Thieres willkürlioh zu eigentlichen Intelligenzhandlungen gestempelt,1) und zwar zu Intelligenzhandlungen,
die eine Intelligenz erfordern, welohe jene des Menschen weit übersteigt! Das ist offenbar
ein unhaltbares Extrem. Wir müssen daher auoh im vorliegenden Falle bei A tta sexäms Zusehen, ob
die betreffenden Erscheinungen sich nicht einfacher erklären lassen.
Dies ist in der That der Fall. Mögen nun die Mifa-Weibchen vor ihrem Ausfluge s e l b e r
einen Klumpen Pilzmaterial in der Mundhöhle aufspeichern oder mögen sie — was nach meiner Ansicht
wahrscheinlicher sein dürfte — vorher von den Arbeiterinnen der Kolonie mit jenem Material besonders
eifrig g e f ü t t e r t w e r d e n , so dürfen wir doch keineswegs annehmen, dass die Ameisen den
e i g e n t l i c h e n Z w e c k dieses Verfahrens „m it v o l l em B e w u s s t s e i n e r k e n n e n “. Durch
den physiologischen Zustand der befruchteten Weibchen brauoht bloss ihr Hungergefühl in ungewöhnlichem
Maasse gesteigert oder der Fütterungstrieb der Arbeiterinnen gegenüber den ausfliegenden
Weibchen besonders lebhaft angeregt zu werden H und die ganze Erscheinung ist auf jene Ursachen
zurückgeführt, welche wir für ihre Erklärung w i r k l i c h a n n e hm e n m ü s s e n , welche dafür aber
auch v ö l l i g g e n ü g e n .
„Um noch mehr das Y e r s t ä n d n i s s in das rechte Licht zu setzen, welches die Attiden für
die Bedentung des Ehodtes gongylophora besitzen,“ verweist v. Jhering ferner auf die von ihm in Rio
Grande do Sul früher gemachte interessante Beobachtung, dass in Mitte der Ameisenklumpen von
Atta-Arten, welche man bei Ueberschwemmungen auf dem Wasser treibend findet, nebst der Brut auch
oft ein Theil des Pilzgartens geborgen ist. Man darf jedoch aus dieser Thatsache noch nicht schliessen,
dass die Ameisen das Pilzmaterial mitgenommen hätten, w e i l s i e e i n i n t e l l i g e n t e s Y e r s t ä n d r
m s s für den Zweck dieses Verfahrens besässen. Die Sache scheint sich viel einfacher und besser
o h n e diese Annahme erklären zu lassen. Wenn eine Ameisenkolonie gestört wird, so schleppen die
Arbeiterinnen alsbald ihre Brut fort und bringen sie in Sicherheit. Auf dieselbe Weise verfahren
nach meinen Beobachtungen an F . sanguinea auch solche Ameisen, die man als noch weisse, ganz
frisch entwickelte Individuen aus ihren Nestern genommen diat, um mit ihnen eine Kolonie von „Auto-
didacten“ zu bilden.2) Gibt man ihnen später Eier, Larven oder Puppen der eigenen oder nahe
verwandter fremder Arten, so pflegen und retten sie dieselben genau so, wie es andere Ameisen in
normalen Kolonien zu thun pflegen. Bei den „autodidactischen“ sangumea fehlt aber in der individuellen
Sinneserfahrung des Thieres jeglicher Anhaltspunkt für ein Y e r s t ä n d n i s s ihrer Brutpflege.
Woher sollen diese Ameisen wissen, dass aus den Eiern, Larven und Puppen wiederum Ameisen
kommen, die Ihresgleichen sind ? Sie haben es ja noch nie erfahren ausser in ihrer eigenen Metamorphose;
wer wird aber behaupten wollen, eine Ameise habe schon im Ei- oder Larven- oder Puppenstande
eine K e n n t n i s s davon, dass sie ein Ei, eine Larve oder eine Puppe sei? Wir haben es somit
bei der psychischen Bethätigung der Brutpflege der Ameisen mit e r b l i c h e n I n s t in k t e n zu thun,
deren Ausübung durch die äusseren Sinneswahrnehmungen und inneren Empfindungszustände des
Individuums u n m i t t e lb a r angeregt wird. Dass die sinnliche Erfahrung später als s e k u n d ä r e s
Element noch hinzutreten könne, stelle ich nicht in Abrede; allein auch diese sinnliche Erfahrung
braucht absolut nicht mit einem intelligenten Schlussvermögen .verbunden zu sein. Zudem sind und
bleiben die erblichen Instinkte jedenfalls das H a u p t e l em e n t , welches., wie die autodidactischen
*) Darin besteht ja gerade die willkürliche Vermenschlichung des Thierlebens, wie sie von Afr. Brehm
L. Büchner u. s. w. in keineswegs wissenschaftlicher Weise betrieben worden ist.
2) Vgl. hierzu auch 24 S. 592 ff. u. 59 S. 43 ff.
