Nach dem Gesagten wird also auch von Acrom. lobicornis ein riesiges Gebiet bewohnt,
das vom Rio Negro bis in die Nordwestprovinzen und sogar bis nach Misiones reicht.
Wenn hier Misiones genannt wird, kann es sich nur um trockene Gebiete dort handeln; ich
selbst fand sie in der Urwaldregion jedenfalls nicht. Dort ist vielmehr das Reich brasilianischer
und paraguayischer Acromyrmex-Arten (Acromyrmex hispidus Sants; Acromyr-
mex crassispinus u. a. m.), die sich wenigstens biologisch um den Rassekreis von Acromyrmex
disciger scharen. Diese Ameisen gehen noch tief in den Urwald hinein, wenngleich
sich die Nester auch stets m ehr an den R ändern finden; sie finden also durch die Anlage von
Picadas, Plantagen und Ansiedlungen immer günstigere Bedingungen. Möller bildet übrigens
auch ein Nest ab, das erhaben über dem Erdboden auf einem Baum liegt. Dies zeigt,
daß manchmal die Nester auch ganz ungewöhnlich angelegt sein können. Auch ich fand
einmal ein Nest der roten Acromyrmex rugosus Sm. von Patquia ganz hoch gelegen: auf dem
Gästehaus, das in Abb. 7 wiedergegeben ist. Die Tiere mußten infolgedessen ihre Blattlast
weite Strecken nach aufwärts schleppen, und taten dies auch des Nachts in langen Zügen.
Bemerkenswert war m ir übrigens bei der Beobachtung dieser Form folgendes: Beim Fangen
liefen die in eine Tube eingesetzten Ameisen sofort nach oben, ganz im Gegensatz zu anderen
Acromyrmex-Arten; man mußte die Tube dauernd schütteln, um sie am Herausklettern zu
verhindern. Hatte ich sie in einer Tube gemeinsam mit Acromyrmex striatus eingesetzt, so
waren die roten alle sofort oben, die striatus am Boden. Ob eine anatomische Besonderheit
vorliegt, die sie zu besserem Klettern befähigt, oder nur eine Gewohnheit, ist ganz ungewiß.
Wie weit der Rassenkreis von Acrom. disciger und der übrigen brasilianisch-paraguayischen
Formen nach Norden geht, bleibt noch festzustellen; ich selbst habe Material von
Rio de Janeiro (Corcovado), Santos, Puerte Alegre, Sta. Catharina und Misiones.
3. Besonderheiten von Einzeltier und Gesamtstaat.
Die Blattschneider-Ameisen gehören sämtlich zur Familie der Knoten-Ameisen oder
Myrmicinen, den Formen also, denen neben der einheimischen Gattung Myrmica auch
Pheidole, Solenopsis, Monomorium, Tetramorium zugerechnet werden, die ich im folgenden
deshalb auch oft als Ergänzung heranziehen muß. Die größte Ähnlichkeit besteht indessen
mit der Gattung Messor, den körnersammelnden Ameisen, welche in Europa und Asien eine
Höchstform staatlichen Lebens erreicht haben, sowie auch mit den ähnlich lebenden Pogono-
myrmex in Amerika. Die ganze etwas bedächtige A rt des Orientierens, des Marschierens in
langen Zügen, sowie des Sammelns von Vorräten ist oft überraschend gleich; es sind
Ameisen, welche hauptsächlich Pflanzenteile eintragen, im Gegensatz zu den meisten mehr
jagenden anderen Formen.
Der Staat besteht hier wie bei den meisten Ameisen zunächst aus einer Königin.
Manchmal sind auch mehrere vorhanden, aber das ist wohl eine Ausnahme und darauf
zurückzuführen, daß sich die Königinnen weit voneinander an verschiedenen Neststellen
befinden. Die Königin ist einmal im Leben befruchtet worden von einem der geflügelten
Männchen, die nur zu gewissen Zeiten im Nest auf treten. Sie ha t dann die vorher vorhandenen
Flügel abgeworfen und mit der Eiablage begonnen. Wie dies im einzelnen geschieht,
wird später zu behandeln sein.
Die Hauptmasse der Nesteinwohner besteht aus den Arbeiterinnen, die bei allen Attinen
in verschiedenen Größen Vorkommen (Abb. 18—20). Der Polymorphismus der Arbeiterkäste
ist ganz ungeheuer; bei der Gattung Atta selbst schwankt die Länge von 2 bis 15 mm,
und erreicht auch bei den kleineren Acromyrmex noch Ausschläge von 2—10 mm.
