h a n d en . V i e r t e n s . Bei der eingehenden Erörterung eines der von Bethe vorgenommenen Drehungsversuche
habe ich oben gezeigt, dass selbst bei der Annahme zweier nebeneinander verlaufender, räumlich
scharf getrennter Spuren die thatsächliche Stauung der Ameisen nach einer Umdrehung des Drehstückes
um 180° durch Polarisation der Spuren n ic h t erklärt werden kann; denn die Polarität
blieb nach jener Drehung völlig dieselbe wie vorher, während die beiden Fährten selber vertauscht
worden waren. Ich schloss daraus, dass es e tw a s a n d e r e s sein müsse, woran die Ameisen die
Verschiedenheit der beiden Fährten mittelst ihrer Antennen wahrnehmen. F ü n fte n s . Es ist völlig
unbegreiflich, wie die Fühler der Ameisen die Polarität der Fährte wahrnehmen oder, um mit
Bethe zu reden, chemorezipiren — sollten; dies gilt a fortiori bei der von Bethe gemachten Annahme,
dass die Ameisen blosse Reflexautomaten ohne jede Spur von Wahrnehmung und Empfindung sind.
Ziehen wir hier eine Parallele zwischen den Ameisen und denjenigen höheren Thieren, die
ähnlich wie die Ameisen beim Finden des Weges hauptsächlich ihres Geruchssinnes sich bedienen.
Bethe weist mit Recht darauf hin (S. 5 2), dass nicht bloss die Ameisen, sondern auch die Hunde
mittelst ihres Geruchssinnes die R i c h tu n g zu unterscheiden vermögen, in welcher eine Fährte führt.
Ein guter Jagdhund verfolgt die Spur eines Hasen sofort in der Richtung, in welcher der Hase sich
entfernt hat, nicht in jener, in welcher der Hase hergekommen ist. Bethe schliesst hieraus auf eine
P o l a r i s a t io n der Geruchsfährte des Hasen. Ich halte jedoch diese Annahme auch hier für unbegründet,
so bestechend sie im ersten Augenblick erscheint. Denn die von den Füssen des Wildes
hinterlassene Spur hat e in e g a n z b e s t im m t e F o rm , welche von der Form und Stellung des
Einzelfusses, sowie von der Stellung der Füsse zu einander bedingt ist (z.. B. Kaninchenspur!) Aus der
Form der Fährte ergibt sich aber von selbst ihre R i c h t u n g , und zwar nicht bloss für den G e s i c h t s s
in n , was bei den Hunden wenig oder gar nicht in Betracht kommen wird, sondern auch für den
G e r u c h s s in n , weil der Form der Fährte auch eine ganz bestimmt geformte Geruchsfläche bezw.
Gruppe von Geruchsflächen entspricht. Diese Anordnung der Geruchstheilchen, die einer Fährte anhaften
und die ich der Kürze halber als „G e r u c h s f o rm “ derselben bezeichnen will, ist eine ganz
verschiedene für eine von mir fort und für eine zu mir hinführende Fährte, weil eben die Form der
Fährte selber in beiden Richtungen eine verschiedene ist. Diese Erklärung scheint mir viel einfacher
und natürlicher zu sein, um begreiflich zu machen, wie ein guter Jagdhund beim Beschnüffeln der
Fährte sofort auch deren Richtung wahrnimmt. Die Annahme einer Polarisation der chemischen
Spur ist daher ü b e r flü s s ig ; sie muss als nicht hinreichend begründet fortfallen, da sie dem Geruchssinn
des Hundes ein ganz räthselhaftes Vermögen für Unterscheidung von chemischen Polaritäten
zuschreibt, dessen wir zur Erklärung der betreffenden Thatsachen gar nicht bedürfen.
Ich komme nun zu den Ameisen, und zwar durch einen sehr naheliegenden Analogieschluss.
Auch die von den Ameisen hinterlassene Fährte hat e in e b e s t im m t e F o rm , welche für eine hinführende
und für eine rückführende Fährte eine verschiedene ist, weil die Stellung der Füsse in beiden
Fällen eine entgegengesetzte ist. Ferner sind die Ameisen, und zwar vorzugsweise die Lasius-Arten,
G e r u c h s t h i e r e , deren äusserst feiner Geruchssinn noch dadurch unterstützt wird, dass sie mit den
Fühlerspitzen die Geruchsfährte betasten. Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass die Ameisen auch
die G e r u c h s f o rm der Fährte mittelst ihrer Fühler wahrnehmen können. Diese Erklärung scheint
mir auch hier viel natürlicher und naheliegender zu sein, als die Annahme einer räthselhaften Polarisation
der die Fährte bildenden Geruchsstofftheilchen, und als die Annahme eines noch räthselhafteren
Vermögens, diese Polarisation mittelst der Fühler zu „chemorezipiren“. Dann brauchen wir aber gar
keine „ P o l a r i s a t io n “, um zu erklären, wie die Ameisen die R ic h tu n g einer Fährte wahrnehmen;
denn die Richtung der Fährte bestimmt die G e r u c h s f o rm derselben, und diese Geruchsform kann
Gegenstand ihrer Geruchswahrnehmung werden und ihnen dadurch die betreffende Richtung anzeigen.
