
Verstärkungen hoffen, mussten sich daher auf allgemein gehaltene
Remonstrationen beschränken. Der Reichsrath schickte dann von
Zeit zu Zeit einen Bunyo nach Y o k o h a m a , mit Freundschaftsversicherungen
und dem Versprechen einer besseren Zukunft, doch
merkte man deutlich, dass es nur Form war. Herr von Bellecourt
erliess, um ein freundschaftliches Verhältniss anzubahnen, schon
bei Gelegenheit des Ministerwechsels ein Schreiben an den Reichsrath,
worin er an die Verträge mahnte und auf Erschliessung der
Strasse von S im o n o s e k i drang, erhielt aber nur ausweichende,
nichtssagende Phrasen zurück: der T a ï k ü n beschäftige sich lebhaft
mit Regelung der Vertragsfragen, könne aber bei der herrschenden
feindseligen Stimmung nur langsam vorgehen; er beabsichtige auch
den Fürsten von N a n g a t o z u strafen, müsse aber behutsam auf-
treten, weil Jener der Liebling des M i k a d o sei. — Irgend welche
Auskunft über die politischen Vorgänge in M i a k o während der Anwesenheit
des T a ï k ü h z u erlangen gelang den Diplomaten niemals.
Sicher aber suchten die Partheien sich dort mit List und Gewalt
zu überflügeln, und der Hof des Erbkaisers war auf das Engste in
die Intriguen verstrickt.
Anfang August war Seiner Majestät Corvette Gazelle mit
dem königlichen General - Consul für China, Herrn von Rehfues an
Bord, vor Y o k u h am a eingetroffen. Admiral Jaurès, unter dessen
Oberbefehl damals die Vertheidigungsanstalten der Niederlassung
standen, sprach sogleich den Wunsch aus, dass die preussische
Schiffsmannschaft sich an dem Dienste betheiligen möchte. Der
Commandant, Capitän z. S. von Bothwell, ging bereitwillig auf diesen
Vorschlag ein und schiffte nebst zwei Bootsgeschützen hundert
Matrosen und Seesoldaten aus, weichein dem Waarenmagazin eines
preussischen Kaufmannes einquartiert wurden. Die befehligenden
Officiere und Cadetten bezogen das Haus des preussischen Vice-
Consuls zu Shanghai, Herrn Probst, der es zur freien Verfügung
des General-Consuls gestellt hatte; sie verständigten sich über die
gemeinsamen Schutzmaassregeln mit dem französischen Obereom-
mandanten und besetzten einen besonders exponirten Theil der
Niederlassung, zu dessen Bewachung es bisher an Mannschaft
gefehlt hatte. Die Diplomaten und Schiffscommandanten waren
unausgesetzt auf die Sicherheit der Ansiedler bedacht, während
diese sich nach der Indemnitätszahlung bald wieder der alten
Sorglosigkeit überlissen. Sie wurden zuweilen durch Gerüchte von
drohenden L o h i n -Banden aus ihrer Ruhe geschreckt, gewöhnten
sich aber, da nichts vorfiel, auch daran, und nahmen im Laufe
der nächsten Monate ganz ihre alte Lebensweise wieder auf. Viele
Kaufleute und Officiere machten täglich Spazierritte in die Umgegend
, wo sie allenthalben Observationsposten der kaiserlichen
Truppen fanden; das Land schien gut bewacht zu sein. Seit
Richardson’s Ermordung war ein Jahr vergangen; man glaubte,
dass die schwere Geldbusse der Regierung eine heilsame Lehre
gewesen sei, vergass aber, dass keine Behörde der Welt fähig ist,
dem Meuchelmorde vorzubeugen.
Am 14. October Nachmittags brachten Japaner die Nachricht
nach Y o k u h a m a , dass auf einem Feldwege, eine Stunde von der
Stadt, die Leiche eines Ausländers läge. Mehrere Consuln und
Officiere machten sich mit einer japanischen Patrouille alsbald dahin
auf und fanden den verstümmelten Körper eines Officiers vom dritten
afrikanischen Jäger-Bataillon. Lieutenant Camus war an diesem Tage
gegen seine Gewohnheit ohne Revolver ausgeritten und schien von
mehreren Banditen aus dem Hinterhalt angegriffen worden zu sein.
Die rechte Hand lag, durch einen Säbelhieb glatt vom Arme getrennt,
ein Stück des Zügels haltend nicht weit vom Körper, der
von klaffenden Hiebwunden starrte. Das leicht verletzte blutbegossene
Pferd lief scheu in den nächsten Feldern umher. Den Mördern hatte
das coupirte buschige Terrain schnelle Bergung gestattet; doch
stellten die polizeilichen Nachforschungen heraus, dass ein Bauer
der That von weitem zusah. Nach seiner Aussage waren es
drei Zweischwertige, die nachher in der Richtung des T o k a id o
flüchteten. Die Polizei verfolgte durch ihre Spione die Spur noch
auf grosse Entfernung, verlor sie dann aber, und erklärte nun am
Ende ihrer Hülfsmittel zu sein.
Der Charakter und die Verhältnisse des Lieutenant Camiis
schlossen jeden Gedanken an persönliche Rache aus; es war wieder
eine Handlung des Fanatismus und ein neues Zeichen der Gegenwart
blutdürstiger Banditen in der Umgehung von Y o k u h am a . Die
Repräsentanten der Vertragsmächte traten mit den Schiffscommandanten
am 19. October zur Verabredung neuer Schutzmaassregeln
zusammen, denn man erkannte, nachdem das Bewusstsein der Gefahr
wieder geweckt, die getroffenen Anstalten für unzureichend.
Aber Admiral Kuper, der über die ansehnlichsten Kräfte verfügte,
glaubte seine zweitausendfünfhundert Mann nicht durch Wachtdienst