wenigen Sekunden (an der Biegungsstelle des Ansatzrohres, wo die ersten Ameisen ein- oder zweimal
wieder kurz umkehrten), durch die Verbindungsröhre in das Abfallnest hinab; sofort begann der
Transport der geraubten Cocons, der den ganzen Nachmittag hindurch währte.
Daraus, dass vorher über eine Stunde lang keine einzige sangumea oder Hilfsameise im Abfallneste
gewesen war, sofort aber eine ganze Schaar sanguinea aus dem Hauptneste herauskam und
direckt in das Abfallnest eilte, geht offenbar hervor, dass die e i n e , dorthin unmittelbar vor dem
Auszug der Schaar zurückgelaufene sanguinea, die ich zu den Cocons gesetzt hatte, den sangumea
des Hauptnestes ein F ü h l e r s i g n a l gegeben haben musste. Der blosse Geruch der aus dem Abfallneste
kommenden einen Ameise konnte nicht diese plötzliche Massenwirkung gehabt haben; denn
ich habe oft bei ähnlichen Versuchen gesehen, wie eine bei den Cocons im Abfallneste gewesene, ja
sogar mit den feindlichen Ameisen daselbst in Kampf geratene Ameise unter die im Oberneste oder
Vorneste versammelten Ameisen zurückkehrte, ohne dass diese dadurch zum Besuche des Abfallnestes
veranlasst wurden; es fehlte eben das F ü h l e r s i g n a l , die durch die Fühlerschläge vermittelte Anregung,
d. h. „die s in n l i c h e M i t t h e i lu n g .“
Es ist ferner bemerkenswerth, dass bei diesem am 25. Juni angestellten Versuche die sanguinea
sich beim Abholen der Cocons nicht verirrten und anfangs nicht etwa in die falsche, zum Fütterungskolben
führende Glasröhre liefen. Obwohl die beiden Röhren unmittelbar nebeneinander in das Korkdach
des Obernestes mündeten, ging diesmal keine der von der einen sanguinea herbeigeholten Gefährtinnen
zuerst in das falsche Loch, sondern alle in das richtige. Es ist dies wohl daraus zu erklären,
dass die erstere Ameise an der Spitze des Zuges sich befand und durch ihr Vorangehen und ihre
Fühlerschläge auch die Richtung des Zuges leitete. Die blosse Wahrnehmung der Geruchsfährte vermochte,
wie sich bereits aus dem am 18. Juni angestellten Versuche ergibt, nicht mit einer derartigen
Sicherheit die richtige Glasröhre sofort anzuzeigen.
Bei jenem Experimente vom 25. Juni 1895 habe ich noch folgende Beobachtung notirt: „Die
sanguinea lassen sich nicht durch den Geruchssinn in entscheidender Weise bei der Verfolgung eines
ihnen bereits bekannten Weges leiten.“ Da nämlich das rechtwinklig gebogene Glasrohr, welches das
Abfallnest mit dem Oberneste verband,1) für den raschen Transport der Cocons sich als etwas eng
erwies und wiederholte Stauuungen verursachte, nahm ich es in einer Pause, wo gerade keine Ameisen
hin oder zurück dasselbe passirten, fort und ersetzte es durch ein anderes weiteres, rechtwinklig gebogenes
Glasrohr von 15 cm Länge, das seit Jahren unbenutzt in einem Schranke gelegen hatte. Die
sanguinea, welche gleich darauf mit Cocons aus dem Abfallneste heraufkamen, schienen diese Aende-
rung ebensowenig auffallend zu finden als die unbelastet vom Hauptneste zurückkehrenden. Die
Ameisen gingen von beiden Seiten ohne Zögern durch die neue Röhre hindurch, ja sie untersuchten
dieselbe nicht einmal mit den Fühlern! Der ganze Unterschied bestand bloss darin, dass der Verkehr
in der neuen, weiteren Röhre flotter von statten ging als in der alten, engeren; und doch war die
„alte Geruchsfährte“ auf 15 cm Länge vollkommen aufgehoben! Schon damals fügte ich jener Beobachtung
die Bemerkung bei: „worauf es den sanguinea ankommt, ist offenbar nur, dass es eine Verbindungsröhre
ist, welche in der R i c h t u n g zu ihrem Neste hingeht, und zwar in d e r s e lb e n
Richtung, in welcher sie von demselben gekommen sind.“ Durch Herrn Bethe’s später entdeckte
9 Auf der Abbildung Taf. I bezeichnet- die schraffirte Stelle des zum Abfallneste führenden Glasrohres das
Kautschuckrohr, durch welches die betreffenden Glasröhren verbunden sind; ebenso auf der anderen Seite die schraffirte
Stelle des zum Fütterungskolben führenden Glasrohres.
