
6 S. Anna. S. Vincente.
vom Beginn an zeigten sich die Felsengehänge und feuchten Waldschluchten,
an und durch welche der Weg führte, so reich an
Farn, Laubmoosen, Lebermoosen und Flechten aller Art, dass Flerr
Wichura sein Pferd gar nicht bestieg, und in der That,. auch der
Nicht-Botaniker fühlte sich zum Studium der Cryptogamen angelockt
durch die lebhaft gelben Astflechten, Alectoria flavicans Sw., auf
Erica arborea, welche uns zum Tort gern an den steilsten, unzugänglichsten
Stellen wuchs, die bleichen Usneen an Oreodaphne,
ein niedliches Stereocaulon an feuchten Feisen, die krausen Cladonien
an trockeneren Stellen, die in den Stein förmlich vertieften verschiedenfarbigen
Krustenflechten und die zahlreiche Reihe von Farn,
welche man hier bei einander sah, von unserm wohlbekannten
Adlerfam bis zu der fein zertheilten, an den Lorbeerbäumen
kriechenden Davallia Canariensis. Landschnecken waren dagegen um
so seltener, trotz der reichlichen Feuchtigkeit, ohne Zweifel wegen
der vulkanischen Bodenbeschaffenheit, d. h. des Mangels an Kalk.
Um so mehr zoologische Ausbeute gewährte am nächsten Tage, der
in S. Vincente verbracht wurde, ein in Müsse ausgeführter Besuch
der Meeresküste (s. unten). Der dritte Tag wurde fast ganz zu
Pferde verbracht, beständig bergauf und bergab, und wir lernten
jetzt erst die Vortrefflichkeit unserer kleinen Thiere gehörig schätzen,
welche die steilsten, oft tieppenartig gepflasterten Aufgänge im
Galopp hinaufeilten und abwärts, wo die losen Steine und stellenweise
der feuchte glatte Lehmboden selbst den Fussgänger bedenklich
machen konnten, langsam mit sicherem Tritte hinabstiegen. Der
Unterschied dieser Nordseite von der Südküste in Bezug auf die
Vegetation erscheint dem Laien nicht so bedeutend, als er erwartet;
denn grosse Mesembryanthemum und verwilderte Agaven fallen auch
hier ins Auge, wie unter den Culturpflanzen Zuckerrohr und einzelne
Bananen. Zu guter Zeit Nachmittags in Santa Anna angekommen,
blieb mir noch Zeit, auch hier zur See herabzusteigen, diesesmal
nicht auf breitem Fahrwege, wie bei S. Vincente, sondern auf
wahren Ziegenpfaden, die ich nicht betreten hätte, wenn ich nicht
schon halbwegs gewesen wäre und der kleine Junge, der aus einem
Begleiter mein Führer'geworden war, mir versichert hätte, man
könne da hinunter; denn die letzten hundert Fuss weit hatten wir
das Meer mit seinen grossen schwarzen Lavablöcken ziemlich senkrecht
unter uns und mussten uns immer erst die Stelle suchen, wo
wir den Fuss oder wenigstens den Fussrand aufsetzen konnten.
Pico Ruivo. Ribeiro frio. 7
Als ich von unten nach dem zurückgelegten Wege emporsah, überkam
mich erst ein leiser Schauer und dann grosse Zufriedenheit,
mit ganzen Gliedern unten zu sein. Hier dieselben Patellen und
Trochus, wie bei S. Vincente. Hohe, von der steilen Uferwand
abgelöste Felsenpfeiler, wie sie von Helgoland her den meisten
meiner Leser .bekannt sein mögen, bezeugten, mit welcher Gewalt
und Ausdauer hier die Brandung arbeitet, und doch fanden sich
kleine zarte Fliegen (Dipteren) zahlreich gerade an den noch vom
Meerwasser feuchten Stellen der Felsen ein. Für die Rückkehr
fand sich ein bequemerer Weg.
Den nächsten Tag hatten Herr "Wichura und ich für die
Besteigung des Pico Ruivo (6056 Fuss hoch nach der mir vorliegenden
englischen Karte) bestimmt; . trotz des nassen Lehmbodens
gingen wir rüstig aufwärts, bald war die Culturregion hinter uns,
Ulex und Spartium scoparium wurden vorherrschend, von ersterem
fast alle Exemplare blühend, von letzterer noch nicht; auch der
rothe Fingerhut ist hier, Laub - und Lebermoose in Menge, Tausend-
füsse und Kellerasseln nicht minder, und zu der einen Glasschnecke
(Vitrina Ruivensis) des vorigen Tages ist die zweite schönere Art
mit orangeroth verbrämtem Mantel (V. nitida Gould) hinzugekommen.
Aber endlich kommen wir in dichten Nebel, unser Führer, der sich
anfangs noch nach einem thurmähnlichen Felsblock, hom en pe,
Mann zu Fuss oder aufrechter Mann, genannt, orientirt hatte, kennt
sich gar nicht mehr aus, auf alle unsere Fragen ist nur das trostlose
no sai, ich weiss nicht, aus ihm herauszubekommen, und statt über
den grossen Corral nach Funchal, müssen wir so wieder nach Santa
Anna zurück, um am nächsten Tage nach Funchal zurückzukehren,
erst durch die schöne »kühle Schlucht« (Ribeiro frio), voll Lorbeerbäume
und romantischer Felsformen, die auch an Landschnecken
einige Ausbeute liefern, und dann über ein Plateau mit kurzem
Gras, hohem Moos (Polytrichum) und dem einheimischen Heidelbeer-
strauch, Vaccinium Madeirense, höher als der unserige, aber die
Beeren minder wohlschmeckend. In Funchal war unterdessen, zu
meiner traurigen Ueberraschung, Segelordre für die„»Thetis« ein-
getroffen, und ich benutzte die zwei letzten Tage noch, um durch
einen Taucher, den mir der freundliche Herr Herschel aus Mannheim
zugeführt, einige Meerthiere aufzufischen und die Bekanntschaft
des Herrn Johnson zu machen, der seit längerer Zeit sich speciell
mit den niederen Thieren dieser Insel beschäftigt und seitdem mehrere