mit neuen Holzbrücken in beiden Nesttheilen). Obwohl die alten Geruchsstoffe entfernt sein mussten,
kannten die Ameisen diese beiden Nesttheile doch sogleich wieder; sie untersuchten dieselben mit
ihren Fühlern und benahmen sich in denselben dann genau wie vorher; sie waren ihnen nicht „fremd
geworden“, wie das mehrere Monate abwesende Abfallnest. Ohne die Annahme eines sinnlichen Gedächtnisses,
welches die früheren Eindrücke bewahrt hatte, dürften wir hier schwerlich auskommen.
Durch einen blossen Reflexmechanismus lassen sich derartige Thatsachen nicht erklären, sondern nur
mit Zuhilfenahme sinnlicher Wahrnehmung, sinnlicher Empfindung und eines sinnlichen Gedächtnisses.
Wenn man Affen oder andere höhere Thiere aus ihrer Freiheit in einen Glaskäfig bringt und
in demselben hält, so müssen auch sie erst durch Erfahrung allmählich lernen, dass das Glas trotz
seiner Durchsichtigkeit ein fester Körper ist, welcher sie von der Umgebung schützend trennt. Auch
sie reagiren anfangs durch Yertheidigungs- oder Fluchtgebärden gegen drohende Bewegungen, die
ihnen von draussen gemacht werden. Wenn sie nach und nach gegen derartige Gesichtseindrücke
gleichgiltig werden, so sagt man, sie hätten sich durch Erfahrung daran gewöhnt; die erfahrungs-
mässige Unschädlichkeit jener Drohbewegungen hinter der Glaswand mache sie gleichgiltig gegen dieselben
Gesichtseindrücke, welche sie anfangs in Schrecken setzten. N u n , g a n z d a s s e lb e is t au ch
b e i A m e i s e n d e r F a l l , n a m e n t l i c h b e i Formico sanguinea, d i e g a n z d a s s e l b e s eh r ra sch
le r n t . Wesshalb sollen also die Ameisen blosso „Reflexmaschinen“ sein, die höheren Thiere dagegen
nicht? Ein denkender Naturforscher kann eine derartige Inkonsequenz schwerlich billigen.
Vielleicht scheint es manchem, ich hätte mich bei diesen Erwägungen länger aufgehalten als
nöthig war zum Beweise, dass die Gesichtswahrnehmungen der Ameisen keine blossen „Photoreflexe“
seien. Ich gehe daher zu anderen Beobachtungen über, welche über die Beschaffenheit jener Gesichtswahrnehmungen
etwas mehr Licht geben dürften.
Die äusserste Distanz, auf welche F. rufa und pratensis den sich bewegenden Finger durch
die Glaswand zu sehen vermögen, wenn man denselben nicht zwischen dem Fenster und dem Glase,
sondern auf einer der Lichtquelle abgewandten Seite bewegt, beträgt nach meinen Beobachtungen
IV2 dem. Für F . sanguinea ist die äusserste Distanz etwas geringer, nämlich nur 1 dem.
Dass die Ameisen sich bewegende Gegenstände leichter sehen als ruhende, ist. bereits von
Forel bemerkt und näher erläutert worden. Dass übrigens die Ameisen auch dann noch den Finger
auf eine Distanz von —1 dem zu sehen vermögen, wenn man denselben nach der Annäherung
ruhig hält, habe ich bei obigen Experimenten mit den genannten drei Ameisenarten oft wahrgenommen.
Kleinere Gegenstände dagegen, z. B. Käfer von der halben Grösse der Ameisen, vermögen sie, wenn
dieselben sich n i c h t bewegen, nur schwer und auf eine geringe Distanz von höchstens 4—5 mm zu
sehen. Meine Versuche über die internationalen Beziehungen der Ameisengäste boten mir in den
letzten 15 Jahren reichliche Gelegenheit zu Beobachtungen über diesen Gegenstand. Ich hebe hier
nur folgende besonders merkwürdige Punkte hervor.
F . rufa, pratensis, sanguinea, rufibarbis und fusca konnten, wenn ihre Aufmerksamkeit auf
die Verfolgung von Dinarda gerichtet war, manchmal sogar eine still dasitzende Dinarda (4—5 mm
lang und 1,5—2 mm breit) auf eine Entfernung von 4—5 mm sehen. Dass nicht der Geruchssinn,
sondern der Gesichtssinn es war, der ihnen auf diese Distanz1) die Anwesenheit der Dinarda kundgab,
J) Da ich die Ameisen auch bei Nacht im Dunkeln auf der Verfolgung von Dinarda wiederholt überraschte,
braucht wohl nicht erst erwähnt zu werden, dass sie a u c h durch ihren Fühlersinn (Geruchs- und Tastsinn) die
Dinarda zu erkennen vermögen; aber die obigen Beobachtungen zeigen, welche wichtige Bolle der Gesichtssinn für
die Distanzwahrnehmung der Dinarda durch die Ameisen spielt.
