Freylich läfst sich dieser Irrthum leicht entschuldigen. Wenn man
nämlich in einem trocknen Zuckerrohr, selbst in sehr dünnen Querschnitten,
diese Substanz aul'sueht, welche sich in frischen Röhren
äufserst deutlich zeigt, so findet man oft an ihrer Stelle ein mehr
oder weniger zirkelrundes Loch; obgleich die unregelmäfsigen Umrisse
dieser scheinbaren Gefäfsöffnung bey genauerer Untersuchung
verrathen, dafs man hier etwas ganz anderes, als ein einzelnes quer-
durchschnittenes Gefäfs vor sich hat. Aber die Vergleichung frischer
Gefafsbiindel mit. andern in verschiedenen Graden eingetrockneten
fuhrt sehr bald auf die Entstehung dieses Lochs, welches Herr M ir -
b e l für die Oeffnung einer falschen Tracliee hielt. Die zärtern Markzellen
nämlich, welche, wie wir gleich sehen werden, einen Theil
der angeführten Substanz ausmachen, zerreissen beym Eintrocknen
und ziehen sich, zusammt den Theilen, welche von ihnen eingeschlos-
sen sind, an die festere Masse zurück, die sie zunächst umgiebt; Im
frischen Rohre konnte dieselbe Ursache des Irrthums Statt finden,
welche M a lp ig h i verleitete, und der ausfliefsende eigenthümliche
Saft konnte Herrn M irb e l, nach seiner Voraussetzung, dafs die Spi—
ralgefäfse überhaupt auch zuweilen dicke Säfte fuhren, nicht hindern,
das einzelne Gefäfs, welches er hier zu sehen glaubte, für eine Tra—
chee zu halten; da zumahl unsere zarte .Substanz mit. den beiden
grofsen, so genannten, falschen Tracheen, oder Treppengefäfsen, die
sich in. den Gefafsbiindeln des Zuckerrohrs sowohl als des Mays befinden,
im Durchmesser oft ziemlich genau übereinkommt. Nur eine
' rer Zeichnung Tab. -I. fig. l . mit c. c. bezeielmelen grofsen Spiralgefafse, zu
denen Herr M i r b e l noch ein drittes in unserer zarten Substanz gefunden
haben will. D a Herr M i r b e l statt der Ringgefäfse, welche auch im Zuckerrohr
nicht immer in einer Linie, sondern oft bündelweise an einander
liegen, auch nur eine Oeffnung sah, so müssen wir um so mehr glauben,
dafs er nach einem trocknen Rohr untersuchte.
genauere Zergliederung des Bündels, als Herr M irb e l, nach den
Darstellungen der angezogenen Tafel, beabsichtigte, hätte den Irr—
thum heben können.
Herr Professor B e r n h a r d ! hält diese weifse Substanz für eine
Anhäufung besonderer Baströhren, mit der Bemerkung, dafs sich die
Ursache dieser Verschiedenheit auf keine Weise enträthseln lasse. s )
Aber jene Substanz hat mit dem fibrösen Röhrenbiindel (Tab. I.
fig. 1. a.) in keiner Rücksicht die entfernteste Aehnlichkeit; ihr wei-
fses Ansehen ist durchaus mit keinem Glanze verbunden, ist nicht
die Folge ihrer Festigkeit, sondern ihrer Durchsichtigkeit; sie enthält
hier nie und zu keiner Zeit einen grünen Saft, selbst da nicht,
wo sie dicht an die fibrösen Böhren gränzt. Sie ist von äufserster
Zartlieit, und die fibrösen Röhren machen den festesten Theil des
Bündels aus, sie fällt bey der Maceration im Wasser am frühesten
aus einander, und die fibrösen Röhren bieten ihr am längsten Trotz.
Diese Verschiedenheiten sind so auffallend, dafs sie sich selbst bey
einer minder sorgfältigen Untersuchung und schon in Querschnitten
darbieten, - welche man mit mäfsiger anatomischen Kunst gemacht,
und sie frisch, oder in verschiedenen Graden der Maceration, selbst
mit weniger vollkommenen Instrumenten, betrachtet. Aber eine genauere
Zergliederung dieser Substanz, nachdem sie von den benachbarten
Theilen abgesondert ist, zeigt, dafs auch nicht eine einzige
fibröse Röhre, oder was einer solchen auf die entfernteste Weise
ähnlich wäre, in ihr anzutreffen ist. Noch auffallender und durchaus
unverkennbar verschieden zeigt sich diese weifse Substanz im Bambusrohr,
6) wo ihre äufserste Zartheit mit der außerordentlichen Festigkeit
der fibrösen Röhren, welche sich noch im trocknen Rohr
5) Beobachtungen über Pflanzengef. S. 70 und S. 81. Tab. I. ßg. 7. d.
6) Tab. VI. fig. i 5.
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