
den gelegentlichen selbständigen Blattlausbesuch von sanguinea ist es selbstverständlich nicht ausgeschlossen,
dass, wie Forel’s ersterwähnte Beobachtung zeigt, in anderen Fällen die Hilfsameisen den
Blattlausbesuch beginnen und durch ihr Beispiel auch die sanguinea zu demselben amegen.
Eine grössere Bedeutung hat der Nachahmungstrieb der Ameisen und das L e r n e n d u r ch
N a c h a hm u n g für die „ in t e r n a t i o n a l e n B e z i e h u n g e n d e r A m e i s e n g ä s t e “. Auf die betreffenden
Erscheinungen in dem Verhalten verschiedener Formica-Arten zu eigenen oder fremden
Z)man7a-Rassen wurde bereits oben (S. 93) hingewiesen. Vielleicht noch schöner zeigt sich der Einfluss
jenes psychischen Faktors bei den internationalen Beziehungen der e c h t e n A m e i s e n g ä s t e (Sym-
philen). Schon in den „Internationalen Beziehungen von Lomechusa strumosa“ (24 S. 641 ff.) wurde erwähnt,
dass F . fusca und rußbarbis in ihren selbständigen Kolonien die Lomechusa n i c h t unmittelbar
aufnehmen, sondern sie anfangs feindlich angreifen wie ein völlig fremdes Wesen; sie müssen erst durch
eigene individuelle Erfahrung die Annehmlichkeit dieses Gastes kennen lernen. Dagegen benehmen sich
dieselben beiden Ameisenarten als Sklaven von F . sanguinea, die jenen Käfer als normalen echten Gast
zu halten pflegt, ganz anders. Sogar in solchen Kolonien, welche aktuell keine Lomechusa hatten,
wurde dieser Gast, wenn ich ihn in das Nest setzte, nicht bloss von den sanguinea, sondern gewöhnlich
auch von den fusca oder rußbarbis u n m i t t e lb a r a u f g e n om m e n . Dieses Verhalten der
letzteren ist daraus erklärlich, dass die sanguinea sich dem neuen Ankömmling gegenüber freundschaftlich
benahmen und ihn zu belecken anfingen. Die herzukommenden Hilfsameisen thaten sofort
dessgleichen, nachdem sie den Käfer nur mit den Fühlern berührt hatten; das betreffende fremde
Wesen war für ihre Herren offenbar kein fremdes Wesen und dadurch wurde es auch den Hilfsameisen
erspart, dasselbe erst durch individuelle Erfahrung als angenehmen Gast kennen zu lernen.
Viele ähnliche Beobachtungen werden noch bei den internationalen Beziehungen der Atemeies-
Arten zu berichten sein. Ich erwähne hier nur Einiges, was für die vorliegende psychologische Frage
von besonderer Bedeutung ist. Atemeles emarginatus wird in den Kolonien von F . sanguinea niemals
aufgenommen, wenn nicht eine der beiden folgenden Bedingungen verwirklicht ist:
a) Dass die betreffende Kolonie einen bedeutenden Prozentsatz (mindestens 15— 20 °/o) fusca
als Hilfsameisen enthält. F . fusca ist nämlich der normale sekundäre Wirth jenes Käfers, bei welchem
er regelmässig seine Larven erziehen lassen muss. Daher nehmen die fusca auch als Hilfsameisen
von sanguinea diesen Atemeies auf und führen ihn dadurch in die Gesellschaft der sanguinea ein. Ist
die Zahl der fusca im Vergleich zu jener der sanguinea nur verschwindend klein, so besteht jene Möglichkeit
rein theoretisch, indem dann die sanguinea den Gast angreifen und tödten, bevor eine Da-
zwischenkunft der fusca erfolgt. Hieraus ist es begreiflich, dass ich seit 14 Jahren hier bei Exaeten
in freier Natur den Atemeies emarginatus nur in solchen scmguinea-fc.o\omQn lebend gefunden habe,
welche relativ sehr viele fusca besitzen. Nur einmal (am 8. Mai 1889) traf ich auch in einer sanguinea-
Kolonie (Nr. 4 meiner statistischen Karte), welche wenig fusca enthielt, einen Atemeies emarginatus,
aber nicht lebendig, sondern todt; der Käfer war so zerbissen worden, dass sein Halsschild mit der
Oberseite nach der Bauchseite des Körpers gekehrt war.
b) Die zweite Möglichkeit, wie die Aufnahme eines Atemeies emarginatus in einer sanguinea-
Kolonie bewirkt werden kann, besteht darin, das man eine kleine Anzahl sanguinea, am besten nur
3 bis 6 Individuen, aus dem Neste nimmt und sie mit dem Atemeies zusammen in ein Gläschen setzt,
um dort mit ihm „Quarantaine zu halten“. In freier Natur kommt dieser Fall wohl kaum jemals
vor; er ist jedoch sehr instruktiv für die Psychologie von F. sanguinea. Die wenigen, mit dem Käfer
isolirten Ameisen sind minder kampflustig, gestatten die Annäherung des sie mit den Fühlern betrillernden
Käfers und beginnen meist schon nach einigen Standen, ihn wie ihresgleichen zu behandeln.