konnte ich wiederholt mit Sicherheit konstatiren. ¿Tn einem meiner Beobachtangsnester von F rufa
war im März und April 1896 eine heftige Verfolgung gegen Dinarda dmtata ausgebrochen, da ich
dieselben m grösserer Zahl zugleich in jenes Nest gesetzt hatte; eine geringere Anzahl dieser Käfer
wurde von rufa wahrscheinlich wiei'bei früheren Versuchen ruhig geduldet worden sein. Durch den
Anblick der plötzlich in Menge erschienenen Dinarda, die im Neste umherliefen, wurde eine allgemeine
Verfolgung derselben veranlasst; auch die ruhenden wurden von Ameisen, die sich ihnen
näherten und sie manchmal auf mehrere Millimeter Entfernung wahrnahmen, angegriffen und verjagt.
Während einer dieser Jagdscenen sah ich eine rufa längere Zeit ruhig dasitzen, während eine D. dmtata
fast unmittelbar -poter ihrem Hinterleibe sich versteckt hielt. Sie konnte den Käfer wegen seiner
Stellung nicht sehen, hätte ihn aber riechen müssen, wenn es der Geruchssinn wäre, der ihr die
Nähe des Käfers anzeigte. Ein anderesmal sass eine D. dmtata im Nestmaterial gerade unter einer
Gruppe beisammensitzender rufa, ohne dass sie den Käfer bemerkten; da lief eine andere Dinarda
:Jh em|i|Entfernung von ca. 5 mm von den rufa vorüber; sofort wurde diese von einer der Ameisen
heftig verfolgt.
Dafür, dass F. sanguinea mittelst des Gesichtssinnes sogar die etwas grössere D. McirJceli von
der kleineren? D . dmtata manchmal bereits auf mehrere Millimeter Entfernung, bevor sie den Käfer
mit den Fühlern berührt hat, zu unterscheiden vermag, finde ich unter meinen Beobachtungen über
dib internationalen Beziehungen von Dinarda mehrere Fälle verzeiohnet. Dasselbe gilt auch für die
Unterscheidung der beiden Dimrd a -A rten bqi F. rufaj hur im entgegengesetzten Sinne, indem bei
rufa die D. dmtata angegriffen, die D. Märkeli dagegen geduldet wurde, während F. sanguinea um-
gekehrt verfuhr.
Für die Bedeutung der Gesichtswahrnehmung der Ameisen in ihrem Benehmen gegen Dinarda
sei hier nur noch folgende neuere Beobachtung (vom 14. April 1898) mitgetheilt. ¿Heute Nachmittag
wurden 4 Dinarda Märkeli aus dem Quarantaingglase, w<ftsie-5 Tage mit reiner Erde aus der Tiefe
eines saMguinearSeatea und mit mehreren Leichen von F . sanguinea, die ihnen als Nahrung dienten,
zusammengewesen waren, direkt in das kleine Fütterungsgläschen der scmguima-'Kdlome 86 11., die in
einem Lubbock’schen Glasnest einquartirt war, übertragen. Die .4 Dinarda laufen sofort in das Nest
hinein und in demselben wie gewöhnlich, langsam schwänzelnd, umher. Eine drängt sich gleich mitten
in einen Klumpen beisammensitzender Ameisen. Eine fusca bemerkt den Käfer und'berührt ihn mit
prüfenden Fühlern und geöffneten Kiefern an der Hinterleibsspitze; dann zieht sie sich ruhig zurück
Die übrigen Ameisen, welche über und neben der Dinarda MärkeU sitzen, scheinen sie gar nicht zu
bemerken. Es ist also n io h t d e r G e r u o h , durch welchen die Anwesenheit der Dinarda sich ver-
rath, sondern vielmehr eine G e is ic h t sw a h r n e hm u n g : 2 sanguinea nacheinander verfolgen kurz
darauf eine D. Märkeli, welcher sie im Neste während der Erhellung desselben b e g e g n e n ; hier
s e h e n sie nämlich den Käfer, was vorhin nnmöglich war, weil jene Dinarda sich von hinten zwischen
die mit den Köpfen gegeneinander zusammengedrängt sitzenden Ameisen eingeschlichen hatte. Nur
eine daneben sitzende fusca hatte sie gesehen; diese wurde dann durch den Geruch der Hinterleibsspitze
deB Käfers, die sie mit ihren Fühlern untersucht hatte, b e r u h ig t . Es war also nicht der
G e ru o h dieses Käfers, sondern sein A n b lick , was die Ameisen zur Verfolgung desselben veranlasste.
Für die (Jesichtswahrnehmung von F . sanguinea, rufiiarkis und fusca ist ferner folgende
Beobachtung von sioherer Beweiskraft. Wenn ioh Nachts das für gewöhnlich bedeckt gehaltene Hauptnest
und Nebennest des auf Taf. I. abgebildeten sa^meu-Beobachtungsnestes abdeekte und dann
.langsam die Lampe näherte, sah ioh während der Dmorfa-Verfolgungen in den letzten zwei Jahren