schieht. Man sieht hier wie so oft den Endpunkt verschiedener Vorgänge; man sieht weiterhin,
daß er nützlich ist, und schließt auf bewußte Absicht. Selbstverständlich ist es auch für
die Attinen nützlich, aus unterirdischen Stollen auszuschwärmen und die umliegenden Bäume
heimzusuchen, da oberirdische Wege gefährlicher sind. Daß man aber den Ameisen doch
ein wenig viel zutraut bei der Annahme, die Kanäle seien absichtlich zu einer bestimmten
Stelle vorgetrieben, macht man sich nicht ganz klar: G e f u n d e n kann ja die Nahrungsquelle
nur oberirdisch sein; die Erkunder müßten also b e r i c h t e n , wo sie etwas entdeckten,
und veranlassen, daß nun u n t e r i r d i s c h in dieser Richtung Stollen vorgetrieben
würden! Wie gesagt viele Meter weit, und oft zu Bäumen, die es auch in Nestnähe gibt!
Die E rklärung liegt eben darin, daß auch hier wie bei anderen Ameisen unterirdisch gebaut
wird. Kommen dann die Tiere an irgendeiner Stelle an die Oberfläche, so beginnen sie zu
erkunden; finden sie etwas, so wird eingetragen, und zwar zu den Ausgängen der Stollen,
in welchen dann der'Transport bis ins Nestinnere geht.
Wie kommt es nun aber, daß die Attinen so oft die Plätze wechseln? So wie dies Reh
erzählt und auch ich anführte? Wenn bei einer einmal begonnenen Arbeit die Tiere immer
arbeits- und ortsstet bleiben, wäre dies ja nicht zu erklären. Es kann dieser Wechsel in verschiedenen
Dingen begründet sein. Einmal kann eine Unterbrechung durch Witterung und
andere Umstände eintreten, so daß die Ameisen eine begonnene Arbeit nicht vollenden; oder
es können Finder neuer Quellen so stark alarmieren, daß auch stärker beschäftigte Schleppzüge
mitgerissen werden. Daß meist verschiedene Arbeitsgruppen zu gleicher Zeit verschiedene
Arbeiten ausführen, werden wir noch später sehen; hier sei schon erwähnt, daß
auch Schleppzüge nach einer Reihe verschiedener Seiten ausgehen können, wie ich es am
schönsten bei einem großen Nest von Acrom. lundi bei Zapala sah (in der Gegend, die in
Abb. 14b wiedergegeben ist), wo zu gleicher Zeit 6 große Straßen zu dem Nestbau führten.
Es zeigt sich aber auch bei der genauen Beobachtung der Schleppzüge, daß nicht alle
Tiere gleichmäßig zum Sammeln hinauseilen. Manche weichen von der Straße ab, wie wir
ja schon früher beschrieben, laufen zurück oder seitwärts umher u. a. m. Solche Tiere sind
dann manchmal als die „Führer“ oder „Ordner“ der Züge beschrieben worden, und in der
Tat hat man leicht diesen Eindruck, besonders wenn es sich um Giganten handelt. Gerade
solche Riesen sind nun aber stets recht wenig arbeitsstet, sondern wechseln oft die Tätigkeit,
wie dies schon bei Messor festgestellt wurde (Goetsch, 1937, S. 108). Solche mehr
unsteten Tiere laufen hierhin und dahin, räumen vielleicht auch im Weg liegendes auf
und verbessern dabei die Straße; und auf ihren Abwegen geraten sie dann vielleicht an
Stellen, die viel aussichtsreicher sind als die, an welchen die anderen mehr oder weniger
stur arbeiten. E rregt sie eine gefundene bessere Stelle besonders stark, so alarmieren sie
die Genossen, so daß sich dann der Weg zur neuen Futter- oder Sammelstelle wendet.
Wir haben einen Vertreter der einen sowie der anderen Gruppe schon bei Acrom. lundi
kennen gelernt; das eine Tier bemühte sich über eine Stunde immer mit demselben Blattstück,
das andere wechselte dauernd. Daß letztere oft alte und große, erstere kleine und
junge Tiere sind, sei noch hinzugefügt.
F ü r den Gesamtstaat sind beide „Temperaments-Typen“ wichtig. Ohne die arbeits-
und ortssteten Fanatiker würde eine Proviantquelle nicht restlos ausgenützt, die Brut zugunsten
anderer Arbeiten vernachlässigt u.a.m.; ohne die unsteten Flatterhaften wird aber
nichts Neues unternommen; nur weil sie der einen Arbeit nicht treu bleiben, sondern umherstromern,
finden sie das Gute, das oft so nah liegt. Und weil sie meist große und alte
Tiere sind, können sie sich den Gefahren, die sich durch das Herausbewegen aus der Masse
ergeben, besser entgegentreten — ganz abgesehen davon, daß es für den Gesamtstaat kein
so großer Verlust ist, wenn sie nicht zurückkehren, da es eben meist alte Tiere sind.
Wie nötig beide Temperamente sind, merkt man gelegentlich in den Kunstnestern:
Fehlen die einen, dann kann es Vorkommen, daß in einem Nest von nur Arbeitssteten lieber
die Brut aufgefressen wird, als daß die Tiere in die Außenwelt hinausgehen, und ist ein
Nest nur von Unsteten besetzt, dann verkommt die Brut oder der Pilzgarten.
