
wenigstens mancher Secten nur ein verändertes Gewand des K a m i -
üienstes ist.
Der gebildete Japaner verachtet gradezu den Buddismus und
dessen Priester, nicht so sehr wegen der Glaubenslehren, sondern
weil es ihn herabwürdigt, dem gemeinen Haufen gleich ein Gegenstand
plumpen Mönchsbetruges zu werden, in den der öffentliche
Gottesdienst dieser Secten vielfach ausgeartet ist. »Der B ü t t o «,
heisst es in dem Briefe eines Gelehrten an Siebold, »ist unser herrschender
Gottesdienst und aus keinem anderen Grunde als solcher
aufgestellt, als um das Volk in seiner Dummheit zu erhalten. Die
Secte S e n s y u ausgenommen geht das Streben aller .Bonzen dahin,
das Volk, und vor Allen den Landmann in plumper Unwissenheit
zu lassen: Einfältigkeit, sagen sie, führt auf dem Wege des blinden
Glaubens und Vertrauens in die Vorschriften und Auslegungen der
heiligen Bücher von selbst zur Tugend.« Aehnliche Aeusserungen
berichtet Golownin; die Verachtung des Buddismus scheint bei den
höheren Ständen allgemein, ebenso aber die Ueberzeugung von seiner
Unentbehrlichkeit für das Fortbestehen der alten Ordnung. Der
gemeine Mann hat blinde Ehrfurcht vor den Bonzen, blickt aber
mit scheuer Achtung zu der philosophischen Secte als einer höheren
auf. deren erhabene Lehren nur den bevorzugten Ständen zugänglich
sind. Der K a m i -Dienst dagegen steht bei Vornehm und Gering in
grossem Ansehn; selbst die Anhänger der S y u t o - Lehre beweisen
ihm Ehrerbietung und beobachten gern die altherkömmlichen Festgebräuche
der nationalen Gottesverehrung. Sie scheint allerdings
wenig a u s s c h lie s s l ic h e Bekenner zu haben, aber fast alle Japaner,
die buddistischen Priester kaum ausgenommen, besuchen neben den
Tempeln ihrer Secten auch die K a m i -Hallen. Die Gebräuche des
SiNxo-Cultus sind mit dem Volks- und Familienleben innig verwachsen
und nicht davon zu trennen. Die Feier der darin vorgeschriebenen
heiligen Tage und Feste ist jedem Japaner eine Pflicht der Pietät,
sie bilden einen Einigungspunct aller Stände und Glaubenssecten,
und werden mit allgemeiner Begeisterung begangen. Es verhält sich
damit ähnlich wie bei uns mit mancher alten Volks- und Hausgewohnheit,
deren Ursprung oft in die heidnische Zeit hinaufgeht,
deren wahre Bedeutung längst vergessen ist; sie ist uns lieb als
alter Gebrauch, den wir seit frühester Kindheit begangen haben und
auch in reiferem Alter ungern missen. Je schärfer ausgeprägt die
Eigenthümliclikeit eines Stammes, desto mehr solcher uralten Sitten,
Gebräuche und Feste werden sich erhalten, die, aus der Heidenzeit
stammend, oft in gradem Widerspruch mit dem Christenthume
stehen, oder ihm nothdürftig angepasst sind. So begleiten auch
. den buddistischen Japaner Gebräuche und Feste des KAMi-Dienstes
von der Wiege bis zum Grabe durch das Familien- und Bürgerleben.
Sie führen ihn erheiternd und erbauend im Kreise des Jahres herum
und mahnen zu bestimmten Tagen und Stunden an die Vorzeit, an
die Pflichten gegen sich selbst und die Seinen, gegen seine Mitbürger
und Vorgesetzten. Japanischer Anstand und Lebensart stehen in
enger Beziehung zu dem K a m i -Dienste, die Festgebräuche sind eine
Schule der jugendlichen Bildung, sie verfeinern die Sitten und lenken
die Vergnügungen.
In jeder Wohnung ist an erhöhtem Platze eine kleine aus
weissem Holz geschnitzte Hauscapelle, M i t a , aufgestellt, in welcher
das G o h e i 8) , ein aus Papierstreifen bestehendes Sinnbild des K am i
aufbewahrt wird. Davor stehen Blumentöpfe und Opfergeräthe, und
zur Seite Laternen von eigenthümlicher Form. Becher mit frischen
Zweigen des immergrünen S a k a k i , der Myrthe und Cypresse
schmücken das häusliche Heiligthum, und in den Gefässen wird zu
bestimmten Zeiten Thee, S a k i und gereinigter Reis geopfert. An den
R e i b i , den Jahrestagen des K a m i , bei Volks- und Familienfesten hängt
man sinnbildliche Verzierungen, Gemälde und künstliche Blumen-
sträusse dort auf, und die festlich gekleideten Familienglieder begehen
die Feier je nach ihrer Bedeutung mit gemessenem Ernst oder heiteren
Spielen. — Auch in dem Gärtchen, das fast keinem japanischen
Hause fehlt, ist dem Hausgötzen ein zierlicher Ehrensitz bereitet. —
Seinem Wesen nach ist der S i n t o -Dienst ein Natur- und
Ileroencultus; alle Andachtsübung scheint auf Erhebung der Seele an
wunderbaren Naturkräften und menschlicher Grösse hinauszulaufen9).
s) Das Gohei so ll ein Sinnbild der Reinheit s e in , nach A n d e ren ständen au f den
Papierstreifen M o r a l- und Weisheitssprüche;
) Ein kurzer A b riss der Myth o lo g ie und Gö tterlehre, sow e it sie dem Verfasser
aus den ihm zugänglichen Quellen deutlich w u rd e , is t Bd . I. S . 13 zu finden. B ei
näherer Erforschung der Einzelheiten geräth man in Verwirrung und Widersprüche,
die schwerlich jem a ls zu heben se in w e rd en , wenn sich nicht etwa be i näherer B e kanntschaft
mit den Lehren ein leiten der Grundgedanke entdecken l ä s s t . ' D e r
Ausdrupk Kami wird bald für die obersten G o tth e iten , bald für vergötterte Mensch en
und Naturkräfte gebraucht, während doch T e n - zio- d a i - zin als die e in zig e m en schlicher
A n betun g zugängliche G o t t h e i t zu g e lten , die übrigen Kami aber, personificirte
Na turkräfte, canonisirte H errscher, H eld en und W oh lth ä te r , eher die R o lle von
Heiligen und Mittlern zu spielen scheinen.