gebadeten) mit der Pincette leise in das Nest von 86 II, ebenfalls ohne dass sie Gift spritzte1). Das
Benehmen dieser m fa unterschied sich nun von jenem der vier gebadeten nur dadurch, dass sie s e lb e r
die erste ihr begegnende sanguinea sogleich als „Feindin“ erkannte und zum Angriff aktiv überging,
was die übrigen vier gegenüber den sanguinea und fusca nicht gethan hatten, obwohl eine jener vier
(r2) eine ihrer eigenen Gefährtinnen (r,) feindlich angegriffen hatte. Am nächsten Morgen lagen vier
von den fünf m fa als Leichen beisammen in dem sanguinea-'Eeste; die fünfte sass mit nur vier Beinen
und 1 Vs Fühlern unbeweglich in einer Ecke; auch sie war von den sanguinea nicht aufgenommen,
sondern verstümmelt worden und starb am nächsten Tage, während die übrigen noch schneller ge-
tödtet worden waren.
Ich halte es daher für sehr unwahrscheinlich, dass eine vereinzelte, erwachsene m fa $ in einer
sanguinea-Kolonie aufgenommen werde in Folge eines in der Brühe der betreffenden sanguinea erhaltenen
Bades. Ameisen wie JE. sanguinea und fusca, die in einer g em i s c h t e n K o lo n i e mit
einer selbstredend verschieden riechenden anderen Formica-Axt Zusammenleben, lassen sich, obwohl
auch sie einander am Gerüche erkennen, trotzdem nicht durch den saw^mea-Badegeruch einer m fa
so leicht täuschen; sie haben ein zu feines s in n l i c h e s U n t e r s c h e id u n g s v e rm ö g e n für jene
verschiedenen Gerüche.
Bethe’s Versuche, ein wenig weiter ausgedehnt, führen somit zu Folgerungen, welche von
jenen Bethe’s ganz verschieden sind. Dass es gelingt, eine Ameise, welche man in der Brühe fremder
Ameisenarten badet, hiedurch wenigstens vorübergehend für ihre eigenen Gefährtinnen unkenntlich zu
machen, ist richtig, zumal auch aus anderen?; früher mitgetheilten Beobachtungen hervorgeht, dass
bereits das Bespritzen einer Ameise mit fremder Ameisensäure diese Wirkung haben kann. Aber
dass es. gelinge, eine fremde Ameisenart durch das Bad in einer Tetramorimn-Bvühe, sanguinea-Bvuhe etc.
in eine Ameise der letzteren Arten künstlich so zu verwandeln, d a s s s i e v o n d en f r em d e n
A r t e n in d e r e n K o lo n i e a ls G e f ä h r t in a u fg e n om m e n w ir d , das hat Bethe nicht bewiesen.
Meine diesbezüglichen Versuche beweisen sogar das Gegentheil. Zwischen a n f ä n g l i c h e r I g n o -
r i r u n g einer fremden Ameise und zwischen w i r k l i c h e r A u fn a hm e derselben, wozu-auch die
gegenseitige Beleckung und Fütterung der Ameisen gehört, ist nocb ein grösser Unterschied.
Es ist daher völlig verfehlt, dass Bethe auf seine Badeexperimente die folgende Behauptung
gründet:
D a s g e g e n s e i t i g e E r k e n n e n d e r A m e is e n i s t e in b lo s s e r C h em o r e fl e x , o h n e
S p u r v o n s in n l i c h e r E m p f in d u n g u n d W a h r n e hm u n g .
Was er wirklich bewiesen, oder richtiger bestätigt hat, ist bloss, dass ein bestimmter Geruchsstoff
als hauptsächlichstes E r k e n n u n g sm i t t e l diene, aber keineswegs, dass die Erkennung
selber ein „ e in f a c h e r C h em o r e f l e x “ sei. Selbst gesetzt den Fa ll, dass die freundliche oder
feindliche Reaktion auf den Geruchsstoff der eigenen oder einer fremden Art den Ameisen wirklich
a n g e b o r e n wäre2), wie Bethe behauptet, würde daraus noch nicht folgen, dass jene Reaktion eine
blosse Reflexthätigkeit sei; denn sein Argument „nicht erlernt, also reflex" ist ohne Beweiskraft.
Die Beobachtungsthatsachen sprechen dafür, dass eine s in n l i c h e W a h r n e h m u n g (Geruchswahrnehmung)
stattfinde, auf welche eine i n s t in k t i v e R e a k t io n erfolgt. Durch seine ganze
l) Ich bemerke ausdrücklich, dass auch die vier gebadeten rufa beim Hineinsetzen in das Nest 86 II. nicht
gespritzt hatten.
“) Dies ist thatsachlich unrichtig, wie ich am Schlüsse dieses Abschnittes zeigen werde.
