Auf einer Plantage waren mehrere große Tungsträucher, alle gegen das Aufsteigen
der Attinen in der Art der Abb. 5 geschützt, in Blüte, und der Wind hatte bei einigen Sträu-
chern Blütenblätter sowie Blüten selbst in Massen heruntergeweht. Nach einer solchen Stelle
zog über eine Straße hinweg ein großer Zug von Schleppern, und alle kehrten mit Blütenteilen
beladen wieder zurück. Hier war also in der üblichen Weise die Tätigkeit in vollem
Maße im Gange, und das Besondere dabei war, daß der Zug an einer Reihe von Tung-
bäumen vorbeiging, unter denen e b e n f a l l s Blütenteile umherlagen. Die Bevorzugung
des einen Bäumchens ist nur so zu erklären, daß eben gerade zu d i e s e r Stelle ein Pfadfinder
hingekommen war und von dort aus alarmierte, nachdem er die aufregende E ntdeckung
gemacht hatte.
Mit Atta vollenweideri endlich konnte ich erleben, daß Schleppzüge, die in einer Nacht
vorher die Bäume der Abb. 22 geplündert hatten, plötzlich zu einem Quebracho-blanco-Baum
überschwenkten, der zu blühen begann. Auch hier waren durch Wind die Blüten in Massen
herabgeweht und von einigen ^4iia-Arbeitern gefunden worden. Deutlich ließ sich dort eine
immer stärkere Zunahme der Arbeiter feststellen, die dann in Massen erschienen und nach
dem Aufsammeln der am Boden liegenden Blüten schließlich den Baum bestiegen. Dort
begann schließlich das Schneiden von Blüten, und als der Hauptschwarm von dem Nachbarbaum
abließ und zu dem Quebracho hingelenkt worden war, auch das Zertrennen der Blüten.
Da sich diese letzte Beobachtung bis tief in die Nacht hineinzog und zuletzt mit der
Taschenlampe vor sich gehen mußte, waren Einzelheiten dieser Vorgänge nicht feststellbar.
In Verbindung mit den früheren Ergebnissen sowie den noch zu besprechenden Versuchen
der Kunstnester läßt sich aber jetzt sagen, wie die Arbeit begonnen und wie sie
ausgerichtet wird: Die aus dem Nest auslaufenden Ameisen erkunden erst einmal die Umgebung
und beginnen dann zu suchen. Haben sie etwas gefunden, was gerade ihnen irgendwie
brauchbar erscheint, so tragen sie es ein, und zwar still für sich, so etwa wie eine Biene,
die nur eine spärliche Trachtquelle entdeckte. Findet eine Attine dagegen etwas Aufregendes,
das einer reichen Trachtquelle der Bienen oder einem neuen Futterplatz anderer Ameisen
vergleichbar ist, so gerät sie wie diese in Erregung. Durch diese Erregung wird der
Alarm ausgelöst, und mittels dieser ihr eigentümlichen „Sprache“ werden die Genossen zum
Mittun aufgefordert und durch Spurung zu richtiger Stelle hingeleitet. Genau so wie bei
der nun schon wiederholt herangezogenen Goldgräbergruppe ein Finder mit s e i n e r
Sprache von einem großen erregenden Fund erzählt und mit s e i n e n Mitteln die Genossen
hinleitet. Auch hier vielleicht an anderen, näher liegenden v or be i , einfach deswegen,
weil er nicht die nahe, sondern eine entfernte Stelle entdeckt hatte.
Man kann den Vergleich noch weiter ziehen: Weil sich „herumgesprochen“ hatte, daß
an dieser einen Stelle etwas Wertvolles gefunden worden sei, wird gerade dort viel eifriger
gesucht und schließlich auch Wertloseres mitgenommen als das, was vielleicht ganz in der
Nähe liegt. So ähnlich gehen auch die Attinen vor; sie ernten oft einen Baum restlos ab
und tragen dann sogar sinnlos alles Mögliche ein, nachdem sie einmal an diese Stelle gewöhnt
sind.
Diese an einen bestimmten Ort oder an bestimmte Arbeit gebundene Stetigkeit läßt
sich jedenfalls immer wieder beobachten. Sie bringt die Tiere dazu, an dem gewöhnten Ort
ihrer Tätigkeit wirklich eine Zeitlang alles zu schneiden und abzuschleppen; wie z. B. Papierschnitzel
(Abb. 24), die man ihnen vorlegt, oder wie in einem Film der Ufa kleine Fähnchen,
oder aber sie beginnen an einem Spazierstock emporzusteigen und aus dem dort aufgehängten
Hut das Futter herauszuholen, oder Moskito-Netze, Strümpfe, Hosen und Gürtel
zu zerstören, wie verschiedene Forscher schon berichteten (Th . H erzog u . a . ) .