Wie die Ameisen die Richtung der Fährte zum Neste hin oder vom Neste fort unterscheiden
können, wird allerdings auch durch diese Annahme nicht vollständig erklärt. Eine Lasius $ , welche
zufällig den Weg verloren hat und nun auf eine alte Ameisenstrasse *) zurückkommt, stösst dort nach
unserer Annahme auf die zwei verschiedenen „Geruchsformen“ der Doppelfährte, die den beiden entgegengesetzten
Richtungen entsprechen, in denen die Ameisen gingen. Aber welcher der beiden
Wege zum Neste führt, ist damit noch nicht eo ipso angezeigt; dafür müssen wir noch andere Momente
zu Hilfe nehmen; und zwar solche, die ebenfalls dem Geruchssinn der Ameisenfühler zugänglich sind.
Gerade für die viel und eng begangenen Lasms-Strassen lassen sich in der That solche Momente
wenigstens mit grösser Wahrscheinlichkeit angeben, wie bereits oben, bei der Kritik des Bethe'schen
Drehungsexperimentes, bemerkt wurde. Wir brauchen nur anzunehmen, dass die Füsse der vom Neste
herkommenden Ameisen einen weit stärkeren Nestgeruch hinterlassen, als diejenigen der vom Blattlausbesuch
nach Hause zurückkehrenden, welche wahrscheinlich eine nach Blattlaushonig riechende Fährte
hinterlassen. Nehmen wir ausser der G e ru ch s fo r r o der Spuren, welche deren Richtung anzeigt,
noch diesen S p e c ia l g e r u c h der Fährten hinzu, so dürfte vielleicht e in e e in i g e rm a s s e n b e f
r i e d ig e n d e L ö s u n g d e r F r a g e g e g e b e n s e in : w ie f in d e n d ie L a s i u s ih r e n W e g ?
Ich stimme also mit Bethe darin überein, dass die Lasius auf ihrem Wege eine Geruchsspur
hinterlassen, welche verschieden für den Hinweg und für den Rückweg ist. Aber ich nehme dafür
keine Polarisation der chemischen Stofftheilchen an, welche diese Spur bilden, da diese Annahme zu
mehrfachen Widersprüchen mit den Beobachtungsthatsachen führt und zudem durch eine andere, viel
natürlichere, ersetzt werden kann.
Eine Ausdehnung der für die Lasius gewonnenen Ergebnisse auf alle Ameisen schlechthin,
wie Bethe sie in seinen Schlussfolgerungen (S. 62) vornimmt, ist nicht berechtigt, wenigstens nicht
ohne wichtige Einschränkungen. Formica sanguinea und mehrere andere Formica-Arten erweisen sich
durch thatsächliche Beobachtung (vgl. oben S. 19 Ui 20) auf ihren Ausgängen viel weniger abhängig von
der Verfolgung einer bestimmten, von ihren Gefährtinnen hinterlassenen Geruchsfährte als die Lasius,
und auch bei jenen Gelegenheiten, wo F . sanguinea eigentliche Züge bildet, verfolgt sie mehr die
Richtung der Fährte als diese selber. Die Geruchswahrnehmung der letzteren scheint ihr bloss den
Weg anzugeben, den sie weiter zu verfolgen hat, und auf den sie auf Umwegen wieder einbiegt,
wenn man ihr Hindernisse in den Weg legt. Um sich auf längeren Wegen rasch zurechtzufinden,
bedarf auch sie einer ihr bereits von früher her bekannten Fährte, deren Wahrnehmung hauptsächlich
durch den Geruchssinn der Fühler vermittelt wird. Aber es dürften ausserdem noch andere Momente
in Betracht kommen, die noch nicht erforscht sind. Aehnliches gilt auch für die Amazonenameise
(Polyergus rufescens). Forel (F. d. 1. Suisse p. 298 ff.) ist durch seine ausgezeichneten, eingehenden
Beobachtungen über die Expeditionen dieser Ameise zur Ueberfceugung gekommen, dass die Frage,
wie die Polyergus sich orientiren, eine sehr schwierige und verwickelte ist; ich muss ihm darin in
Folge meiner Beobachtungen über Polyergus in Holland und Oesterreich2) völlig beistimmen. Ich halte
*) I°h nehme an, dass die betreffende Stelle der Ameisenstrasso gerade leer ist; sonst wird die verirrte
Lasius auf die ihr begegnenden Gefährtinnen zuspringen und sich durch Fühlerschläge orientiren.
2) Im Sommer 1892 habe ich in Lainz bei Wien eine Reihe von Potyer^Ms-Expeditionen beobachtet, die in
meinen „Zusammengesetzten Nestern und gemischten Kolonien“ (1891) noch nicht erwähnt sind.