Chemoreflextheorie des Ameisenlebens wurde ich auf diese und ähnliche frühere Notizen wiederum
aufmerksam gemacht und habe dieselbe bereits oben (S. 33) zusammengefasst und durch neu ange-
stellte Versuche vervollständigt. Das Ergebniss derselben, das für jene neue Theorie wenig günstig
ist, wurde an jener Stelle mitgetheilt.
Zum Schlüsse dieses Abschnittes will ich die Resultate meiner Beobachtungen über das M it t
h e i lu n g s v e rm ö g e n d e r A m e i s e n kurz zusammenzustellen versuchen.
I. Die F ü h l e r s c h l ä g e , mit denen eine Ameise Kopf und Fühler der anderen berührt, bewirken:
1. die A n r e g u n g d e r A u fm e r k s am k e i t der anderen Ameise, wodurch dieselbe auf einen bestimmten
Gegenstand oder eine bestimmte Thätigkeit hingelenkt wird;
a) Fühlerschläge bewirken vor allem die Anregung des Nachahmungstriebes, durch den das Zusammenwirken
der verschiedenen Individuen einer Kolonie ermöglicht wird.
b) Durch Fühlerschläge wird die Aufforderung zur Fütterung gewöhnlich eingeleitet, indem die
„bettelnde“ Ameise den Kopf der anderen Ameise leise schlägt und streichelt.
c) Durch Fühlerschläge wird die Aufforderung zum Nestwechsel eingeleitet, indem die eine
Ameise den Kopf der anderen mit den Fühlern schlägt und dann in der betreffenden Richtung
sich entfernt. Bei den Formica-Arten folgt auf die Fühlerschläge dann meist noch ein weiterer,
dem Transportzwecke ausschliesslich dienender Gestus: die Ameise, welche die andere mitnehmen
will, ergreift dieselbe bei den Oberkiefern; ist letztere geneigt zu folgen, so rollt sie
sich ein und lässt sich von der anderen tragen.1) In den gemischten Kolonien von F. sanguinea
sind es meist die Herren, oft aber auch irgend eine der Sklavenarten, welche den Nestwechsel
anregen und die übrigen ohne Unterschied der Art tragen; in den gemischten Kolonien
von Polyergus sind es fast immer (mit nur seltenen Ausnahmen) die Sklaven, welche
den Nestwechsel anregen und ausführen.
d) Durch Fühlerschläge gibt eine Ameise anderen oft die Anregung, ihr zu folgen, wenn sie
etwas gefunden hat, was ihre Aufmerksamkeit in besonders lebhafter, angenehmerWeise erregt
(Futter, echte Gäste etc.).
e) Durch heftige Fühlerschläge gibt eine Ameise ihren Gefährtinnen die Anregung zum Angriff
auf einen Feind, den sie zuerst bemerkt hat.
f) Durch heftige Fühlerschläge gibt eine Ameise den anderen die Anregung zur Flucht, wenn
sie selber vor einem von ihr zuerst bemerkten Feinde flieht.
g) Durch Fühlerschläge sucht eine Formica nicht selten eine ihrer Gefährtinnen vor einer Gefahr
zu warnen, die von einer bestimmten, von ihr bemerkten Richtung herkommt; geht die andere
Ameise trotzdem dorthin, so zieht sie dieselbe oft noch an einem Beine von der betreffenden
Stelle gewaltsam zurück. In den gemischten Kolonien von F . sanguinea mit irgend
welchen anderen Formica-Arten kommen derartige Warnungsversuche gegenseitig vor, ohne
Unterschied der Ameisen art.
h) Durch Fühlerschläge beschwichtigt eine Formica manchmal eine in heftiger Aufregung befindliche
Gefährtin, indem sie ihr leise und andauernd mit den Fühlern auf den Kopf schlägt
und sie dabei manchmal überdies an einem Vorderbeine festhält. Auch Forel hat dies bereits
beobachtet und berichtet.
*) Aehnlich auch bei Myrmica, Leptothorax, Foimicoxenus e tc , wo jedoch die Stellung der getragenen Ameise
eine verschiedene ist.