
kommen. In einer Studie über „das Nervensystem von Gamnws mama s,') der man wegen ihrer
sohönen anatomischen und physiologischen Untersuchungen volle Anerkennung zollen muss, hat B. in
einem eigenen Abschnitte (8. .¡88 403) die psychologischen Grundlagen seiner Erklärung der thieri-
sehen Lebensthätigkeiten entwickelt. Auch hier bin ich in vielen Punkten mit seinen Ausführungen
ganz einverstanden. Er führt zur Widerlegung des Haeckel’schen Panpsychismus die treffenden Worte
Du Bois-Eeymondsa) an: „Er sündigt wider eine der ersten Regeln des Philosophirens: „Entia non
sunt creanda sine neceBsitate;“ denn wozu Bewusstsein, wo Mechanik reicht? Und wenn Atome empfinden,
wozu noch Sinnesorgane?“ Ebenso stimme ich Herrn Bethe darin bei, dass es in das Gebiet
der Mythologie gehöre, den Pflanzen Empfindung und Bewusstsein zuzuschreiben, weil eben die betreffenden
Erscheinungen sich einfacher erklären lassen. Ferner wendet er sich mit Reoht gegen den
Standpunkt jener, welche die thierpsychologischen Facta desshalb nicht als Gegenstand der „exacten
Forsohung“ anerkennen wollen, weil wir nur unser eigenes Geistesleben aus Erfahrung kennen nnd
daher über die psychischen Vorgänge in anderen Wesen keine unmittelbare Kenntniss haben. B. ver-
theidigt diesem Extreme gegenüber die Berechtigung des Analogieschlusses |S . 489) auf dem Gebiete
der vergleichenden Psychologie und stellt, wie auch bereits Andere es früher gethan, den richtigen
Grundsatz auf, man müsse die Erscheinungen des psychischen Lebens der Thiere mit den entsprechenden
Erscheinungen beim Menschen v e r g l e i c h e n und dann die e in f a c h s t e n jener Ursachen, welohe
wir durch die eigene psychische Erfahrung kennen, auch zur Erklärung der betreffenden thierischen
Thätigkeiten heranziehen. So weit wären wir völlig einverstanden in unseren psychologischen Grundsätzen.
Aber es scheint mir, das Herr Bethe jene Principien nicht folgerichtig angewandt habe.
Schon am Beginne seiner diesbezüglichen Ausführungen (S. 486) sagt er: „Ob nun ein äusserer Reiz
der einem Wesen applicirt wird, zum Bewusstsein gelangt ist, können wir nicht konstatiren- das was
wir sehen können, ist nur eine eventuelle Reaotion, die das Wesen auf den Reiz ausübt.“ Falls man
die Berechtigung und die Unentbehrlichkeit des Analogieschlusses auf dem Gebiete der vergleichenden
Psychologie zugibt, wird man nicht umhin können, denselben auch hier anzuwenden, um mittelst desselben
zu konstatiren, ob die. betreffende Reaction des Versuchsthiers auf einfachen physiologischen
Reflexen oder auf psychologischen Factoren beruhe. Welches K r it e r iu m sollen wir also für die
Annahme der einfachsten psychischen Qualitäten aufstellen? Bethe glaubt, man dürfe nur dann die
psychische Qualität der Empfindung einem Thiere zuschreiben, w e n n d a s s e l b e d u r c h sie in e
s in n l io h e E r fa h r u n g z u l e r n e n im S t a n d e i s t . Dieses Kriterium halte ich jedoch für viel
zu hoch. Folgendes Beispiel, welches B. selber anführt (8 . 490), dürfte zum Belege dienen. „Wenn
ich z. B. einen Hund mit einer Zange kneife und er quikt und davonläuft, so würde ich nicht ge-
nöthigt sein, das als Zeichen von stattgehabter Empfindung aufzufassen. Wenn er aber das nächste
Mal, wo ich wieder dieselbe Zange zur Hand nehme, schon vorher davon läuft, so scheint mir das
ein genügender Beweis zu sein, dass er den Kniff gefühlt hat.“ Mir scheint dagegen jener „genügende
Beweis“ bereits dadurch erbracht zu sein, dass der Hund schon beim e r s t e n M a l, als er gekniffen
wurde, quikte und davonlief; denn wir müssen nach der Analogie mit den menschlichen Erfahrungen
bei ähnlichen Gelegenheiten annehmen, dass auch der Hund den Kniff s c h m e r z l i c h g e f ü h l t hat,
und dass diese 8 c h m e r z em p f in d u n g die psychische Ursache war, die ihn zum Quiken und Fortlaufen
bewog. Daraus, dass manche Reactionen, welche bei normalen Thieren durch wirkliche Em')
Archiv f. Microscop. Anat. 60. Bd. 1897, S. 460—646!; 589—639,
3) Die sieben Welträthsel. Reden v. E. Du Bois-Reymond, Erste Folge, Leipzig 1886, S. 388.
pfindung ausgelöst werden, auch noch an enthirnten Thieren durch den Reiz bestimmter untergeordneter
Nervencentren sich ebenfalls noch hervorrufen lassen, darf man keineswegs schliessen, dasB der betreffende
Vorgang auch bei dem normalen Thiere e in r e in r e f l e c t o r i s c h e r sei. Auch an einer
menschlichen Leiche lassen sich bekanntlich Bewegungen der Extremitäten durch künstliche Reize gewisser
Nervenceütren hervorrufen, obwohl der normale lebendige Mensoh jene Extremitäten „w illkü rl
i c h “ d. h. in Folge, psychischer Empfindung und Wahrnehmung zu bewegen pflegt.
