Vergeblich bemühte ich mich jedoch, den E in tr itt der aus dem oberen Ganglion entspringenden
Fasern in die Spitze des Frontauges nachzuweisen. Ich konnte sie höchstens bis
zum Ventralauge hin verfolgen. Von einem Umbiegen der Nervenbündel nach unten hin, war,
wie schon erwähnt wurde, nicht die geringste Spur zu entdecken. Im Gegenteil hatte es vielfach
den Anschein, als ob dieselben nach dem oberen Rande der Retina des Frontauges hinstrahlten.
Genau denselben Anblick gewährten zudem auch die Schnitte durch die Augen von Polyphemus,
Evadne und Podon. Ueberall zeigte sich eher eine Divergenz der Nervenfasern nach
aussen, als die gewünschte Konvergenz nach der Spitze des Augenkegels. Welche Erklärung
sollte nun aber für diese Erscheinung beigebracht werden? Ich muss gestehen, dass ich bereits
die längst abgethane, von G o t t s c h e , L e y d i g und P a t t e n aufgestellte Theorie, dass die Nerven
m den Krystallkegeln endigen, von neuem in Erwägung zog und auch an die Möglichkeit dachte,
dass die Nervenfasern, indem sie sich zwischen den Rhabdomen über die ganze Retina verbreiten,
eine zusammenhängende lichtempfindliche Schicht hinter dem dioptrischen Apparate bilden.
Es zeigte sich hier wieder deutlich, wie sehr eine vorgefasste Meinung das U rteil beeinflusst
und den Blick für die wahren Verhältnisse trübt.
Durch einige gelungene Schnitte durch das Auge von Polyphemus wurde mir endlich mit
einem Schlage der ganze Sachverhalt klar. In der Regel sind nämlich die einzelnen Nervenbündel
nicht in ihrem ganzen Verlauf auf einem Schnitte sichtbar, daher h atte ich auch im
Auge von Polyphemus, das ja wegen seiner derben Beschaffenheit u n d ic h t e r e n Pigmentierung
alle Verhältnisse v ie l klarer erkennen lässt, bisher nicht den E in tr itt der Fasern in die Retinula-
zellen direkt beobachten können.
A u f den erwähnten Schnitten (Fig. 20) aber la g der Zusammenhang zwischen beiden Gebilden
so klar zu Tage, dass ein Zweifel nicht weiter obwalten konnte:
A lle Nervenbündel strahlen radiär vom Ganglion aus, treten durch die Membrana fene-
strata ins Auge und verlaufen u n t e r s i c h p a r a l l e l auf dem nächsten Wege nach den ihnen
zugehörenden Retinulen. Treffen sie auf diesem Wege auf die Spitze des entsprechenden Facettengliedes,
so treten sie auch in das proximale Ende der Retinulazellen ein, wie es bei den kurzen
Facettengliedern der F a ll ist. Stossen sie aber auf das distale Ende der Retinulazellen, was
bei den verlängerten Facettengliedern eintritt, deren Spitzen ins Innere des Auges hineingewachsen
sind, so münden sie eben dort in dieselben ein. Und zwar findet der Uebergang in der Weise
sta tt, dass aus jeder Retinulazelle unterhalb des keulenförmig angeschwollenen Endes ein sich
zuspitzender Zipfel in gefälligem Bogen den seitlich herantretenden Nervenfasern entgegenstrebt
(Fig. 13, 20).
Dieser Uebergang lä sst sich unter günstigen Bedingungen bei Polyphemus auf das
genaueste feststellen, da die Zellgrenzen sich hier deutlich abheben. Aber auch bei Bytho-
trephes, Evadne und Podon bleibt er nicht verborgen, sobald man ihn erst an der richtigen
Stelle sucht.
Ich hob bereits hervor, dass es auf Längsschnitten dieser Augen den Eindruck macht,
als ob die oberen Nervenfasern im Frontauge nach oben, also nach dem distalen Ende der Retinulazellen,
umbiegen. Bei genauerem Hinsehen entdeckt man auch hier, dass es sich dabei um
weiter nichts als jene seitlichen Fortsätze der Retinulazellen handelt, die sich mit den senkrecht
zu ihnen verstreichenden Nervenfasern vereinigen.
Man kann ferner nachweisen, dass die vom oberen Ganglion abgehenden Bündel um
so tiefer in das Frontauge eindringen, je weiter sie vom dorsalen Rande entfernt sind.
