
Ls fehlte indessen nicht an Praxis in der Stadt und Umgegend.
Phthisis und Scrophulosis waren häufig und wurden von dem Arzt
vorzüglich der unzureichenden Nahrung zugeschrieben3); der Typhus
kam sporadisch vor und Augenkrankheiten in grösser Anzahl. Mit
dem Hospital sollte ein chemisches Laboratorium und ein Sections-
saal verbunden werden. Bis zur Zeit unserer Anwesenheit waren
erst zwei Leichen zergliedert worden; dieser Punct machte dem
holländischen Arzte die grössten Schwierigkeiten. Er suchte von
Anfang seiner Thätigkeit an den japanischen Behörden die Unmöglichkeit
begreiflich zu machen, ohne Leichensectionen mit Vortheil
zu dociren, und liess nicht ab mit dringenden Vorstellungen; aber
die Berührung der Leichen gilt dem ^Japaner für verunreinigend,
und vor Allem sträubt sich die Verwandtenliebe gegen jede Zer-
fleischung des todten Körpers. Die Behörden wagten nicht das
Volksgefühl in diesem Puncte zu verletzen und fanden nach langem
Besinnen endlich folgenden Ausweg. Man erinnert sich, dass bei
dem Laternenfeste in N a k g a s a k i 4) die Seelen der Verstorbenen von
deren Verwandten auf den Friedhöfen eingeholt und in der letzten
Nacht vor allen Gräbern Leuchten angezündet werden. Letzteres
war bis dahin für die Gräber der Hingerichteten verboten, und
diese Ausschliessung soll deren Hinterbliebenen immer schmerzlich
gewesen sein. Jetzt erlaubte die Regierung das Aufstecken von
Laternen vor den Gräbern der Missethäter, liess aber dafür ihre
Leichname der ärztlichen Schule zur Section überweisen. So war
beiden Theilen geholfen.
Herr Pompe war wiederholt von den D a im i o ’s der benachbarten
Fürstenthümer auf .deren Landsitze eingeladen worden,
um über wissenschaftliche und industrielle Fragen Auskunft zu
geben; aber dieser Verkehr blieb sehr beschränkt, denn der betreffende
Landesfürst bedurfte zu einer solchen Zusammenkunft
immer der ausdrücklichen Erlaubniss der Regierung, welche jedesmal
einen besonderen Aufpasser dazu sandte. Dieser musste allen
Besprechungen beiwohnen und die Mittheilungen genau aufzeichnen.
Doctor Pompe hatte tFotzdem lange Listen wissenschaftlicher und
technischer Fragen zu beantworten, und fand namentlich in dem
3) Nach Dr. Pompe’s Angaben isst d er japanische Arbeiter täglich etwa 500 Gramm
Reis, 150 Gramm Fisch, 150 bis 200 Gramm gesalzenes Grün nebst etwas Soya
und Obst, also etwa 35 Gramm Eiweissstoff.
*)-S. S. 21.
Fürsten von O v o m u r a einen strebsamen gebildeten Manu, welcher alle
-wissenschaftlichen Bücher und Instrumente anschaffte, deren er
habhaft werden konnte.
Den Tag nach unserer Ankunft begaben sich der Legations-
Secretär Pieschel und der Flaggen-Officier Freiherr von Schleinitz
mit einem Schreiben der Regierung, das die Minister dem Gesandten
noch den letzten Tag nach Y o k u h a m a geschickt hatten, zum Statthalter
von N a m o a s a ic i . Er wurde darin von dem Abschlüsse unseres
Vertrages unterrichtet und zum gebührenden Empfange des preussi-
schen Geschwaders angewiesen. Am folgenden Tage besuchte ihn
auch der Commodore mit mehreren Officieren, denen ein japanisches
Diner vorgesetzt wurde; das Zuckerwerk des Desserts schickte man
ihnen, für Jeden besonders und auf das sauberste verpackt, nachher
an Bord der Arkona. Es bestand in Schmetterlingen, Blumen und
anderen zierlichen Gegenständen, sehr geschickt und künstlich aus
Zucker und Kraftmehl geformt und in den buntesten Farben prangend.
Die Gäste waren mit ihrer Aufnahme sehr zufrieden. O k a b e ' S u r u n g a -
n o - k a m i stand in grösser Achtung auch bei den angesessenen Ausländern
, welche einstimmig seinen humanen Sinn und redlichen
Willen rühmten, den Fremden gerecht zu werden.
Am 20. Februar gegen ein Uhr kam der Statthalter an Bord
der Arkona. Er legte die halbe Strecke vom Lande her in einem
Cutter europäischer Bauart zurück, welcher bugsirt wurde, und
bestieg dann mit seinem zahlreichen Gefolge und dem zweiten
Gouverneur die Ruderboote. Der Commodore empfing die Herren
auf Deck und führte sie in die Cajüte zum Gesandten; man setzte
sich zum Frühstück. Es schien den Japanern herrlich zu munden,
namentlich die kalte Zunge und ein an Bord gebackener Kuchen,
ein Meisterstück des in der preussischen Marine allbekannten
Herrn Bethge, der, ursprünglich für die Officiersmesse der Arkona
engagirt, seit Entlassung des trunkenen englischen Koches auch die
Tafel des Gesandten und des Commodore versah. Er war für
unsere Expedition ein wahrer Schatz, unerschöpflich an Auskunftsmitteln,
geschickt im fremdesten Hafen gleich die besten Lebensmittel
und alle Leckerbissen aufzuspüren, erfinderisch ohne Gleichen
und immer guter Laune. Er kennt keine Schwierigkeiten, geräth
niemals in Verlegenheit und besitzt den einem rechten »Chef«
so nothwendigen culinarischen Ehrgeiz. — Die Reste seines