Die ungeheure Fruchtbarkeit der Weibchen und die dadurch bedingte riesige Volkszahl
der Staaten und außerdem die Tiefe und Größe der Nestanlagen sind auch die Waffen,
mit denen die Attinen dem Hauptfeind, dem Menschen, widerstehen. In Brasilien, wo insbesondere
A tta sexdens der Großschädling ist, gibt es den Spruch, daß Brasilien bald mit
den Ameisen fertig werden müßte, sonst würden die Ameisen mit Brasilien fertig. Wenn
auch in Argentinien diese Gefahr nicht so groß ist, geht man doch auch dort überall mit
allen Mitteln gegen sie vor. Wenn man wie in Abb. 22 sieht, was ein gar nicht sehr großes
Nest von A tta vollenweideri in einer Nacht anriehtet, dann versteht man den Haß und den
Vernichtungswillen. Vergasungen der Nester sind besonders beliebt; sie können auch in der
Tat kleine Nester wirklich vernichten. Bei größeren ist aber immer nur eine Dezimierung
möglich, insbesondere auch deshalb, weil Eier und Puppen meinen Erfahrungen nach weniger
leiden als Arbeiter und Larven. Nach e tw ajäfc'iWochen sind die Puppen geschlüpft
und können dann die Eier aufziehen, und die Baubzüge beginnen von neuem. Viel angewandt
werden auch allerlei Streumittel: die Acromyrmex-Ameisen tragen dann an ihrem
Körper, der durch die vielen Anhänge und Stacheln dazu sehr gut geeignet ist, die Gifte
(in der H auptsache Arsenik) in die Nester, wodurch Pilzgärten und Brut geschädigt werden.
Diese Mittel wirken in trockenen Gegenden (z. B. Cordoba) recht gut; im feuchteren
Klima (z. B. Buenos Aires) versagen sie meist, da die Giftsalze schmelzen und in den Boden
sickern. Daher werden von verschiedenen Firmen angeblich Zusätze beigegeben, welche
dies verhindern sollen; es handelt sich dem Anschein nach aber nur um irgendwelche Bestandteile,
die das s i c h t b a r e Verschwinden des Streupulvers vermeiden, während die
wirksamen Bestandteile doch versickern. Bei den vielen dieser oft sehr angepriesenen
Mittel hat man den Eindruck, daß den Verkäufern gar nicht so sehr daran liegt, die Ameisen
wirksam zu vernichten, sondern den Konsumenten eine Art Steuer aufzulegen, etwa jede
Woche eine neue Büchse zu kaufen. Was auch meist deswegen gelingt, weil die Mittel sehr
billig sind.
Umfangreichere Versuche habe ich mit diesen Streumitteln n i c h t ausgeführt; doch
konnte ich mich in vielen Fällen überzeugen, daß nach etwa 3 Wochen von der Bekämpfung
nichts mehr zu sehen war; d.h. auch hier blieben die widerstandsfähigeren Dauerstadien
der Brut, Eier und Puppen, am Lehen, um den Staat zu regenerieren.
Wenn eine wirksamere Vergiftung der Brut erreicht werden soll, müssen meines E rachtens
größere Giftmengen von den Ameisen seihst in den Bau befördert werden, und ich
habe an anderer Stelle (Tropenpflanzer 1938) eine Anzahl von Versuchen beschrieben,
wie dies vielleicht möglich ist. Es kann, wie auch in dieser Arbeit weiter unten noch zur
Sprache kommen wird, vielleicht sogar die Schneide- und Schlepptätigkeit seihst dazu benützt
werden; d.h. die Eigentümlichkeit der Attinen-Staaten, welche stets am meisten in
die Augen fällt.®- Wie und was geschnitten wird, welche Größengruppen von Arbeiterinnen
dabei in Betracht kommen, wird in besonderen Abschnitten dann noch genauer dargelegt,
und ebenso, wie die eingetragenen Pflanzenteile zu den Pilzgärten verarbeitet werden^
die ja das Hauptcharakteristikum der hier behandelten Ameisen-Gruppe darstellen. Ist es
doch durch diese ihre Tätigkeit gelungen, mehr oder weniger Wertloses in Lebenswichtiges
zu verwandeln, nämlich nährstoffarmes Material, das sich aber in Mengen bietet in
ein für sie hochwertiges Futter. Sie haben sich also auf eine A rt Autarkie eingestellt, bei
der sie von Einfuhr eiweißhaltiger Nahrung unabhängig sind.
