben Jah re auch eine große
Zahl echter Weibchen auf ziehen. Es handelte sich bei dieser Königin auch um eine ältere,
aus einer Riesenkolonie (von Vivara) stammenden Königin, und nicht um ein Tier, das im
Kunstnest den Staat gründete. In solchen jungen Staaten von Pheidole, Solenopsis und
anderen Ameisen ist es mir bisher noch nicht geglückt, Weibchen zu erzielen, auch nicht
unter optimalen Bedingungen, und ebensowenig bei Acromyrmex, deren Staaten allerdings
auch erst 18 Monate a lt sind. Die Giganten zeigen, wie schon verschiedentlich hervorgehoben
ist, eine gewisse Ähnlichkeit mit den echten Weibchen. Sie sind auch ähnlich widerstandsfähig
wie diese, so daß sie äußere widrige Einflüsse am besten aushalten können. Daher
kommt es, daß sie in Nestern, die in ungünstigere Bedingungen geraten, am längsten leben
bleiben. Bei Termiten ist es gerade umgekehrt; dort sterben z. B. bei Futtermangel zuerst
die Soldaten (Goetsch 1936), und auf diese Weise reguliert sich das Verhältnis von Arbeiter
zu Soldat. Dies ist sicher sehr zweckmäßig; daß wir uns aber hüten müssen, diese Zweckmäßigkeit
als U r s a c h e aufzufassen, lehren eben die Attinen: dort bleiben gerade die Tiere
am Leben, welche am wenigsten arbeitsfähig sind. Und beides geschieht auf Grund morpho-
Zoologica, Heft 96. 11