Ameisen beweisen, fü r s ic h a l l e i n schon genügt, um zu erklären, wesshalb diese Thiere bei
Störung des Nestes ihre Brut in Sicherheit zu bringen suchen. Man möge einmal aus autodidactischen
A tta eine eigene Kolonie bilden; ich zweifle nicht daran, dass sie nicht bloss gegenüber ihrer Brut,
sondern auch gegenüber ihrem Pilzgarten sich ebenso verhalten werden wie andere Individuen jener
Atta -k x tsn . Auch die Zucht bestimmter Pilzarten durch bestimmte Ameisenarten mit allen hierzu erforderlichen
Hilfsthätigkeiten beruht auf e r b l i c h e n I n s t in k t e n als auf ihren w e s e n t l i c h e n
F a k to r e n . Daher scheint es mir völlig unhaltbar zu sein, das „ Y e r s t ä n d n is s “ der Ameisen für
ihre Pilzkultur daraus beweisen zu wollen, dass sie bei Ueberschwemmungen auch ein Stück ihres
Pilzgartens zu retten suchen.
Wie die Ameisen bei Gefahren ihre Brut in Sicherheit bringen, so verfahren sie nämlich auch
m it a n d e r e n O b j e k t e n , w e l c h e a u f ih r s in n l i c h e s W a h r n e h m u n g s v e rm ö g e n e in e n
b e s o n d e r s a n g e n e h m e n E in d r u c k g em a c h t h a b e n ; auf diese Gegenstände ist daher ihr
Rettungstrieb ebenfalls gerichtet. Wenn man ein Ameisennest aufdeckt, oder nur ein vorher dunkel
gehaltenes Beobachtungsnest plötzlich erhellt, so schleppen die Ameisen nicht bloss ihre Brut sofort
in einen dunklen Nesttheil, sondern sie tragen oder ziehen häufig auch ihre Königinnen, ihre Männchen
und Weibchen und viele ihrer eigenen Gefährtinnen mit sich fort, indem sie dieselben an den Oberkiefern
oder manchmal selbst an den Beinen oder Fühlern ergreifen. Ebenso verfahren sie auch
häufig mit ihren echten Gästen Glaviger, Atemeies, Lomechusa, besonders aber mit den Larven der
beiden letzteren Käfergattungen. Was Glaviger testaceus anlangt, konnte ich sogar feststellen, dass er in
Gegenden, wo er nur selten und in geringer Zahl in den Nestern von Lasius flam s zu finden ist, bei
Erhellung des Nestes von diesen Ameisen fast immer noch v o r den eigenen Larven fortgetragen
wurde, während dies in anderen Gegenden, wo er sehr zahlreich bei Lasius flavus lebt, nur selten
geschah.1) Die Seltenheit dieses Gastes scheint ihn für seine Wirthe besonders anziehend zu machen-
ohne Annahme eines sinnlichen Wahrnehmungs- und Strebevermögens der Ameisen sind solche Erscheinungen
zwar unbegreiflich; aber ein intelligentes Yerständniss für den „Werth“ eines Glaviger
braucht man ihnen desshalb noch nicht unterzuschieben. Es sei hier noch erwähnt, dass nach den
mir brieflich mitgetheilten Beobachtungen von Dr. Hans Brauns (Port Elizabeth, Kap-Kolonie) eine
südafrikanische Ameise, Pheidole megacephala n. subsp., die in ihrem Neste befindlichen Puppen eines
kleinen Ohalcidiers, der ohne Zweifel ein Parasit der Ameisenbrut ist, sofort gleich ihren eigenen
Larven und Puppen fortträgt und in Sicherheit bringt, wenn man den Stein, der das Nest bedeckt,
umwendet. Die in den Nestern von Lasius flavus bei uns lebenden Aphiden (namentlich Forda for-
micaria C. Heyd.), sowie die schwarzen Blattlauseier, welche diese Ameisen in ihren Nestern aufbewahren,
werden gleichfalls bei Erhellung des Nestes von den Ameisen sehr oft aufgenommen und
fortgetragen. Dasselbe beobachtete ich auch bei Lasius alienus gegenüber einer kleinen Coccide,
Bipersia europaea Newst., die in ihren Nestern als gesetzmässiges Hausthier lebt. Bei Formica sanguinea
habe ich ferner wiederholt gesehen, wie die Ameisen bei Erhellung des Nestes sogar Leichen
von Insekten, die sie getödtet hatten und als Beute verzehrten, auf hoben und mit sich in einen
dunklen Nesttheil schleppten. Es steht daher ausser Zweifel, dass die Ameisen den instinktiven
Rettungstrieb, den sie gegen ihre Brut hauptsächlich bethätigen, auch auf andere Gegenstände ausdehnen,
die ihnen aus irgend welchem Grunde besonders angenehm sind.
‘) Die betreffenden Beobachtungen werden bei Behandlung der „internationalen Beziehungen“ von Glaviger
eingehend berichtet werden.