Daß die Ameisen verschiedene Temperamente und verschiedene psychische Eigenschaften
besitzen, wird nur der sonderbar finden, der sich mit Tieren noch nicht eingehend
befaßte; wer es tat, wird dann aber auch nicht überrascht gewesen sein, daß auch bei ihnen
Körperbau und Charakter im Sinne K retschmers im Einklang stehen, wie wir es eben
andeuteten. Wir müssen aber deshalb keineswegs den Ameisen ein logisches Schlußvermögen
zuerkennen, wie es sonderbarerweise oft gerade von denselben Leuten geschieht, die
eine Auffassung von der individuellen Veranlagung eines Insekts belächeln.
7. Alarmierung.
Alarmierung habe ich sowohl im Freien wie im Kunstnest sehr oft festgestellt; sie
geht, allgemein gesprochen, in der Art von Messor vor sich, denen wenigstens die Acro-
myrmex so oft in auffallender Weise ähneln. Sie haben jedenfalls ein ganz ähnliches
Temperament, und so kommt ein gewaltsames Stoßen mit Kopf und Füßen sowie ein
wildes Umhertanzen aufgeregter Arten wie Acantholepis, Dorymyrmex u. a. m. kaum vor.
Beobachtet wird vielmehr ein Schnieken und Zittern des Körpers bei geringerem Alarm,
und ein Anstoßen mit Fühlern und vielleicht auch mit dem Kopf bei einer stärkeren E rregungsstufe.
Gefahralarm erfolgt auch hier mit weit geöffneten Mandibeln, und nur in solchem
Fall sieht man ein aufgeregtes Tier wilder umherlaufen. Wie sich im einzelnen die
Alarmierung auswirkt, sei an einigen Beispielen erläutert.
Von Foz do Iguazü (Brasilien) hatte ich eine Anzahl Acromyrmex disciger mitgebracht und in einer weiten Glastube
angesiedelt (5. X.). Diesen Tieren gab ich am 5. X. 15.30 Uhr einen Tropfen dicker Zuckerlösung. 15.35 Uhr kam die erste zum
Zucker, und bis 15.44 Uhr gesellten sich noch 4 dazu, die alle eifrig saugten. Weitere 4 wurden zur Beteiligung aufgefordert,
und zwar dadurch, daß die halbvollgesogenen Finder kleine Umgänge machten und die langsam herumwandernden
Genossen durch Fühlerschläge in schnellere Gangart brachten. Sie begannen dann zu suchen und fanden sich bald an der
Freßgruppe ein, zu der auch die Alarmierenden zurückkehrten. Nach gefülltem Kropf verließen dann einige Acromyrmex
die Gruppe, jetzt noch viel aufgeregter, und alarmierten aufs neue, infolge der Enge des Raumes auch andere bereits Gesättigte,
denen sie Zucker abzugeben suchten.
Ein zweiter Versuch mit Acromyrmex disciger (Iguazü, 6. X.) verlief in völlig gleicher Weise.
Bei Acromyrmex lundi ging ein Alarm in folgender Weise vor sich: An ein Gipsnest mit 26 Tieren schloß ich am
13. X. 10.10 Uhr eine Glastube an, in die ich Papier mit Zuckersaft gab. Diese Futterquelle wurde von einigen das Neue
untersuchenden Tieren gefunden, so daß 10.16 Uhr bereits 8 Acromyrmex fraßen. Auch hier wurden durch halbgesättigte
Tiere noch andere hinzugeholt, die in der Nähe umherliefen. Eine stärkere Stufe des Alarms trat ein, als eine gesättigte
Ameise nestwärts lief. Sie traf zunächst auf eine Genossin, die nur einen Fühler besaß, und alarmierte sie durch Antennenschläge.
Die Verletzte geriet sofort in heftigere Erregung und suchte sichtlich eine Spur. Sie benahm sich dabei so, wie ich
es schon bei Termiten mit nur einem Fühler beschrieb; d .h. sie hielt den Kopf schräg, so daß der einzige Fühler nach
vorn gerichtet war, und tastete einmal rechts, einmal links. Die Alarmierende lie f indessen weiter, und traf eine Gesellschaft,
die dicht gedrängt in einer Ecke saß, wie man es oft bei den Attinen finden kann. Der Vorgang des Alarms selbst
Avar nicht deutlich sichtbar, wohl aber der Erfolg. Die Versammelten erhoben die Köpfe und öffneten die Mandibeln,
sichtlich in ihrer Ruhe gestört, und begannen dann sich gemeinsam mit geöffneten Kiefern in Bewegung zu setzen. Alle
7 Tiere nahmen s o f o r t den Weg zur Tube. 4 fanden, immer noch mit erhobenem Kopf und „windenden“ Antennen, das
Loch zur Tube, das ihnen ja noch gar nicht bekannt war. 3 dagegen verfehlten es und suchten weiter; eine von ihnen hatte
auch unmittelbar darauf Erfolg. 10.29 Uhr waren auf ähnliche Weise weitere Tiere alarmiert, und 22 hatten sich an dem
Futter versammelt. Auch die letzten 4 wurden schließlich von gesättigten Heimkehrern alarmiert, und 3 fanden, in gleicher
Weise wie oben beschrieben, noch zum Futter.