Dies erklärt sich daraus, dass dieselben zu den vorderen Facettengliedern des Frontauges verlaufen,
während die oberen Nervenbündel in die hinteren Facetten glieder desselben eintreten und
also schon früher als die ersteren endigen. Dies Verhalten zeigen nicht nur die Längsschnitte,
sondern ebensogut auch Horizontalschnitte, welche senkrecht zur Achse des Frontauges liegen.
Sieht man eine Serie solcher Schnitte in der Reihenfolge von oben nach unten durch (Fig. 8 a —e),
so gewahrt man zunächst die grossen fünfblättrigen Rosetten der Retinulä, welche hier und da
in den Blättern die Kerne erkennen lassen. Sie werden noch nicht durch Nervenbündel getrennt.
Geht man zu den folgenden Schnitten über, so werden zuerst die hinteren, dem Ganglion zunächst
liegenden Rosetten unregelmässig. Nach und nach verlieren ihre Blätte r die Eiform und erscheinen
merkwürdig verzerrt, verlängert und in Spitzen ausgezogen. Diese Spitzen sind hell
und nicht pigmentiert (Querschnitte der Nervenfasern).
Unterhalb dieser Region treten zuerst die Nervenbündel auf und zwar ebenfalls wieder
am hinteren Rande. Zwischen den vorderen regelmässigen Rosetten fehlen sie noch gänzlich.
Immer aber sind sie an ihrem Ende verzweigt. Je weiter man dann in die tieferen Regionen
gelangt, desto weiter nach vorne schreiten auf den Schnitten auch die Rosetten mit den un-
regelmässigen Blättern und die sich in ihrer Umgebung baumförmig verästelnden Enden der
-Nervenbündel vor. Nach hinten zu aber werden die Rosetten wieder regelmässig, da man über
die S telle hinausgelangt ist, wo die Nervenfasern in sie eintreten; die nun noch zwischen ihnen
sichtbaren Stränge gehören bereits weiter nach vorne gelegenen Retinulen zu, sie laufen zwischen
ihnen frei hindurch, bis sie an diese gelangt sind. Schliesslich hört die Verästelung der Nervenbündel
ganz auf, die Rosetten nehmen mehr und mehr die Kreisform an und liegen regelmässig,
in Reihen angeordnet zwischen denselben. Man is t in die Region der aus dem ventralen Abschnitt
des Ganglions entspringenden Nervenbündel gelangt, welche das ganze Frontauge durchdringen
und sich erst an seinem vorderen Rande in Fibrillen auflösen. Diese treten dann in
der gewohnten "Weise in die ihnen zugewendeten p r o x im a l e n E n d e n der Retinulazellen ein
(Fig. 2) (cf. pag. 44):
Es is t interessant, dass gerade die von S a m a s s a gegebene Abbildung eines „Frontalschnittes“
(1. c. Tafel VI, Fig . 37) besonders schön den ganzen Vorgang illustriert. Dieser Schnitt
ist, worauf ich schon hinweisen musste, unter spitzem Winkel zur Medianebene g efü h rt; er trifft
infolgedessen Nervenbündel verschiedener Regionen. Auf der rechten Seite durchschneidet er
das Ventralauge, auf der linken Seite verläuft er vollständig im Frontauge. Die ersten 2—3
auf der rechten Seite dargestellten Nervenbündel gehören daher dem Ventralauge an, d. h. sie
entspringen noch aus dem ventralen Abschnitt des Ganglions. Sie sind ganz richtig von S a m
a s s a unverzweigt dargestellt. E r st die weiter nach der linken Seite hin folgenden Nervenbündel,
welche höheren Regionen angehören und schon aus dem dorsalen Ganglion entspringen, sind
entsprechend der von ihm gegebenen Beschreibung (cf. pag. 41) „baumförmig verzweigt“ gezeichnet.
Sie werden, je weiter nach links auf dem Schnitte gelegen, immer kürzer, nicht, wie es
scheint, wegen der Rundung des Frontauges, sondern weil sie immer höheren Regionen angehören
und daher ihre Enden immer näher der Membrana fenestrata fallen. Sie dringen nicht, wie
S a m a s s a glaubte, bis zum Ventralauge vor, von diesem is t auf dem von ihm abgebildeten
Schnitte auf der linken Hälfte überhaupt nichts mehr zu sehen.