
gänzlicher Unkenntniss des Charakters der seefahrenden Nationen,
ihrer Stellung, Gewohnheiten und Ansprüche, aus Y o k o h a m a ein
erweitertes D e s im a machen, vor allen Dingen d e n g a n z e n V e r k
e h r in H ä n d e n b e h a lte n und allein allen Vortheil daraus ziehen
zu können. Sie wusste sehr wohl, dass das alte System der
S x o g u n - Herrschaft mit wirklich freiem Verkehr unverträglich ist,
glaubte aber, da sie sich den darauf zielenden Stipulationen nicht
entziehen konnte, durch engste B e s c h r ä n k u n g d e s s e lb e n a u f
d ie g e ö f fn e te n H ä fe n ihren Zweck erreichen zu können, indem
sie ihre dort verkehrenden Unterthanen beaufsichtigte. — Verträge
mussten geschlossen werden; die Regierung wollte sie so handhaben,
wie es sich mit dem alten System vertrüge und ihr allein materiellen
Vortheil brächte, hatte aber weder die Kraft noch die Geschicklichkeit
ihr Vorhaben durchzuführen. Die folgenden Blätter mögen
zur Anschauung bringen, dass die Verträge, wie die Regierung von
Y e d d o sie meinte, eine Unmöglichkeit für die Fremden, wie die
fremden Diplomaten sie meinten, eine Unmöglichkeit für Japan
waren. Sie werden wahrscheinlich mittelbar die SiOGUN-Herrschaft
stürzen und eine Umwälzung herbeiführen, welche Japan dem freiesten
Verkehr der westlichen Völker erschliesst.
Herr Alcock, der sich Anfang März 1861 mit dem französischen
Geschäftsträger wieder feierlich zu Y e d d o installirt hatte, ging
bald nachher auf kurze Zeit nach China und kehrte erst im Mai
nach N a k g a s a k i zurück, um von da mit dem niederländischen General
Consul zu Lande nach Y e d d o z u reisen. Sie legten den "Weg
ohne alle Hindernisse zurück und fanden bei der Bevölkerung keine
Spur jener »Erregung der öffentlichen Meinung«, welche die japanischen
Beamten beständig im Munde führten. In O s a k a trafen sie
einen B d n y o der auswärtigen Ahtheilung, T a k e m o t o K a i - n o - k a m i ,
der ihnen von Y e d d o ausdrücklich entgegengesandt wurde, um den
Besuch von M i a k o z u hintertreiben. Dort, hiess es zuerst, seien
eine Menge LoNme versammelt, verzweifeltes brotloses Gesindel,
welches die Verträge und deren Urheber auf das bitterste hasse;
die Reise sei mit der grössten Lebensgefahr verbunden. Als diese
Vorstellungen nicht fruchteten, kam die "Wahrheit zu Tage, die
man bis dahin sorgsam verheimlicht hatte. Seit einem Jahre', erklärte
T a k e m o t o , sei zwischen dem M i k a d o und dem T a i k ü n eine Spannung
eingetreten, die zum grossen Theil von der Frage über
Zulassung der Fremden herrühre; der T a i k ü n habe diese Angelegenheit
freier aufgefasst als man am Hofe von M i a k o ■billige, dürfe sich
aber nicht verhehlen, dass der dadurch hervorgerufene Zwiespalt
für das Land die traurigsten Folgen haben könne, und wolle sich
nun, um Alles in das Gleiche zu bringen, der Schwester des M i k a d o
vermälen. Die Verhandlungen darüber schwebten noch, könnten
sich aber leicht zerschlagen, wenn f remde, und sogar Fremde von
so hohem Range jetzt nach M i a k o kämen; ihre Anwesenheit würde
den dortigen Hof auf das neue erbittern. — Auf diese Mittheilung
standen die Reisenden von ihrem Vorhaben ab und umgingen die
Residenz des Erbkaisers.
Hier wurde also die Autorität des Erbkaisers zum ersten
Male gegen Ausländer zur Sprache gebracht. Bisher war nur immer
von den »publiken Gevoelen«, der öffentlichen Meinung als Feindin
der Fremden die Rede gewesen; jetzt setzte man den M i k a d o in
Scene, ohne jedoch der D a I m i o ’s , deren Anhang allein ihn furchtbar
macht, mit einer Silbe zu erwähnen. Diesen hatte die altersschwache
S io g u n - Herrschaft in den letzten Jahrzehnten weit mehr
Spielraum gegönnt, als sich mit dem Systeme vertrug. Eine Parthei
reicher und angesehener Fürsten wollte das lästige Joch ganz abschütteln,
das ihnen zwei Jahrhunderte lang keinen Zollbreit freier
Bewegung liess; als Vorwand mussten die ohne Sanction des M ik a d o
geschlossenen Verträge dienen. Auf bleibende Vertreibung der
Fremden war es dabei nicht abgesehen. Im Gegentheil soll schon
1858 die Mehrzahl der D a im i o ’s eine viel freisinnigere Politik, den
'Abschluss von Verträgen gewünscht haben, welche Japan dem freiesten
Verkehr der westlichen Völker öffneten. Auch auf d ie s e Weise
war das System des J y e t a s z u stürzen, dessen Grundlagen ja die
hermetische Verschliessung ,nach aussen und despotische Ueber-
wachung im Inneren sind. Das wusste aber die Regierung von
Y e d d o eben so gut: Sie hätte sich denVerträgen am liebsten ganz
entzogen und gab ihnen, als das nicht möglich war, eine Fassung,
welche ihr allein alle Vortheile bringen und die engste Beschränkung
des Verkehrs auf die geöffneten Häfen sichern sollte. Sie hatte
sich aber verrechnet und sowohl die Fremden als sich selbst verkannt.
Denn Jene liessen sich die Beschränkungen des Handels
nicht gefallen, und die Regierung hatte nicht die Kraft sie durch