
Reflexmaschinen degradiren kann. Ich muss es daher im Interesse der biologischen Ameisenkunde
bedauern, dass Bethe diesen unglücklichen Versuch gemacht hat. Bei Lesern, welche selbst noch
weniger beobachtet haben als er, muss dadurch die irrthümliche Meinung entstehen, das Mittheilungsvermögen
der Ameisen sei eine bislang unbewiesene blosse Behauptung, während es doch durch zuverlässige
Beobachtungen längst feststeht. Durch eine Skepsis, welche alles bezweifelt, was sie nicht
selber gesellen hat, wird die biologische Ameisenkunde nicht gefördert, sondern im Gegentheil um
Jahrzehnte zurückgeschraubt. Ich will nun die von Bethe gegen das Mittheilungsvermögen der Ameison
erhobenen Zweifel näher prüfen.
B. hat bei seinen Experimenten über die Frage, wie gewisse Ameisen (Lasius) ihren Weg
finden (vgl. oben S. 20) folgende Wahrnehmung gemacht: „Hat ein Thier auf einem Wege nichts
gefunden, so habe ich nie auf dem Blatt (mit Russ geschwärztes Glanzpapier) verzeichnet gesehen,
dass ein zweites Thier denselben Weg gegangen ist. Ist jedoch ein Thier zum Zucker, Honig oder
Fleisch gelangt, so folgen fast immer andere Thiere der Spur, die es gegangen ist, und zwar meist
ganz unabhängig von dem Thiere, das den Vorrath zuerst fand. Es folgt daraus, dass jedes Thier
nicht bloss eine Spur hinterlässt, welche Anderen und ihm selbst als Wegweiser dient, sondern dass
dieser Spur auch etwas anhaftet, was dem nachfolgenden Individuum einen „Fingerzeig“ gibt, ob
auf diesem Wege etwas zu finden ist oder nicht. Ich kann mit Bestimmtheit versichern, dass hiebei
eine „Mittheilung“, wie sie von vielen Autoren als nothwendig angenommen wird, nicht stattzufinden
braucht. Ich sah nämlich mehrmals, dass, nachdem das erste Thier im Neste verschwunden war, ein
Thier, von einem anderen Ort als dem Nest kommend, auf das Papier gieng und der Spur des ersten,
dem es nicht begegnet war, folgte.“ (Bethe S. 47.) Derartiges habe ich bei meinen Beobachtungen
ebenfalls manchmal gesehen; ich glaube daher auch, dass bei solchen Gelegenheiten eine Mittheilung
nicht nothwendig stattzufinden b r a u c h t . Dem Thiere, das z. B. beim Fleisch gewesen ist, kann
ein Fleischgeruch anhaften, der auch der Fährte desselben sich mittheilt und dadurch andere Ameisen
direkt auf die Spur des Fleisches leitet. Ich halte diese Annahme sogar für sehr wahrscheinlich.
Andererseits jedoch drängt sich mir auf Grund meiner Beobachtungen an Lasius niger, emarginaim etc.
die Frage auf: hat Herr Bethe denn nie gesehen, dass eine Ameise, welche einer zurückkehrenden
begegnete, auf diese zusprang und unter lebhaften Fühlerschlägen mit ihr die Antennen kreuzte?
Es ist dies eine so gewöhnliche und häufige Erscheinung auf den von Lasius niger und emarginatus
begangenen Strassen, dass ich es für unmöglich halte, B. habe sie nicht ebenfalls oft gesehen. Er
scheint demnach die biologische Bedeutung dieses Vorganges nicht erkannt zu haben. Die Fühler
der Ameise dienen hier als Geruchswerkzeuge, um den der anderen Ameise anhaftenden Geruch
w a h r z u n e hm e n ; nimmt sie an ihr den Fleischgeruch wahr, so geht sie denselben Weg, um ebenfalls
zum Fleisch zu gelangen. Die Fühlerschläge dienen hier ferner dazu, um den den eigenen
Fühlern anhaftenden Geruchstoff der anderen Ameise m i t z u t h e i l e n ; denn die Fühler der Ameise,
die z. B. Fleisch gefunden hat, kommen bei der Untersuchung dieses Gegenstandes in besonders
innige und andauernde Berührung mit demselben; den Fühlern müssen daher, zwischen den Haaren
und in den Gruben dieser Organe, die flüchtigen Geruchsstoffe des betreffenden Gegenstandes vorzugsweise
anhaften. Kreuzen nun zwei Ameisen mit lebhaften Schlägen ihre Fühler, so gelangt der Geruchsstoff,
welcher den Fühlern der einen anhaftet, zur Wahrnehmung der anderen Ameise und theilt
ihr dadurch mit, was jene gefunden hat. Das ist aber ein Fall eben jenes „M i t t h e i lu n g s v
e rm ö g e n s “, welches Herr Bethe bei den Ameisen nicht zu finden vermochte.
