
psychische Leben der Ameisen erbracht; er schreibt ihnen ausser den socialen Instinkten, die auf
sinnlichen Trieben, sinnlichem Wahrnehmungs- und Mittheilungsvermögen beruhen, auch einen gewissen
Grad von individueller Intelligenz zu, bemerkt jedoch, dass die socialen Instinkte bei weitem das
Uebergewicht über die individuelle Intelligenz besässen, während bei den höheren Wirbelthieren das
Umgekehrte der Fall sei. Emery1) stimmt mit Forel darin überein, dass das psychische Leben der
Thiere Instinkt und Intelligenz umfasse, und dass die höheren Thiere einen bedeutend höheren Grad
von Intelligenz besitzen als die Ameisen.
Meine Ansicht (21, 2 4 , 46, 58, 5 9 )2) deckte sich mit derjenigen Forel’s und Emery’s insoweit,
als auch ich den Thieren ausser den erblichen Instinkten die Fähigkeit zuerkannte, auf Grund von
Sinneswahrnehmungen neue Vorstellungsverbindungen zu bilden und dadurch die Ausübung der angeborenen
Instinkte in geringerem oder höherem Masse zu modificiren. Letzteres Vermögen bezeichnete
ich jedoch nicht als Intelligenz, da Intelligenz in dem hergebrachten Sinne des "Wortes ein formelles
Zweckbewusstsein (Einsicht in die Beziehung von Ursache und Wirkung, von Mittel und Zweck) ein-
schliesst, welches bei Thieren nach meiner Ansicht'nicht existirt, da auch die sogenannten intelligenten
Handlungen höherer Thiere durch einfachere Associationsvorgänge (W u n d t) sich erklären lassen.
Wegen des innigen Zusammenhanges, der die Modificirung eines angeborenen Instinktes durch die
individuelle Sinneserfahrung mit jenem Instinkte selber verbindet, bezeichnete ich sie als „instinktiv
im weiteren Sinne“ im Gegensatz zu „Instinkt im engeren Sinne“. Was speciell die Ameisen anlangt,
hatte ich die Vermenschlichung des psychischen Lebens derselben eingehend zurückgewiesen
und gezeigt, dass deren vorgebliche Intelligenz auf Instinkt theils im engeren, theils im weiteren Sinne
zurückzuführen sei. Andererseits hatte ich jedoch auch verlangt, dass man das Seelenleben der höheren
Thiere nicht a priori mit einem anderen Maassstabe messe als dasjenige der Ameisen; ich hatte auch
nachgewiesen, dass dasjenige, was man bei den höheren Thieren als Intelligenz deutete, ebenfalls aus
deren sinnlichem Erkenntniss- und Strebevermögen befriedigend erklärlich sei. Dass die Thätigkeiten
der A.meisen in weiterem. Umfange von angeborenen Instinkten (Instinkt im engeren Sinne) geleitet
werden als jene der höheren Wirbelthiere, hatte ich ausdrücklich hervorgehoben (z. B. 59 S. 119).
Von der ändern Seite machte ich jedoch darauf aufmerksam, dass auch bei den Ameisen von einem
starren „erblichen Automatismus“ des psychischen Lebens keine Rede sein könne, indem auch bei
ihnen mannigfaltige Beispiele von Modificirung der angeborenen Instinkte unter dem Einfluss der
individuellen Sinneswahrnehmung sich finden; ich betonte ferner, dass diese psychischen Aeusserungen
in manchen Fällen selbst hinter den sogenannten intelligenten Thätigkeiten der höheren Wirbelthiere
nicht zurückstehen.
Was somit meine Ansicht von derjenigen Forel’s ünd Emery’s scheidet, liegt hauptsächlich in
der verschiedenen Definition des Begriffes „Intelligenz“ und in der Anwendung dieses Begriffes insbesondere
auf die höheren Thiere. Aber dass es möglich sein sollte, den Ameisen überhaupt jedes
psychische Leben abzusprechen, daran haben weder Forel noch Erpery noch ich jemals gedacht.
Der schwedische Ameisenforscher G. A d le r z , dem wir besonders werthvolle Beobachtungen
über die Lebensweise von Formicoxenus niüdulus und Tomognathus stiblaevis verdanken, und der die
früher unbekannten Männchen dieser Ameisenarten entdeckt hat, äusserte sich in seinen Ameisen*)
Intelligenz und Instinkt der Thiere (Biol. Centralbl. XIII. 1893 Nr. 4 u. 5. S. 151—155); Instinkt, Intelligenz
und Sprache (Biol. Centralbl. XVIII. 1898. Nr. 1. S. 17—21).
2) Siehe das Literaturverzeichniss am Schlüsse vorliegender Arbeit.
stu d ien*);, soweit meine unvollkommene Kenntniss der schwedischen Sprache reicht, nirgendwo ex
professo über die psychischen Fähigkeiten der Ameisen. Dass er sie jedoch nicht für blosse Reflexmaschinen
hält, geht aus seinen Schilderungen ihrer Biologie klar hervor.