Die Ameisenähnliohkeit seines Benehmens bewirkt, dass sie mit ihm, wie. sie es unter denselben Umstanden
auch mit erwachsenen Ameisen fremder ibmica-Arten thun würden, sich gleichsam associiren >)
Aus der anfänglich widerwilligen Nachbarschaft, die in gegenseitigem Ausweichen und drohendem
Oeffnen der Kiefer sichAundgibt, entsteht zwischen den fremden Ameisen rasch eine indifferente
Duldung und aus dieser eine freundschaftliche Annäherung. Letztere wird dem Atemeles durch die
Zudringlichkeit seines Benehmens gegenüber den Ameisen||*deutend erleichtert und besiegt bald ihren
Widerstand. Sie finden ihn angenehm und beginnen ihn zu belecken. Hat dieses neue Yerhältniss
zwisohepu den isolirten samgumea und dem Atemeles einige Tage gedauert, so darf man es wagen, ihn
mit jenen Ameisen m das betreffende sangwmea-Nest zu setzen. Er wird dann auch dort aufgeiiommen.
Ein grösser Theil des Erfolges der unter a und b erwähnten Aufnahmeyersuche iBt ohne
Zweifelndem Umstande tzuzuschreiben, das» der Käfer durch die Beleckung Von Seite e in » r . Amelie
der Jp lon ie , infolge des Geruches der ihm anhaftenden Speicheldrüsensekrete, auch auf die übrigen
Ameisen derselben Kolonie keinen sh ^fremdartigen Eindruck mehr macht. Aber der ganze Erfolg
jener Experimente ist hieraus keineswegs erklärlichpdenn ein Atemeles, den man u n m i t t e lb a r in
eine sangtimea-Kolome gesetzt hat, wird von ie n scmgimiedep äie ihn feindlich anfallen, f e i dieser
Gelegenheit auch-ünasehhaft beleckt, wie sie es mit jedem anderen Beutethier ebenfalls thun; aber
durch diese Beleckung wird aus dem „Beutethier Atemeles“ kein ¿echter Gast Atemeles“, sondern er
wird emfachhm zerrissen und gefressen! Wir müssen daher ausser dem Geruch der Speicheldrüsensekrete
noch zwei andere, zweiffellos psychische Elemente zn Hilfe nehmen, um die A u fn a hm e des
Atemeles-emmgimtus zu„erkl*ren: erstens die Wirkung des N a c h a h m u n g s t r i e b e s auf das Verhalten
der .smgumea in der.Versuchsreihe a wie in der Versuchsreihe h ; zweitens die ¡M d iv id n e lle
E r f a h r u n g der einzelnen smguincu, isowohl der isolirten bei b, die den. Gast selbständig;kennen
lernen mussten, als der übrigen bei a und b, deren Säshahmungstrieb durch die eigene individuelle
Erfahrung unterstützt wurde.
Dass der Geruch der Speicheldrüsensekrete der Ameisen, welcher einem Atemeles anhaftet,
nicht seine U n m i t t e lb a r e A u fn a hm e in der betreffenden Kolonie von F . semgumea bewirkt, ergibt
sieh .auch a u sio lp p d em Versuche (vom 8. Mai 1898). Ein völlig gesundes Individuum von
Atemeles emwgvmtm,.,(Nr*K^urde aus einem Beobachtungsneste von Zasius mixto-umbratus genommen
und in Alkohol 30 °/o gebadet, damit es den LaÄs-Geruch verliere. Dann schnitt ich einer grossen Arbeiterin
w m im g u im a des auf Taf. I abgebildeten Beöbächtungsnestes (1898: sa n g u im a ^ru fa ^pratensis)?)
den Kopf ab, liess an dem noch lebenden Kopfe durch einen Druck mit der Pinoette die Zunge vortreten,
| | e sich dabei mit Flüssigkeit füllte, und bestrich <hun leise aber andauernd die Ober- und
■ , i ■ ? 1 trotz der Ameisenähnliohkeit des Benehmens dieses Käfers ihn dennoch'vön einer
w i r k l i c h e n Ameise wohl unterscheidet, wurde bereits oben-(S. 72) erwähnt:-’dehn sie füttert ihn nicht wie eine
Ameise, sondern wie einen kleinen Verwandten von Lomechusa.
■ M H Dle letzten 'fusca und ruftoarbis, die sich als Hilfsameisen in jenem Neste in den früheren Jahren befunden
hatten waren im Winter 1897^98 gestorben. Das individuelle Alter, welches die f der Formica-Arten erreichen,
betragt nach meinen Beobachtungen an jeneipgemisbbten Koloffie zwei bis drei:ijabrS?Sw;elbe Resultat ergab sich
auch bezüglich der Lebensdauer von ruft, ?, welche ich verschiedenen freilebenden Kolonien von F. sanguinea (Kol
89 und 58 meiner statistischen Karte) als Puppen gegeben hatte. Einzelne saugumea-% scheinen jedooh manchmal
noch alter zu werden, bis 4 Jahre. Die in dem auf Taf. I abgebUdeten Beobaehtungsneste von F. sanguinea befindlichen
2 Königinnen sind bereits mindestens 7 Jahre alt; sie waren 1898 in jenes Nest als Königinnen gesetzt worden
und produzirten noch 1898 eine Menge von Eiern, aus denen 5 erzogen wurden.
Zo o lo g ic a. H e ft 26. 1ft