Weiterhin (S. 64) kommt Bethe auf die von Lubbock (Ameisen, Bienen und Wespen, 7. Kap.)
zur Prüfung des Mittheilungsvermögens der Ameisen angestellten Versuche und sagt bereits bei Einleitung
derselben: „Aus den vielen Versuchen, die Lubbock zur Prüfung des Mittheilungsvermögens
angestellt hat, geht hervor, dass etwas derartiges n ic h t e x i s t i r t . “ Diese Behauptung Bethe’s ist
ein psychologisches Räthsel. Allerdings waren eine Reihe von Versuchen, welche Lubbock in dieser
Richtung mit Lasius niger, Formica fusca, Myrmica rugi/noclis angestellt, negativ oder richtiger er-
.gebnisslos. Ferner ist zuzugeben, dass in einem der Fälle, wo Lubbock mit Lasius niger ein positives
Resultat erzielte (Lubbock S. 144), indem zu dem Glase mit vielen Larven in 52 Stunden 304 Ameisen
gingen, während zu dem Glase mit wenig Larven in 5 9 xh Stunden nur 104 Ameisen gingen, dieses
Ergebniss sich auch daraus befriedigend erklären lässt, dass der eine der beiden Ameisenwege weit
stärker nach den Ameisenlarven roch als der andere. Wären diese Versuche wirklich s äm m t lic h e
Versuche Lubbock's, so wäre Bethe’s obige Behauptung begreiflich. Aber wer Lubbock’s Buch gelesen
hat, fragt sich: wo bleiben denn die ü b r ig e n Versuche Lubbock’s? Woher kommt es, dass
Bethe, ohne dieselben mit einem Worte zu erwähnen, hier abbricht und als Schlussresultat aus sämmt-
lichen Versuchen Lubbock’s den (gesperrt gedruckten) Satz aufstellt:
„W ir s e h e n a l s o , d a s s d ie A m e i s e n , s o w e i t e s s ic h um d ie B e s o r g u n g v o n
F u t t e r u n d a n d e r em h a n d e l t , n a c h w e i s l i c h e in M i t t h e i lu n g s v e rm ö g e n n i c h t b e s
i t z e n , s o n d e r n n u r n o rm a le n p h y s i o lo g i s c h e n R e i z e n r e f l e k t o r i s c h f o l g e n “ ?
Bei Lubbock (S. 1 4 7 ||J 5 2 ) folgen nämlich noch eine Reihe anderer Versuche, mit Lasius
niger, Aphaenogaster testaceopilosa, Fheidöle megacephala und Formica fusca, welche ein positives Resultat
ergaben und zwar ein Resultat, welches mit grösser Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass
wirklich die betreffende Ameise, welche den Gegenstand (eine Fliege, eine Larve etc.) zuerst gefunden,
bei ihrer Rückkehr zum Nest einige ihrer Gefährtinnen durch Fühlerschläge auf den Fund aufmerksam
gemacht und sie dadurch zur Begleitung bewogen hatte. Wesshalb Bethe diese; Versuche
nicht erwähnt, ist mir unverständlich.
Obwohl ich mit den von Lubbock gezogenen Schlussfolgerungen nicht ganz einverstanden
bin, liegt doch kein Grund vor, wesshalb ich an der Richtigkeit der Beobachtungen Lubbocks und
an dem positiven Resultate, das seine letzterwähnte Versuchsreihe ergab, zweifeln sollte; denn meine
eigenen Beobachtungen, deren einige neue im Folgenden noch erwähnt werden solleu, hatten ein ganz
ähnliches Ergebniss: D i e A m e is e n b e s i t z e n e in u n z w e i f e lh a f t e s V e rm ö g e n d e r s in n l
i c h e n M i t th e ilu n g v e r m i t t e l s t g e w i s s e r F ü h l e r s ch lä g e find ä h n l i c h e r s in n l i c h e r
Z e i c h e n 1), obwohl sie nicht gerade immer dann von diesem Vermögen Gebrauch machen, wenn der
Experimentator bei seinen ad hoc angestellten Versuchen es gerne möchte.
Dafür, dass man bei jenem Mittheilungsvermögen der Ameisen eine gegenseitige „intelligente
Verständigung“ unterlegen sollte, wie Lubbock zu thun geneigt scheint, ist meines Erachtens kein
Grund vorhanden; denn die einschlägigen Thatsachen lassen sich durch das s in n l i c h e I n s t i n k t l
e b e n der Ameisen, durch ihr s in n l i c h e s E r k e n n t n i s s - u n d S t r e b e v e rm ö g e n völlig befriedigend
erklären, ebenso wie das auf bestimmten Lautäusserungen beruhende Mittheilungsvermögen
höherer Thiere. Eine „Thierintelligenz“ brauchen wir desshalb nicht anzunehmen, wie ich bereits in
früheren Schriften gezeigt habe (21, 58, 59). Nur Jemand, der kein Mittelding kennt zwischen Intelligenz
und Reflexmechanismus, wird durch derartige Thatsachen des Ameisenlebens in ernste Verlegenheit
gesetzt werden.
*) Vgl. die Uebersicht am Schlüsse dieses Abschnittes.