Ch. J a n e t , der in den letzten Jahren nicht wenige interessante Mittheilungen über die
Ameisen veröffentlichte2), hat sich über die psychischen Fähigkeiten derselben ebenfalls nicht eigens
ausgesprochen; aber aus seinen Arbeiten geht hervor, dass er an dem sinnlichen Wahrnehmungsvermögen
der Ameisen nicht im geringsten zweifelt. Ein anderer französischer Ameisenkenner, Ernest
A n d r é , hat in seinem Buche „Les fourmis“ (Paris 1885) sich zwar einerseits wiederholt, und mit
vollem Recht, gegen die kritiklose Vermenschlichung des Ameisenlebens (durch B ü ch n e r etc.) geäussert;
aber an den psychischen Fähigkeiten der Ameisen überhaupt zu zweifeln, lag ihm so ferne, dass e r'
ihnen sogar „Intelligenz“ zuerkennen zu müssen glaubt und sagt, es könne keinem genauen Beobachter
des Ameisenlebens einfallen, dieselbe zu leugnen (p. 86). Da er die „intelligence“ dem „instinct
aveugle“ gegenüberstellt, wollte er mit jenem Worte wohl nur das sinnliche Associationsvermögen bezeichnen.
Sachlich, scheint daher auch Ernest André dieselbe Ansicht über die psychischen Fähigkeiten
der Ameisen zu vertreten wie ich. Ja, auch Herr H. E. Z ie g le r , der von der psychischen
Begabung der Ameisen keine hohe Meinung hat3), ist doch weit davon entfernt, die Existenz der
sinnlichen Wahrnehmung bei denselben zu leugnen und sie für empfindungslose Reflexmaschinen
zu erklären.
Dieser letztere Versuch ist nun endlich auch gemacht worden von Herrn Albrecht B e th e .
Derselbe erörtert in einer kürzlich erschienenen, interessanten Schrift4) die Frage „Dürfen wir den
A m e i s e n u n d B i e n e n p s y c h i s c h e Q u a l i t ä t e n z u s c h r e ib e n “? und er glaubte diese Frage
mit „ n e in “ beantworten zu müssen.
Da ich bereits in mehreren meiner früheren Schriften (21, 58, 59) die Vermenschlichung des
Ameisenlebens von Seiten der sogenannten „modernen Thierpsychologie“, welche den instinktiven
Thätigkeiten der Thiere intelligente Absichten unterschiebt, als unhaltbar nachgewiesen habe, werde
’) Myrmecologiska Studier I. Formicoxenus nitidulus. (Öfv. Ak. Förh. Stockholm 1884 Nr. 8) ; Myrmecologiska
Studier II. Svenska myror och deras lefnadsförhällanden. (Bih. Svenska Ak. Stockholm 1886. Bd. 11 Nr. 18);
Om digestion Sekretionen jemte nagra dermed sammanhängande fenomen hos Insekter och Myriopoder (Bih. Svenska
Ak. Stockholm 1890, Bd. 16. Afd. IV. Nr. 2); Stridulationsorgan och ljudförnimmelser hos myror (Öfv. Ak. Förh.
Stockholm 1895 Nr. 10); Myrmecologiska Studierill. Tomognathus sublaevis (Bih. Svenska Ak. Bd. 21. Afd. IV. Nr. 4;
Stockholm 1896); Myrmecologiska Notiser (Entom. Tidskr. 17; H- 2. 1896).
2) .»Études sur les fourmis, les guêpes et les- Abeilles.“ Seit 1893 sind 15 „Notes“ über diesen Gegenstand
erschienen, von denen Note 9, 10, 11 sich mit Vespa-Arten. befassen, während Note 2, 3 und 15 hauptsächlich
Beobachtungsapparate behandeln; Nr. 5 , 6 , 7, 8 , 12 sind anatomischen Inhalts. Eine Reihe von Mittheilungen
über Ameisen von demselben Verfasser finden sich überdies in dem Compt. Rend. Ac. Sei.. Paris seit 1893.
Von besonderem biologischen Interesse sind seine Beobachtungen über die in den Speicheldrüsen von F. rufa und
Lctshts flams entdeckten parasitischen Nematoden, sowie über die Beziehungen der myrmekophilen Lepismiden zu den
Ameisen und über die Lebensweise von 'Antennophorus Uhlmanni und Discopoma comata in den Ameisennestern.
8) Ueber den Begriff des Instinktes (Verh. deutsch. Zool. Ges. 1892, S. 122—136). Vergl. auch dessen
Referat im Zool. Centralbl. IV. 1897 Nr. 26 über Nr. 5 8 und 5 9 meiner Schriften, sowie sein Referat im Zool.
Centralbl. V. 1898 Nr. 8 über Bethe’s Ameisenstudie. In letzterer hat Herr Ziegler übersehen, dass B. den Ameisen
nicht bloss das Vermögen zu lernen, sondern auch alle einfachen psychischen Qualitäten der Empfindung, Sinneswahrnehmung
u. s. w. nicht zuerkennen will. Ich musste hierauf aufmerksam machen, da Ziegler daselbst glaubte,
zwischen ihm und B. bestände eine blosse Differenz in der Ausdrucksweise, und er könne letzterem „sachlich ganz zustimmen.“
(Vgl. auch Biol. Centralbl. XVIII.- 1898, Nr. 15. S. 580 Anm. 1 .)
4) „Dürfen wir den Ameisen und Bienen psychische Qualitäten zuschreiben?“ (Arch. f. d. ges. Physiol.
70. Bd. S. 15—100, mit 2 Taf., Sep. Bonn 1898.)