
60 L o k a s a b u k o . D z u - n i - s o . VII.
10. Nov.
Auf dem Rückwege führte Heusken uns nach dem Theehause
von L o k a s a b u r o , das, von Baumschulen und Treibereien umgeben,
in einer feld- und gartenreichen Gegend des nördlichen Yniuo liegt.
In seinem ausgedelmten Garten sind Fischteiche verschiedener Grösse
ausgegraben, wo die Gäste für ein Eintrittsgeld angeln dürfen; sie
sassen dort in Menge auf kleinen Bänkchen, jeder mit einem thönernen
Kohlenbecken zum Anzünden der Pfeife, einige auch mit dampfenden
Theekannen neben sich, und tief in die Betrachtung ihrer Angelschnüre
versunken, mit sehr ernsthaften Gesichtem, in voller Vergessenheit
der-Aussenwelt. Die meisten schienen den wohlhabenden
¡ständen anzugehören; sie erhoben kaum den Blick als wir vorübergingen.
Die Teiche enthalten Fische von mancherlei Art und Grösse
und haben danach verschiedene Angelpreise, von einem bis zu zehn
T em p o für halbtägige Benutzung, wofür man seine Beute mit nach
Hause nimmt. =— Der Pariser Nimrod schiesst Ratten für einen Sous
das Stück; sollte sich auf die Angler europäischer Hauptstädte nicht
ähnlich speculiren lassen? —
Die den 'Garten begränzende Höhe bietet eine herrliche
Aussicht1); man wird sich hier ganz besonders der ungeheuren
Ausdehnung der Hauptstadt bewusst. Denn im Rücken des Beschauers
streckt sie volkreiche Quartiere noch fern nach Norden und Westen
hinaus, und vor ihm hegt eine weite grüne Landschaft, die nichtsr
destoweniger ganz von zusammenhängenden Stadtvierteln umschlossen
ist: im Mittelgründe ein grösser Buddatempel, dann ein Höhenzug
mit herrlichen Bäumen, der im vorigen Abschnitt erwähnte nördliche
Begräbnissplatz der TaYki'n - Familie. Der See von. B e n t e n g ist
dahinter versteckt; jenseit aber verliert sich die Häusermasse des:
gewerblichen Y e d d o in den fernen Horizont.
Am 10. November bewirthete Graf Eulenburg die Mitglieder
der englischen Legation in D z u - n i - s o . Man schien dem Feste
von japanischer Seite Anfangs Hindernisse bereiten zu wollen: »alle
Pferde in Y e d d o « , hiess es, »seien krank«. Der Gesandte wollte
diesmal mit Koch und Kegel ausrücken, auch das Musikcorps der
Arkona sollte mit, und wir waren in grösser Verlegenheit. Nach
stundenlangem Parlamentären Hessen die YAKusme sich endlich
bedeuten; die Pferde erschienen, darunter einige, die niemals einen
Europäer getragen hatten; es gab beim Aufsteigen von links, das
die meisten sehr übel nahmen, einige halsbrecherische Purzelbäume,
l) S: Ansichten aus Japan, China und Siam. III. 17..
und o-egen elf setzte der Zug sich in Bewegung. Der Weg und die
Oertlichkeit sind schon beschrieben; man hatte im Freien eine Tafel
gedeckt, der nach dem langen verspäteten Ritt von allen Seiten
wacker zugesprochen wurde, — wenn auch nicht so, dass man wie
die Schöngeister von Y e d d o des belebenden Sturzbaches bedurft
hätte. Aus den benachbarten Vorstädten war eine grosse Menge
Menschen herbeigeströmt, die sich, wie gewöhnlich, anständig und
freundlich betrugen; die Polizei, nur durch zwei Beamte vertreten,
kam garnicht in Thätigkeit. Wohl zum ersten Mal erschallten im
alten Haine des Zwölf-Göttertempels die Pauken und Trompeten
europäischer Kriegsmusik, erregten aber durchaus keinen Anstoss;
die Heiterkeit war allgemein und kaum grösser bei der schmausenden
Gesellschaft als bei dem japanischen Publicum. Sie schien sogar
unsere Hengste angesteckt zu haben, die auf dem Rückweg ungewöhnlich
munter wurden : ein englischer Attaché ritt einen Laternenpfahl
um und dabei sich selbst vom Pferde; ein preussischer wurde
unversehens durch ein vorspringendes Dach abgestreift und dem
Legatioüssecretär ging es nicht viel. besser ; alle drei kamen ohne
Verletzung davon. — Den folgenden Tag erschienen in A k a b a n e die
Priester von D z u - n i - s o , um dem Gesandten vorzustellen, dass das
Frühstück auf ihrem Grundstück stattgefunden habe; ausserdem
hätten drei D a i j i io ’s z u derselben Zeit den Tempel besuchen wollen,
sich aber durch die Anwesenheit der Fremden abhalten lassen. Der
Graf bewilligte ihnen gern die gewünschte Entschädigung und sie
entfernten sich zufrieden.
Anfang November siedelte Regierungsrath Wichura von
Y o k u h a m a , dessen Umgebungen er gründlich abgesucht hatte, zu uns
nach A k a b a n e über, und gab sowohl durch seinen persönlichen
Umgang als das Interesse seiner Wissenschaft dem Zusammenleben
neuen Reiz. Er wurde auf den Spazierritten, die uns in tägliche
Berührung mit den landwirtschaftlichen Beschäftigungen der Japaner
brachten, mit tausend Fragen bedrängt; auch die ausgedehnten
Handelsgärten der Hauptstadt boten ein reiches Feld der Beobachtung.
Ihre besten Früchte sind nun leider mit dem trefflichen Manne verloren
gegangen, welchen ein jäher Tod kürzlich mitten aus den
botanischen Arbeiten für das Expeditionswerk hinwegriss2). Diese
2) Regierungsrath Wichura starb im Februar 1866 zu Berlin an Kohlendampfvergiftung.