Auch die Gestalt der einzelnen Arbeiter ist sehr verschieden. Bruch konnte dies für
Atta vollenweideri beschreiben, und E idmann hat für A tta sexdens die Unterschiede erneut
zusammengestellt, so daß ich mich auf Hinweise beschränken will. Von Interesse sind beispielsweise
die Unterschiede bei den Auge n. Die kleinsten Zwergtiere besitzen bei Atta
vollenweideri nur 12—15, bei Atta sexdens sogar nur 2—3 Fazetten. Auf dieser geringen
Funktionstätigkeit beruht vermutlich auch, daß diese Kleintiere nur selten und ungern an
der Erdoberfläche erscheinen, sondern im Nest bleiben; aber nicht umgekehrt, wie oft dargestellt
wird, daß nämlich die verborgene Lebensweise die Reduktion der Lichtsinnesorgane
bedingt. Die größten Angehörigen der A rbeiterkaste, die G i g a n t e n oder auch S o l d
a t e n, haben dagegen recht große Augen, und es ist bemerkenswert, daß sie bei Atta
sexdens sogar Ocellen wie die Weibchen besitzen. Immerhin stehen aber auch die Giganten
den Weibchen an Größe der Augen sehr nach.
Ähnlich wie bei den Augen ist es mit den Mandibeln, die bei den kleinsten Formen
nicht nur absolut, sondern auch relativ kleiner und schwächer sind. Auch hier nimmt E id -
mann an, daß dies funktionell bedingt sei; d. h. daß die kleinen Tiere feine subtile Werkzeuge
zur Pilzbearbeitung benötigen (und deshalb wohl auch erhalten haben), während die
großen wiederum starke Waffen sowie kräftige Schneideorgane brauchen, d ami t sie zum
Verteidigen und Sammeln benützt werden. Auch hier scheint mir eher die umgekehrte
Auffassung richtiger zu sein.
Bei A tta sexdens variieren weiterhin die Antennen sehr: sie erscheinen bei den Kleintieren
dadurch keulenförmig, daß letztes und vorletztes Glied verdickt sind, während diese
Verdickung bei den mittleren und großen fehlt. Unzweifelhaft ist diese Verstärkung der
letzten Fühlerglieder sehr zweckmäßig, da sie einen Ersatz für die reduzierten Augen bietet.
Interessant ist, daß Übergangsformen zwischen den beiden Fühlertypen f ehl en. Wir
werden später sehen, daß die Kleintiere auch entwicklungsgeschichtlich anders aufzufassen
sind als die großen.
Unterschiede gibt es weiterhin in der Stärke des Chitinpanzers; dies p rägt sich auch
in der Färbung und in der Bedornung aus, die bei den Großtieren am Kopf und Rumpf
außerordentlich stark sein kann (vgl. Abb. 18); so stark, daß ein „Angreifen“ im wahren
Wortsinn sehr unangenehm sein kann.
Die starke Bepanzerung schützt die Tiere auch außerordentlich beim Herabfallen von
den Bäumen oder beim Einsturz von Nestteilen. Untersuchungen, die ich anstellte, zeigen
jedenfalls, daß die Härte des Panzers schon bei den kleineren Acromyrmex lundi sehr groß
ist. Wenn bei der Fütterung oder Reinigung meiner Gipsnester die große schwere Glasplatte
auf ausbr'echende Acromyrmex lundi herabfiel, entstand dadurch nie ein Schaden;
bei Aufheben der Glasplatte lief das Tier stets unverletzt davon. Wollte man auch nur
kleinere Tiere unter der Glasplatte zerdrücken, so bedurfte es immer einer gewissen Kraft.
Um sichere Zahlen zu erhalten, wurde dann Acromyrmex lundi zwischen 2 Glasplatten
von D iapositiven gebracht, und die obere Platte dann nach und nach vorsichtig immer stä rker
belastet. Die genauen Ergebnisse der Versuchsserien sind bereits früher veröffentlicht
(Goetsch 1938); wenn man beispielsweise 3 frisch getötete Acromyrmex mit 2250 g belastet,
wurden zwar Stacheln zerbrochen sowie Köpfe abgepreßt; der eigentliche Hautpanzer
blieb dagegen völlig intakt. 3 lebende Tiere liefen nach einer Belastung mit
20 Diapositiven (= 900 g) bei Aufheben der Belastung völlig unbeschädigt davon. In die