
er Thatsachen beizubringen in der Lage war, welche überdies die Annahme eines sinnlichen Er-
kenntniss- und Begehrungsvermögens der Ameisen a u s s c h l i e s s e n .
Hier noch einige weitere Bemerkungen über d a s K r it e r iu m v o n I n s t i n k t t h ä t i g k e i t
u n d b l o s s e r R e f l e x t h ä t i g k e i t . Ein zuverlässiges Kriterium dafür, dass das betreffende Thier
nicht eine blosse Reflexmaschine sei, sondern wenigstens bei seinen höheren Lebensthätigkeiten durch
sinnliche Empfindung und Wahrnehmung auf Grund angeborener Instinkte geleitet werde, scheint mir
folgendes zu sein: d e r B e s i t z b e s t im m t e r S in n e s o r g a n e in V e r b in d u n g m it e in em
n e r v ö s e n C e n t r a lo r g a n , s o w i e d e r z w e c k m ä s s ig e u n d m a n n i g f a l t ig e G e b r a u c h ,
durch welchen das Thier die äusseren Eindrücke für seine Lebensbedürfnisse verwerthet. Reflexthätigkeit
ist ihrem Wesen nach bloss von u n t e r g e o r d n e t e n G a n g l i e n abhängig; sie beruht
auch in jenen Fällen, wo sie von Bewusstsein b e g l e i t e t ist, auf der durch ein Ganglion vermittelten
Verbindung bestimmter Nervenreize mit bestimmten motorischen Reactionen. Letztere
b r a u c h e n dabei ebenso wenig zum Bewusstsein zu kommen wie der Reiz, welcher sie auslöst. Wir
erfahren dies z. B. an den reflectorischen Bewegungen des Herzmuskels, welche ein normaler Mensch
im normalen Zustande gar nicht empfindet. Reflexthätigkeit ist daher ihrem Wesen nach e in fa c h h in
g le ic h fö rm ig und mechanisch schablonenmässig. Man vergleiche nun einmal das Benehmen einer
enthirnten Taube oder eines geköpften Frosches oder einer geköpften Ameise mit dem Benehmen der
normalen Individuen. Bei ersteren erfolgt auf jeden bestimmten äusseren Reiz eine ganz bestimmte
Reaction, und dieselbe wiederholt sich mit konstanter Regelmäßigkeit in derselben Weise so oft als
der Reiz wiederholt wird, bis die physiologische Leistungsfähigkeit der betreffenden Leitungsbahn erschöpft
ist; in dem Gebrauche, den die normalen Thiere von ihren Sinnes- und Bewegungsorganen
machen, ist eine derartige Schablone nicht vorhanden, weder bei den Wirbelthieren noch bei den
Ameisen. Die zweckmässig geordnete Ausübung sämmtlicher Lebensthätigkeiten unter Einwirkung
der äusseren Sinneseindrücke ist bei den Ameisen wie bei den höheren Thieren abhängig von einem
nervösen C e n t r a lo r g a n , nicht bloss von den untergeordneten Nervencentren, die auch nach Entfernung
oder Verletzung des ersteren noch Reflexbewegungen veranlassen können. Es ist bekannt,
dass gerade bei den Ameisen, Bienen und den Arbeiterinnen anderer geselliger Hymenopteren das
Gehirn und insbesondere die Corpora pedunculata desselben eine relativ enorme Entwicklung zeigen.
Folgendes Beispiel dürfte ferner vielleicht geeignet sein, den Unterschied von Instinkt und
Reflexthätigkeit zu erläutern. Wenn die Bienenlaus Braula coeca, wie P e r e z beobachtet hat, auf
die Oberlippe der Honigbiene kriecht und sie dort so lange kitzelt, bis die Biene einen Futtersafttropfen
heraufwürgt, so kann man wohl sagen, die Biene füttere den Parasiten r e in r e f l e c t o r i s c h ,
da sie ihn überhaupt gar nicht zu bemerken scheint, und der andauernde Kitzel eine adaequate Ursache
für einen Würgreflex darstellen kann. Auch die myrmekophile Milbe Antennophorus Uhkna/nni, welche
Ch. J an e t auf Lasius mixtus und ich auf Lasius niger und flavus näher beobachtet haben *), wird von
ihren Wirthen gleichsam reflectorisch gefüttert. Die Ameise macht oft verzweifelte Anstrengungen,
sich des Parasiten zu entledigen, den sie auf der Unterseite des Kopfes trägt;, derselbe schlägt mit
seinen vorgestreckten und ausgebreiteten Vorderfüssen die Kopfseiten der Ameise mit rasch wiederholten
Schlägen in bestimmten Zeitintervallen; ist nun das Kröpfchen der Ameise voll, so wird durch
diesen Kitzel der Würgreflex ausgelöst, ein Futtersafttropfen tritt auf die Unterlippe, den der Parasit
dann aufleckt. Auch hier wird man mit Recht sagen dürfen, die Ameise füttere den Antennophorus
*) Meine Beobachtungen hierüber werden nächstens eingehend mitgetheilt werden.
