die Dressur liöherer Thiere haben. Es besteht nämlich e r s t e n s zwischen Mensch und Ameise ein
ganz ungeheuerer Unterschied in der K ö r p e r g r ö s s e . Daher kommt es, dass der sinnliche Eindruck,
den ein Mensch auf eine Ameise macht, stets ein durchaus fremdartiger, gewaltsamer bleiben wird.
Wenn es mir trotzdem thatsächlich gelungen ist, eine kampflustige Ameise so weit zu zähmen, dass
sie den Honig von meiner Fingerspitze ruhig ableckte und sich dann ohne Widerstreben in das Nest
zurücksetzen liess, so ist das schon ein sehr grösser Erfolg in Anbetracht der Schwierigkeiten, die
wegen der Verschiedenheit der Körpergrösse von Mensch und Ameise jenem Zähmungsversuche sich
entgegenstellen. Z w e i t e n s besteht zwischen dem Menschen (bezw. den höheren Thieren) und einer
Ameise ein grösser Unterschied in d e r B e s c h a f f e n h e i t d e r S in n e s o r g a n e , durch welche die
sinnlichen Eindrücke vermittelt werden Die Ameisen sind vorwiegend G e r u c h s -, T a s t - und Ge-
s c h m a c k s th i e r e . Der G e s i c h t s s in n hat für die Leitung und Modificirung ihrer Lebensthätig-
keiten eine geringere Bedeutung als bei den höheren Thieren; zudem könnte eine Ameise den Me*nschen
schon desshalb durch ihren Gesichtssinn niemals kennen lernen, weil der Mensch ihr gegenüber ein
unübersehbarer, bergähnlicher Koloss ist, von dem sie unmöglich eine einheitliche Gestaltwahrnehmung
haben kann. Der G e h ö r s s in n der Ameisen bietet endlich so gut wie gar keine Anknüpfungspunkte
für eine Dressur; die Laute, welche die Ameisen mit einiger Wahrscheinlichkeit als Laute wahrzunehmen
vermögen, sind feine, hohe Zirplaute, die das menschliche Sprachorgan gar nicht hervorzubringen
vermag. Bei den höheren Thieren liegen die Verhältnisse für eine Dressur viel günstiger.
Ihre Körpergrösse nähert sich weit mehr derjenigen des Menschen, und ihre Sinnesorgane sind, namentlich
bei den höchsten Säugethieren, in ähnlicher Weise entwickelt wie beim Menschen. Ausser dem
G e r u c h s - , G e s c h m a c k s - und T a s t s in n stehen dem Menschen insbesondere das G e s i c h t und
G e h ö r der höheren Thiere zum Zwecke der Abrichtung derselben zu Gebote. Ein Hund kann seinen
Herren nicht bloss am Gerüche, sondern auch an seiner Gestalt und Kleidung und namentlich an
der Stimme erkennen. Daher vermag der Mensch auch in viel wirksamerer und mannigfaltigerer
Weise die Dressur eines Hundes zu bewerkstelligen als diejenige einer Ameise. Schon ein grösser
Naturforscher und Denker des Alterthums, Aristoteles, hat gesagt,1) nur jene Thiere s.eien einer eigent-
ichen A b r ic h tu n g fähig (docilia), welche G e h ö r besitzen, und zwar ein Gehör für jene Laute, die-
Ider Mensch durch sein Sprachorgan hervorbringen kann. Diese Bemerkung wird man als nicht un
berechtigt erkennen, wenn man die allbekannte Methode erwägt, wie die höheren Thiere vom Menschen
thatsächlich dressirt werden und seinen Befehlen gehorchen lernen. Darauf werde ich weiter unten
zurückkommen.
Nehmen wir einmal an, der Mensch wäre ein Wesen von der Grösse und Gestalt einer
Ameise und mit den entsprechenden Sinnesorganen, insbesondere mit einem Paar echter Ameisenfühler
ausgestattet; aber er besässe überdies eine wirkliche’Intelligenz, während die Ameise bloss
sinnliche Erkenntniss- und Strebefähigkeiten habe. Dann wäre es für den Ameisenminiaturmenschen
ohne Zweifel leichter, sich mit einer Ameise in Verbindung zu setzen und dieselbe zu seinen Zwecken
zu „dressiren“. Wenn man bedenkt, wie die wirklichen Ameisen trotz ihres Mangels einer eigentlichen
Intelligenz dennoch gewisse Käferarten (Atemeies, Lomechusa, Glaviger etc.) als „echte Gäste“
und angenehme Gesellschafter durch ihre selbständige sinnliche Erfahrung keDnen lernen können,
obwohl die Coleopteren einer ganz anderen Insektenordnung angehören als sie selber, so wird man
J) Methaphys. lib. 1. c. 1.: „3?p6vi|ia ¡iev (xoc £$a) öivsu ioü (lavfrdveiv, 8aa |irj iövaxai xfijv cfjöcptov dxoöeiv, olov
lisXiTxa, */.at ei xi xoioGxov S X k o yevog £cjjcöv 4 o t£ v • [iav&avst, 8’oca -¡zpbg xyj [ivt)jj/q %al -caöxrjv e ^ e i x rjv alo^oiv.“
zugeben müssen, dass bei der allerdings rein poetischen Voraussetzung, der Mensch wäre in seiner
Gestalt,,;seinen Sinnes- und Verkehrsorganen ein intelligentes ameisenähnliches Wesen, eine Dressur
der Ameise durch den Menschen in w e i t v o llk om m e n e r em G r a d e möglich sein würde als es
in der That der Fall ist. Man wird aus dieser dichterischen Fiction wenigstens so viel ersehen, dass
die vollkommenere Dressirbarkeit der höheren Thiere n ic h t auf eine überlegene psychische Begabung
derselben als auf ihre Hauptursache zurückgeführt werden darf. Die wirkliche Hauptursache liegt
vielmehr darin, dass erstens der Unterschied in der Körpergrösse zwischen dem Menschen und den
höheren Thieren ein weit geringerer ist als zwischen dem Menschen und der Ameise, und dass zweitens
eine viel grössere Aehnlichkeit der Sinnesorgane und der entsprechenden sinnlichen Verkehrsmittel
zwischen dem Menschen und den höheren Thieren vorliegt als zwischen dem Menschen und der Ameise.