Aber nicht nur in der „Wirtschaftsführung“ stehen damit die Attinen an der Spitze
aller Ameisen-Staaten, sondern auch in der Bevölkerungs-Politik, um auch hier einmal an
menschliche Verhältnisse anzuknüpfen. Ih re Königin gehört unbedingt zu den „Kinderreichen“,
sogar unter den Ameisen. E idmann hat bei A tta sexdens in einem Nest über 3500
junge Weibchen ausgezählt. Das läßt schließen auf etwa 35 000 gleichzeitiger Männchen
und sicher zwanzigmal mehr junge Arbeiter. Man muß deshalb einen Atta-Staat sicher auf
einige Millionen schätzen; und wenn die Nester von Acromyrmex auch stets kleiner sind,
so übertreffen sie sicher oft auch die größten europäischen Ameisen-Staaten.
Eine Eigentümlichkeit der Attinen-Staaten ist endlich noch das Vorhandensein bestimmter
Tagesrhythmen. Dieselben sind zwar auch bei anderen Ameisen nachweisbar (vgl.
Grabensberger) , aber doch nicht so in die Augen fallend wie bei A tta und Acromyrmex.
Es wird zwar bei Blattschneider-Ameisen manchmal zu allen Tagesstunden geschnitten und
eingetragen: die Hauptarbeitszeit des Außendienstes fällt aber, wie bekannt, in die Nacht
(vgl. Tab. 4). Meine Untersuchungen an Kunstnestern sowie Beobachtungen im Freien
zeigten, daß als auslösende Bedingungen weniger die Helligkeit ausschlaggebend ist als
vielmehr bestimmte Wärme- und Feuchtigkeitsgrade. Ist der Rhythmus einmal eingefahren,
so läßt er sich auch ohne auslösende Bedingungen beobachten; er beruht zum guten Teil
darauf, daß nach gewissen Stunden bestimmte Größen- und Altersklassen der Acromyrmex-
Arbeiter ihre Tätigkeit we c h s e l n , d.h. vom Innendienst zum Außendienst übergehen
und umgekehrt. Dies geschah auch in ganz gleichmäßig warm, feucht und dunkel gehaltenen
Kunstnestern (Tab. 4). Besonders interessant ist, daß dieser eingefahrene Rhythmus
auch bei der Rückfahrt nach Europa bestehen blieb; d.h. die Tiere arbeiteten nicht
nach der Ortszeit, sondern blieben der argentinischen Zeit treu. Allerdings nur so lange,
als die Nester gleichmäßig warm, feucht und dunkel standen. Dies war der Fall während
der Schiffsreise, wo ich die Tiere im Schrank der Kabine hielt, und zunächst auch in
Breslau, solange die Nester im Thermostaten standen. Nach Aufstellung im Laboratorium
machten sich dann die Breslauer Licht-, Sonne- und Temperatur-Einflüsse geltend (Tab. 4
letzte Zeile), und nach einiger Unsicherheit war eine Umstellung auf schlesische Verhältnisse
eingetreten.
4. Ernährung.
Seit Möller wissen wir, daß die Attinen aus den eingetragenen Blättern eine Art
Mistbeete herstellen und auf und in ihnen Pilze züchten. Die Mycelien dieser Pilze erhalten
durch Abbeißen der Fäden eine bestimmte Gestalt: Die Enden werden keulen- oder knopf-
förmig, und diese in Haufen zusammenstehenden Keulchen oder Knöpfchen, die „Kohlrab
i“ oder „Ambrosia“ genannt werden, dienen dann den Ameisen sowohl wie der Brut
als Nahrung.
Daß man sich diese „Kohlrabi-Häufchen“ meist größer vorstellt als sie in Wirklichkeit
sind, betont E idmann mit Recht; auch ich war über ihre Kleinheit zunächst erstaunt.
Möller hielt die Kohlrabi der Pilze fü r die „hauptsächlichste, wenn nicht einzige
Nahrung“ der von ihm untersuchten Acromyrmex-Arten; spätere Autoren, wie Wille und
E idmann, sehen in den Pilzen sogar die a u s s c h l i e ß l i c h e Nahrung dieser Ameisen,
wenigstens unter normalen Umständen. Auch Bruch, der verschiedene Pilzzüchter im
Hungerzustand mit Zucker, Honig oder animalischen Substanzen füttern konnte, schreibt
diesen Versuchen nur theoretische Bedeutung zu.