
Rechte den Vorwurf, dass sie sich leicht den Sitten und der Sprache
der Ausländer anpassen, unter denen sie leben, dass sie ihrer angestammten
Eigenthümlichkeit untreu werden; diese Schmiegsamkeit
des Wesens verlöre sich aber bald, wenn die durch gleiche
Interessen verbundenen deutschen Staaten ein politisches Ganze
bildeten, das nach aussen so kräftig und würdig auftreten könnte,
als der Grösse des Volkes ziemt. Wie die Dinge bis jetzt gelegen
haben, musste es dem Deutschen der kleinen Staaten im Auslande
am Bewusstsein nationaler Vollgültigkeit fehlen. Preussen,
welchem Deutschland den geistigen wie den materiellen Aufschwung
dankt, soll allen als Rückhalt dienen, alle Lasten allein tragen, und
hat die Verpflichtung dazu, soweit die Erfüllung in seinen Kräften
lag, immer anerkannt. Aber die Ansprüche mehren sich in steigender
Progression, und Preussen muss, wenn es O 7 7 dieselben befriediOgen
soll, nothwendig die militärische, diplomatische und handelspolitische
Vertretung aller deutschen Staaten übernehmen, welche ihm durch
gleiche Interessen und gleiche Bildung verbunden sind. Aus allen
Welttheilen laufen die dringendsten Gesuche von Deutschen an die
preussische Regierung um diplomatischen Schutz und Entsendung
von Kriegsschiffen in einer Ausdehnung ein, welche die Kräfte des
Landes weit übersteigen. Die Anstellung von Handelsagenten hat
in den meisten Eällen wenig Werth; diese treten selten in ein Ver-
hältniss zu den fremden Regierungen, das sie zur wirksamen
Unterstützung ihrer Landsleute befähigte. Es handelt sich um
die kostspielige Unterhaltung zahlreicher Kriegsschiffe und gut
besoldeter Beamten mit Riehterqualität, welche, auf wirkliche
Macht gestüzt, eine unabhängige, achtunggebietende Stellung einnehmen.
Eine abgesonderte Vertretung kleiner Staaten ist, wo sie
sich bewirken lässt, ganz werthlos. Als Graf Eulenburg in China
nach unsäglichen Bemühungen die von den Hansestädten beanspruchte
Vertretung durch eigene Consuln durchgesetzt hatte, geriethen die
dort angesiedelten Hanseaten in grosse Aufregung, denn sie sahen
sich zurückgesetzt gegen die Unterthanen des Zollverbandes und
der mecklenburgischen Grossherzogthümer, deren preussische Vertreter
sich auf materielle Machtäusserung in Gestalt kanonengespickter
Kriegsschiffe stützen können.
Die Verbreitung und der Einfluss der Deutschen in überseeischen
Ländern sind jetzt schon viel bedeutender als man in der
Heimath allgemein glaubt. Jene Schmiegsamkeit des Wesens zeigt
sich nur da, wo Deutsche vereinzelt oder in geringer Anzahl unter
fremden Nationen leben. Ueberall wo sie in zahlreicher Gesellschaft
auftreten, üben sie einen grösseren, tieferen, mehr innerlichen Einfluss
auf ihre Umgebung als irgend eine andere Nationalität. Grade die
Fähigkeit sich Allem anzupassen beruft den Deutschen zur civihsa-
torischen Thätigkeit; seine vorwiegende Charaktereigenschaft ist
Humanität; er wird leichter als alle anderen Nationen seine Ueber-
legenheit über uncivilisirte und farbige Racen vergessen, wird im
fernsten Welttheile die Eingeborenen gern als Mitmenschen ansehen
und sich ihnen verbrüdern. Diese unbewusste Menschlichkeit, welche
in allen Classen unseres Volkes lebt und sonst den meisten schiffahrttreibenden
Nationen p r a c tis c h mehr oder weniger.fehlt, gibt dem
Deutschen im Verkehr mit minder civilisirten Völkern ein grosses
Uebergewicht über andere Ausländer. Ueberall wollen die Eingeborenen
am liebsten mit D e u ts c h e n in Handelsverkehr treten,
d e u ts c h e n Schiffen ihre Person und ihre Waaren anvertrauen,
weil sie wissen, dass- sie menschlich und billig behandelt werden.
Die deutschen Handelshäuser stehen in allen Ländern in der grössten
Achtung; ihr Geschäftsverkehr ist in den letzten Jahrzehnten trotz
dem mangelhaften Schutze mächtig gestiegen und wird schnell zur
höchsten Blüthe gelangen, wenn ihre Unternehmungen durch Handels
Verträge erleichtert und durch Kriegsflotten bewacht werden.
Der Handel aber bricht in der Ferne der Cultur ihre sicheren Bahnen
und ist heute der beste Weg zur Colonisation. Nicht die Goldgräber
Californiens haben Schätze erworben und bleibenden Besitz
gegründet, sondern diejenigen, welche ihnen die Lebensbedürfnisse
und Genüsse schafften. Es wäre in unseren Tagen thöricht von
jedem Culturvolke, sich in fernen Welttheilen die Wege durch
Arbeitercolonieen bahnen zu wollen, seine Kräfte in Leistungen zu
vergeuden, die geringere Begabung.fordern. Die Ansiedeler gehen
meist zu Grunde, die den Boden urbar machen, und der Fussbreit
Landes den sie gewinnen ist des Opfers nicht werth, während der
Handel in statigem sicherem Fortschritt seine Netze über weite Länderstrecken
zieht, sich ausgebreiteten Völkerschaften nützlich und
unentbehrlich macht und bald jedem Beruf, jeder Fähigkeit ihren
angemessenen Wirkungskreis und sichere Erfolge bereitet. Nicht
die Erwerbung überseeischer Gebiete fördert die Ausbreitung deutscher
Cultur über den Erdball, sondern die wirksamste Unterstützung
des Handels durch unabhängige Vertreter und achtunggebietende