Es ist verständlich, wenn aus solchen Gründen Reh , der % J a h r lang in Ypiranga
(Sao Paulo) die Attinen erlebte, nicht glaubt, daß bei der Auswahl der Pflanzen biologische
Momente eine Rolle spielen; denn seine Beobachtungen sprachen in keiner Weise dafür:
„Ein Nest, das im Nachbargarten war, schickte lange Zeit seine Raubscharen mitten durch
ein Beet mit weißen Rüben nach meinen Rebstöcken. Eines Tages, bevor der in Arbeit
befindliche Rebstock auch nur zur Hälfte entblättert war, wurde er im Stich gelassen, und
alles fiel über meine weißen Rüben her, denen ihre Drüsenhaare nichts halfen. Die jüngsten
wie die ältesten Pflanzen wurden abgeschnitten, und bald war im Beete eine kahle
Stelle von etwa 2 Fuß im Quadrat, auf der mir nur noch 2—3 cm große Stielstummel entgegenstarrten.
Statt aber in dem Beet weiter zu arbeiten, ging es nun an einen einheimischen
Grasstock mit scharfen harten Blättern, durch den ihr Weg schon wochenlang gegangen
war; und erst nach dessen Vertilgung wurden wieder meine Reben auf gesucht.“
E r bestreitet fernerhin in seinen Darlegungen, die den meisten Autoren unbekannt geblieben
zu sein scheinen, daß im freien Kamp die Ameisen eine Auswahl treffen. Dort „müssen die
Ameisen natürlich mit allem vor lieb nehmen, was sie finden. Wenn man bedenkt, wie unsäglich
öde und arm die Flora des Kampes ist und wie viele und große Nester von Blattschneidern
doch auf ihm sich finden, kommt einem auch die Behauptung von dem Geschütztsein
der einheimischen Flora oder auch nur eines bemerkenswerten Teiles von ihr nicht
recht glaublich vor. Wie sollten auch Pflanzen gegen die Blattschneider geschützt sein, da
diese sie ja nicht fressen, sondern sich nur mit ihren starken Chitin-Kiefern, die doch weder
gegen Säfte noch gegen Drüsenhaare empfindlich sind, Stücke fü r ihre Pilzzucht heraus-
schneiden?“ Wie wir sahen, findet doch eine gewisse Auswahl statt; die Erkunder entscheiden
sich, oft aus irgendwelchen individuellen Gründen, für diese oder jene Stoffe, und
infolgedessen sind dann tatsächlich Pflanzen mit harten Blättern, wie Mate-Sträucher, mit
unangenehmen Säften, wie manche Wolfsmilch-Arten, mit Klebstoffen an den Stielen, wie
die „Espino de Cristo“ in Misiones, weniger leicht den Angriffen ausgesetzt, und Bäume
mit stark duftenden Blüten oder Früchten, wie Tung und Orangen, außerordentlich bevorzugt.
Denn daß diese einen besonderen Anreiz bieten, wissen wir schon aus dem vorangegangenen
Abschnitt. Wenn aber erst die Straße gebildet wurde, dann ist von dieser
Bevorzugung bereits nichts mehr zu sehen. Und so ist der Eindruck durchaus richtig, den
Reh an anderer Stelle beschreibt: „Wenn eine Ameise bei ihrem Umherirren zufällig an
eine zusagende Pflanze kommt, so eilt sie zurück, um ihre Stammesgenossen zu benachrichtigen,
die dann vielleicht auf ihrer Spur der Pflanze zueilen. Auf diese Weise ließen
sich auch die großen Umwege, die sie meistens machen, leicht erklären“ ; Umwege, die nach
Reh oft zu einer Strecke von 2—3 m das Zehnfache und mehr betragen.
Es ist also das Vernachlässigen von näher stehenden Bäumen keineswegs etwas Bewußtes,
Planmäßiges, dessen Sinn man noch nicht kennt. Um auch hier das schon öfter
angeführte Beispiel einer Goldgrähersiedlung noch einmal anzuführen: Wenn erst an einer
Stelle etwas gefunden wurde und nach dort schon ein Weg gebahnt worden ist, dann eilen
alle, die davon hören, nach dort; und es ist auch in solchen Fällen dann möglich, daß näher
liegende reichere Stellen vernachlässigt werden.
Ebenso wenig wie bei dem Besuch weit entfernter und der Vernachlässigung näher
liegender Pflanzen darf den oft meterweit vorgetriebenen unterirdischen Kanälen eine bestimmte
Absicht untergelegt werden, wie dies manchmal in Argentinien und Brasilien ge