
Die letzten Tage des October waren regnerisch; wir kamen
wenig hinaus. Der niederländische Conjul in K a n a g a v a , Herr de
Graeff van Polshroek, kam nach Y e d d o und wusste viel Interessantes
über seinen Verkehr mit den Japanern, aber wenig Erfreuliches über
die Schutzbefohlenen in Y o k o h am a mitzutheilen. — Am 3 0 . gab
der grossbritanmsche Gesandte zu Ehren des Grafen Eulenburg
ein Dejeuner, welchem ein Spaziergang durch die ausgedehnten
Tempelgründe folgte.
Der Tempel von T o - d z e n - d z i liegt im, südlichen Y e d d o ;
sein Haupt-Eingang mündet auf den hier das Meeresufer streifenden
T o k a id o , nicht weit von der Vorstadt S in a g a v a ; eine lange ebene
.Steinbahn führt von der Strasse durch mehrere Portale auf den
Tempel zu, in dessen Nebengebäuden der Gesandte wohnte. Seine
Räume sahen in das Grüne: zunächst ein Blumengärtchen mit reinlichen
Kieswegen, ein Goldfischteich mit zierlicher Brücke, drüben
®m Abhang, unten mit Rasehbeeten und herrlichen Azaleenbüschen,
darüber mit einem wuchernden Dickicht hoher Laub- und
Nadelbäume bedeckt, durch das sich schattige Pfade den Hügel
hinanschlängeln. Links beschreibt die Höhe einen kurzen Bogen
nach Westen; hier sind ihre Abhänge und die Mulde dazwischen
mit einem Walde von Grabmonumenten erfüllt. Der Tempel steh*
unter dem Patronate mehrerer D a im io ’s , welche dort ihre Familien-
begräbnisse haben; die Denksteine der Fürsten sollen, an einer Art
Krone aus mehreren übereinanderliegenden Ringen unmittelbar unter
dem Knauf der thurmartigen Spitze kenntlich sein. Sie stehen bald
einzehi, bald von den kleineren Grabmälem ihrer Angehörigen umgeben,
eingefasst mit Holz- oder Steingütern, dazwischen Laternensäulen,
hier und da ein Buddabild aus Stein oder Bronze. Die
Form und Grösse der Grabsteine ist auch sonst sehr inannichfach
und mag vielerlei Beziehungen zu dem Alter, Stand und Geschlecht
des Verstorbenen haben; vor allen stehen Bambusbecher und Steinbehälter
mit frischen grünen Sträussen und Rauchkerzen. Früh
gestorbene Kinder haben nach japanischem Volksglauben himmlische
Schutzmütter, unter deren Hut ihre Seelen, bei heiterem Wetter
aus dem Meere steigend, am Strande mit bunten Kieseln spielen.
Auf dem Friedhofe von T o - d z e n - d z i steht eine ganze Reihe solcher
Genien, kleine Bildsäulen von Stein, unter einem hölzernen Schutzdach
19) ; ihnen opfern die Mütter der Heimgegangenen und legen
ia) S. Ansichten von Japan etc. III. 13.
beim Gebet kleine Steine auf deren Köpfe. Bleiben diese bei den
häufigen Erdbeben hegen, so sind die Schutzgeister den Kinderseelen
gnädig; fallen sie aber herab, so grämen sich die Mütter; so erzählte
man uns wenigstens; V-, Die Gräberstätte von To - dzen-dzi ist eine
der schönsten und ehrwürdigsten der Hauptstadt; breite Steinbahnen
u n d Treppen führen zwischen haushohen Camelien, schlanken
Cryptomerien, Lorbeern, Föhren und Ulmen die Abhänge hinan,
Myrthen und Azaleen, Moos, Epheu, Farrenkräuter und vielerlei
Immergrün bedecken wuchernd den Boden, und fernhin schimmert
der weite Golf. Die absichtslose Unregelmässigkeit, malerische
Verwilderung und die Nähe des Meeres geben der Anlage einen
ganz besonderen Reiz.
So verging der October.ffii Wir büeben die ganze Zeit im
Dunkeln über die politische Lage des Landes. Dass etwas vorging
und das Drama sich fortspielte war deutlich zu merken; mancherlei
Gerüchte drangen auf die Legationen, aber die dort verkehrenden
Staatsbeamten, die allein hätten Aufklärung geben können, hüllten
sich in tiefes Schweigen oder sagten nur was man glauben sollte.
Gleich nach unserer Rückkehr von K a n a g a v a hörte man von
einem Mordanfall auf den Commandeur der Truppen des Fürsten
von S a t s u m a '; die Veranlassung blieb unbekannt. Am 11. October
wurde dem Gesandten der Tod des Fürsten von M it o 20) gemeldet,
und dass der Hof eine siebentägige Trauer für denselben anlege.
Nach den gangbarsten Gerüchten war er zwei Monat vorher wieder
zu Gnaden aufgenommen worden und hatte seinen Palast in Y e d d o
bezogen, bald nachher aber auf Befehl des T a ik ü n das H a r a k ir i ;
an sich vollstreckt. Die Selbstentleibung, welche schon vierzelm
Tage vor der officiellen Todesnachricht erfolgt sein sollte, leugneten
die B u n y o ’s hartnäckig, und blieben im Uebrigen unergründlich.
Einige Tage nach jener Meldung erzählte man sich Folgendes: In
einer dunkelen Nacht klopft es heftig an einer Pforte des Palastes
von S a t Su m a ; ein S a m r a i begehrt Einlass wegen wichtiger Botschaft.
Vom Thürhüter der späten Stunde wegen abgewiesen, versucht er
einen anderen Eingang; das Thor wird hier geöffnet, und sechsund-
dreissig Bewaffnete, die sich verborgen hatten, dringen hinein. Der
Pförtner bittet kniefällig ihn nicht unglücklich zu machen, Jene aber
verlangen nur Gastfreundschaft; sie seien entlassene' Soldaten des
M) S. Bd. I. S. 184, 285.