D e s s h a lb stehen dem Menschen zur Dressur eines Säugethieres weit wirksamere und weit umfassendere
Mittel zu Gebote als zur Dressur einer Ameise.
Vor einer Ueberschätzung des psychologischen Werthes der Dressirbarkeit höherer Thiere wird
uns auch eine sorgfältige Prüfung der Methode bewahren, w ie d i e s e T h ie r e vom M e n s c h en
d r e s s i r t w e r d e n . Die Auskunft, welche ein geschulter Thierbändiger in einem Circus hierüber zu
geben vermöchte, dürfte die populären Anschauungen von der „hohen Intelligenz“ der Pferde, Hunde
u. s. w. wohl bedeutend herabstimmen und auf ihr richtiges Maass zurückführen. Es ist nicht selten
ein geradezu grausames Verfahren, das bei jener Dressur zur Anwendung kommen muss; die Furcht
des Thieres vor der Peitsche und der Hunger sind meist die hauptsächlichen „Bildungsmittel“. Der
Mensch kann seine Dressur überhaupt nur bewerkstelligen auf der Basis, welche die sinnliche Wahrnehmung
und die sinnlichen Triebe des Thieres ihm darbieten. Auf diese Faktoren muss er nach
einem geschickt erdachten Plane einwirken, indem er durch intelligente Anordnung bestimmter sinnlicher
Eindrücke jene Associationen in dem Gehirn des Thieres hervorruft, welche er haben will;
durch gesetzmässige Wiederholung dieser sinnlichen Eindrücke werden dann nach und nach die betreffenden
Associationen dem Thiere gleichsam m e c h a n is c h e in g e p r ä g t . Dies zeigt sich auch
in der Methode, wie Lubbock1) seinem klugen Pudel Van das „Lesen“ beibrachte, indem er'ihn
dazu abrichtete, z, B. die mit „food“ beschriebene Tafel herbeizubringen, wenn Van Hunger fühlte.
Die erste Stufe des Verfahrens bestand darin, dass dem bereits an seinen Herren gewöhnten Hunde
die entsprechende Tafel vorgehalten wurde, wenn er Futter erhielt. Später wurde auf dieselbe Tafel
hingezeigt, wenn der Hund gefüttert werden sollte, und er erhielt das Futter erst dann, wenn er die
richtige Tafel apportirt hatte, auf welcher das Wort „food“ in grossen Lettern geschrieben stand.
Da der Hund hiebei wahrscheinlich auch durch den Geruch die verschiedenen Tafeln unterscheiden
lernte, wurde die sinnliche Unterscheidung derselben durch zwei Sinne vermittelt. Die durch die Intelligenz
des Lehrmeisters in dem Gehirn des Hundes bewerkstelligte Vorstellungsverbindung umfasste
somit folgende Punkte: Das Gefühl des Nahrungsbedürfnisses, die sinnliche Wahrnehmung der so und
so aussehenden, so und so riechenden Tafel und endlich die wiederholte sinnliche Erfahrung, dass das
Nahrungsbedürfniss erst dann befriedigt wurde, wenn die betreffende Tafel von ihm apportirt worden
war. Diese letztere sinnliche Erfahrung beruhte auf dem s in n l i c h e n G e d ä c h t n i s s e des Thieres
oder, wie Wundt es nennt, auf einer „ B e r ü h r u n g s a s s o c ia t io n “. Sie hatte nichts weiter zu bewirken,
als dass dem Hunde beim erneuten Auftreten des Hungergefühles auch jene konkreten Umstände
wieder vorgestellt wurden, welche früher regelmässig der Stillung jenes Bedürfnisses vorherx)
On the senses, instincts and intelligence of animals. Lond. 1889. Chapt. XIY.