Ich bin daher zwar mit Herrn Bethe völlig einverstanden in dem Grundsätze, den er (S. 490)
ausgesprochen hat: „So lange sioh ein Weg zeigt, die Lebeoserscheinungen eines Thieres ohne Zuhilfenahme
von psychischen Eigenschaften rein reflectorisch zu erklären, soll man nach meiner Meinung
auch davon ahsehen, ihnen diese Eigenschaften ^zusohreiben. «¡¡Aber in der Anwendung, die er von
diesem Grundsätze macht, um seine Reflextheorie zu begründen, kann ich ihm, wie aus obigem Beispiele
erhellt, unmöglich beipflichten. Wenn B. fernerhinr(S. 491) den Satz aufstellt: „Einen Werth
kann die Empfindung nur dann für ein Wesen haben, wenn auch Erinnerung,-iiäombinationsvermögen
und die Fähigkeit, nach dem Resultat dieser Combination zu handeln, zugleich vorhanden sind - “
so kann ich ihm hierin ebenfalls nicht beistimmen. Für den gekniffenen Hund hat die Schmerzempfindung
auch dann, wenn.er sie später völlig vergessen haben sollte, doch einen keineswegs zu
unterschätzenden Zweck gehabt,. nämlich den, dass er a u g e n b l i c k l i c h davonlief. Dasselbe gilt
Überhaupt für die einfachen psychischen Qualitäten der Empfindung und Sinneswahrnehmung bei
höheren und bei niederen Thieren: sie haben den p r im ä r en Zweck, das Thier- für die a u g e n b
l i c k l i c h e n Bedürfnisse zweckmässig zu leiten; s e o u n d ä r kann dann noch der andere Zweck
hinzutreten, dass das Thier durch frühere Empfindungen und Wahrnehmung mittelst des sinnlichen
Gedaohtmsses l e r n e , seine ursprüngliche Handlungsweise ®u m o d if ic ir e n . Daher scheint mir das
Beweissverfahren Bethe’s, welches lautet, „nicht erlernt, also bloss reflex;“ ein durchaus verfehltes zu sein
Bethe bemerkt zwar ausdrücklich (8 . 493):, er wolle damit, dass er mittelst jenes Beweisverfahrens
keine psychischen Qualitäten bei den Arthropoden zu entdecken im Stande sei noch nicht
einfaohhin behaupten, dass solche gar nicht vorhanden seien; aber in der praktischen Anwendung seiner
Beweismethode in der Schrift über die Ameisen und Bienen ist er meist weit darüber hinausgegangen
so dass jeder Leser den Eindruck erhält, dass die betreffenden thierischen Thätigkeiten, auf welche
er das fatale Prinoip „nicht erlernt, also reflex“ anzuwenden versucht, nach Bethe’s Ueberzengung
f o s s e Reflexthätigkeiten, undgihre Träger „blosse. Reflexmaschinen“ seien. Letzteren Ausdruck hat
er ferner selbst an mehreren Stellen ausdrücklich gebraucht.
Falls es wirklich kein anderes Kriterium für den Besitz psychischer Qualitäten bei einem
Thiere gäbe, als das Vermögen zu lernen, so wäre damit für jene Thiere, die n io h t zu lernen vermögen,
noch kein hinreichender Beweis erbracht, dass sie blosse Reflexmaschinen seien, wenn nioht
andererseits auch naohgewiesen würde, dass blosse Reflexthätigkeiten g e n ü g en , um die betreffenden
biologischen Thatsachen zu erklären. Als ich in meinen beiden letzten thierpsychologischen Schriften
(.58 u. 59) die Annahme einer Thierintelligenz widerlegte, hatte ich mich nicht darauf beschränkt,
bloss negativ zu zeigen, dass wir keine sicheren Beweise f f c d i e Thierintelligenz besitzen, sondern
auch nachgewiesen, dass die sogenannten intelligenten Thätigkeiten der Thiere aus ihrem sinnlichen
Erkenntniss- und Begehrnngsvermögen befriedigend erklärlich seien und zudem mit der Annahme einer
Intelligenz des Thieres grossentheils in unlösbarem Widerspruche stehen. Wir werden daher iu vorliegender
Studie auch zu untersuchen haben, inwiefern es Bethe gelungen ist, die sogenannten
psychischen Thätigkeiten der Ameisen p o s s i t i v d u r c h b lo s s e R e f l e x e zu e r k lä r e n , nnd ob