Reflextheorie vermag Bethe nicht einmal zu erklären, wesshalb eine Ameise ihre Gefährtin mit den
Fühlern u n t e r s u c h t , wenn dieselbe einen aussergewöhnlichen Geruch an sich hat. Die psychische
Basis, ohne welche jene „Chemoreflexe“ gegenstandslos sind, ist von ihm völlig übersehen worden.
Bethe will den bestimmten Geruch, an welchem die Mitglieder einer Ameisenkolonie sich „erkennen“,
nicht als „Nestgeruch“ bezeichnen, wie ich es vorgeschlagen, sondern als „Familiengeruch“,
und zwar, weil „es nicht nachgewiesen ist, dass die Ameisen die psychische Qualität des Riechens
besitzen“. Dann darf man wohl von F am i l i e n g e r u c h ebensowenig reden wie von N e s t g e r u c h ,
sondern bloss von „Familienchemoreflexstoff“ oder von „Nestchemoreflexstoff“ ! Durch „Nestgeruch“
sollte ausgedrückt werden, dass der betreffende Geruchsstoff nicht bloss den durch Abstammung verwandten
Familienmitgliedern einer Kolonie zukomme, sondern auch fremden Ameisen, die in demselben
Neste als aufgenommene Mitglieder der Kolonie leben. B. hat die aus den Beobachtungen von
Huber, Forel und mir über die g em i s c h t e n K o lo n i e n der Ameisen längst bekannten Thatsachen
nur ganz oberflächlich gestreift. Dieselben bieten unüberwindliche Schwierigkeiten für seine Chemo-
reflextheorie. Wenn man, wie ich in den letzten 15 Jahren häufig gethan, den sanguinea eines Beobachtungsnestes
Puppen von cf, 9 und £ einer anderen Formica-Art gibt, so werden namentlich dann,
wenn die sanguinea selber Mangel an $ haben, die fremden Tormica- $ grossentheils aufgezogen, dagegen
die cf und 9 entweder schon als Puppen gefressen oder doch (mit äusserst seltenen Ausnahmen;
vergl. 21. S. 164) wenigstens gleich nachdem sie als entwickelte Ameisen aus dem Oocon gezogen
sind, getödtet. Durch blosse „Chemoreflexe“ kann ich mir die Thatsache nicht erklären, da der
Riechstoff der sangidnea-¥ava\Y\e auch den in deren Neste erzogenen cf und 9 der fremden Arten anhaften
muss.
Zur Lösung der Frage, wie die Ameisen ihre Nestgenossen erkennen, sind ferner namentlich
die Versuche über die „ in t e r n a t io n a l e n B e z i e h u n g e n d e r A m e i s e n g ä s t e “ von Wichtigkeit.
Bereits vor 6 Jahren wurden in den „ in t e r n a t i o n a l e n B e z i e h u n g e n v o n Lomechusa si/mmosa“
(24) Versuche mitgetheilt, aus denen hervorgeht, dass es mit dem „Familiengeruch“ nicht eine so
einfache Sache ist. Ich liess Lomechusa stmmosa von der Ameisensäure mehrerer feindlicher Ameisenarten
bespritzen und rieb sie sogar mit dem Safte von zerquetschten Lasius fuliginosus ein, deren
Riechstoff ein wahrer Greuel für F. sanguinea ist— und doch wurde sie von ihren ehemaligen Wirtlien
sofort wiedererkannt und nicht feindlich behandelt! (24. S. 599, 644, 651, 663). Die Ameisen ge-
riethen zwar beim letzteren Experimente im ersten Augenblick in Aufregung über den sonderbaren
Geruch der Lomechusa und sprangen wild umher, wie sie es zu thun pflegen, wenn sie Lasius füli-
gvnosus riechen; sobald sie aber bemerkten, dass der Geruch von der Lomechusa ausging, waren sie
sofort beruhigt. Die noch eben zum feindlichen Angriff geöffneten Kiefer schlossen sich, nachdem
die Lomechusa mit den Fühlerspitzen untersucht worden war. Die Ameisen hatten also den Lomechusa-
Geruch von dem fremden Ameisengeruche u n t e r s c h i e d e n . Wahrscheinlich trug auch die Tastwahrnehmung
und vielleicht auch die bei F . sanguinea gut entwickelte Gesichtswahrnehmung zu der
so auffallend raschen Wiedererkennung des Gastes bei. Es dürfte klar sein, dass wir hier mit blossen
„Chemoreflexen“ nicht auskommen, sondern ein sinnliches Erkenntnissvermögen den Ameisen zuschreiben
müssen. Jede einzelne sanguinea musste erst durch Untersuchung des Käfers mittelst der Fühlerspitzen
die sinnliche Erfahrung machen, dass der üble Geruch von einer Lomechusa ausgehe; nachdem diese
Association einmal gebildet war, wurde die Lomechusa t r o t z des ihr immer noch anhaftenden fuli-
</moms-Geruches bei Begegnung mit den Ameisen nicht mehr misstrauisch „angefahren“, sondern ganz
wie früher behandelt.