
gleichliche Ueppigkeit des Pflanzenwuchses. Früh Morgens perlt
der Thau auf jedem Blättchen, die erfrischten Laubmassen strotzen
in Kraft und Fülle und schwängern die Luft mit erquickenden würzigen
Düften. Man klettert staunend von Terrasse zu Terrasse, —
denn jedes Fleckchen ist zugänglich, — und gewinnt bei jeder Wendung,
bei jeder veränderten Beleuchtung ein neues überraschendes
Bild. Der Blick auf die Bai und das ferne Meer, auf das Stadtgewimmel
unten und die gegenüberliegenden Höhen wird immer
schöner und erhält den mannichfaltigsten Reiz durch die reichen
wechselnden Vordergründe. An Staffage fehlt es nicht, denn die
Bürger von N a h g a s a k i lustwandeln an schönen Tagen mit Frau und
Kind auf diesen Friedhöfen. Der Verfasser,¿.der dort viel zeichnete,
ward oft freundlich von ihnen angeredet und auf die Herrlichkeit
der Landschaft aufmerksam gemacht; so viel, und dass sie selbst
die schöne Natur recht freudig genossen, liess sich aus Mienen und
Gebehrden deutlich abnehmen. -|j| Hier und da sah man auch
Frauengestalten in schneeweissem Trauergewande vor den Gräbern
beten, sie knieten oft lange in tiefe Andacht versunken. Der
Japaner hat überhaupt die rührendste Pietät für seine Todten: vor
allen neuen Gräbern und vor vielen, deren dichte Berankung von
längst vergangenen Zeiten spricht, findet man frische Sträusse und
Opferkerzchen, und am Latemenfest werden die Todtenäcker
glänzend erleuchtet.
Auch die Berge jenseit des stadterfüllten Thaies sind mit
Friedhöfen bedeckt. Dort hegen mehrere Tempel hoch am Abhange
in der Axenrichtung der Bucht, die reichste Aussicht über das
ganze Becken beherrschend. Die Natur von- N a h g a s a k i vereinigt
die Frische der Schweiz mit der Fülle des Südens. Rauschende
Giessbäche treiben malerische lorbeerbeschattete Mühlen; zwischen
moosbedeckten Steinen spriessen Palmen, Bambus, Camelien; überall
glüht die Orange unter üppigen Geländen. — Ebene Wege gibt es
wenig, aber die Luft war frisch und erquickend, man stieg und
kletterte mit Lust.
Wir genossen köstliche Tage; die Abende wurden in traulichem
Gespräch mit den Bewohnern von D e s im a und der neuen Ansiedelung
bald am Lande, bald an Bord der Schiffe verbracht. Der
Gesandte sah fast täglich Gäste zu Tisch, und die Musik der Arkona
übte ihre gewöhnliche Anziehungskraft auf die von heimischen
Lebensgenüssen entwöhnten Europäer. Während ringsum in Berg und
Thal und am Himmel über uns sich Tausende von Lichtern entzündeten,
wiedergespiegelt in der glatten dunkelen Fluth, sassen wir
oft bis spät in die Nacht auf dem Verdeck beisammen und lauschten
den Erzählungen unserer Gäste. N a n g a s a k i hat den grossen Vorzug,
dass hier der Verkehr mit den Japanern seit zwei Jahrhunderten
eingelebt ist. G a n z e Geschlechter von Beamten, Dolmetschern
und Kaufleuten sind durch Familientradition an den Umgang und
die Geschäfte der Holländer gefesselt; auf dem niederländischen
General-Consulat gibt es Diener und Aufseher, deren Vorfahren
durch mehrere Generationen bei den Handelsvorstehern dieselben
Posten mit erprobter Treue bekleidet haben. So erfährt man denn
hier mehr Zuverlässiges über japanische Verhältnisse als irgendwo
anders; vor Allen hatte sich Doctor Pompe im täglichen Verkehr
mit seinen Schülern und Patienten die eingehendste Kenntniss der
Zustände zu erwerben gewusst und machte täglich bemerkenswerthe
Mittheilungen. — Sein japanisches Auditorium bestand aus zwölf
jungen Aerzten unter Aufsicht des Doctor M a t s - m o t o , Adoptiv-und
Schwiegersohnes des kaiserlichen Leibarztes. Alle verstanden holländisch,
M a t s - m o t o , ein fähiger aufgeweckter junger Mann so vollkommen,
dass er Herrn Pompe’s Vorträge japanisch nachzuschreiben
pflegte um sie Abends mit seinen Commilitonen zu repetiren. Er
war voll Lebensfrische und Eifer für die Wissenschaft, hatte allerlei
vom deutschen Studentenleben gehört und ahmte es in seiner
Weise nach. So wurde alle Sonnabend tüchtig gekneipt; erlaubte
sich aber einer seiner Genossen nebenbei noch andere Gelage, so-
steckte er ihn auf gut japanisch in das Carcer. M a t s - m o t o hatte
sich .im Voraus lange auf die Ankunft der deutschen Gelehrten
gefreut und überhäufte Wichura mit freundlichen Aufmerksamkei-
ten; er lud ihn wiederholt zu sich zu Tisch, suchte ihm alle Wünsche
abzulauschen und benahm sich in allen Stücken mit so uneigennütziger
Liebenswürdigkeit, wie man sie nur unter:wahrhaft gebildeten
Menschen findet., Die Holländer auf D e s im a verkehrten mit
ihm durchaus wie mit Ihresgleichen, und er bewies sich in der That
als der beste Gesellschafter, freimüthig, witzig und jovial, von
feinen, einfachen Formen. — Doctor Pompe hatte grosse Freude
an seiner Wirksamkeit und wurde von seinen Schülern auf Händen
getragen. Er richtete damals im Auftrag und auf Kosten der japanischen
Regierung ein Hospital nach europäischem Muster ein, wo
die Krankenpflege und Behandlung practisch gelehrt werden sollte.