„ b lo s s r e f l e c t o r i s c h .“ Wenn jedoch eine Ameise, die sich draussen bei den Blattläusen oderim
Futterungsapparat eines Beobachtungsnestes den Kropf mit Honig gefüllt hat, in das Nest zurückkehrt
zu den Larven geht und eine nach der anderen füttert,') oder den übrigen Ameisen und den naoh
Ameisenart sich benehmenden Käfern der Gattung Atemeies nnd Lomechusa von ihrem Vorrathe mit-
“ ’ ®° g esohlellt «¡'«um Futteraustheilung nach meiner Ansicht in s t in c t i v , weil sie hier offenbar
unter der Leitung des sinnlichen Wahrnehmungs- und Strebevermögens des Thieres erfolgt. Die leisen
und oft nur momentanen Fühlerschläge allein, womit eine Ameise oder ein Atemeies oder eine Lomechusa
■ die futternde Ameise zur Mittheilung des Futtersaftes „anffordern“, sind an sich betrachtet, noch kein
adaequater physiologischer Grund für die Auslösung eines Würgreflexes. Eine Ameise mit gefülltem
Kröpfchen kann auch thatsäehlich diese Aufforderung unbeachtet lassen und weitergehen. Selbst
wenn die „bettelnde“ Ameise oder der „bettelnde“ Atemeies die Vorderfüsse erhebt und vor oder
wahrend der Fütterung die Kopfseiten, der fütternden Ameise streichelt, so ist dieser Beiz gleichsam
nur eine sekundäre Unterstützung der durch die Fühlerschläge erfolgten instinktiven Aufforderung zur
Fütterung; und diese,Unterstützung fällt nicht selten aus oder sie bleibt manchmal auch ebenso er-
: |o lg lo s wie die Fühlerschläge. Lomechusa s k tm o sa wird von Formica sanguinea sogar regelmässig gefüttert,
ohne dass der Käfer jemals die Kopfseiten der Ameisen mit' den Yorderfüssen streichelt.
Falls man diese Thatsachen yçiurtheilsffei betrachtet, wird man sagen müssen: wenn eine
Ameise ihre Larvett .qder ihre Gefährtinnen oder ihre echten Gäste füttert, so erfolgt d ie s e Fütterung
A y ch t mit der u n m i t t e lb a r e n N o t h j v e n d ig k e i t einer reflectorisohen Eeaotion wie die Fütterung
einer B ra u la oder eines Antennophorus, sondern Bie ist von dem sinnlichen Wahrnehmungs- und Strebe-
yermögen des Thieres geleitet und in ihrer Ausführung b e s tim m ! Man mag derartige Unterschiede
in der Erklärung der Beobachtungsthatsachen vielleicht .„ fe in “ nennen; aber ohne Berücksichtigung
derselben wird man den Thatsachen des Ameisenlebens, -wie sie nun einmal vorliegen, nie und nimmer
gerecht werden; man wird sie einseitig vergewaltigen, nicht befriedigend erklären.
Ich komme nun zu Herrn Bethe’s E x p e r im e n t e n ü b e r A m e i s e n und zu den Schlussfolgerungen,
die er aus denselben im Einzelnen gezogen. Die Experimente B’s. sind zwar grossen-
theils Wiederholungen früherer Versuche L u b b o ck ’s und Anderer, wurden aber in recht sinnreicher
I 1 G B B | B der Ameisenlarven und die entsprechende ’Fütterung der Larven von Atemeies nnd L om f
causa, sowie die Fütterung von Lomechusa „ln,mos« (Imago) durch die Formten-Arten erfolgt naoh meinen zahlreichen
diesbezüglichen Beobachtungen, die oft mit der Lupe angestellt wurden, in folgender Weise: Die futternde Ameise
nimmt mit nur halbgeöffneten Kiefern den Mund der Larve (hezw. der Lomechusa) in ihren Mund nnd pumpt dann,
wahrend sie dabei manchmal den Kopf leise hin- und herbewegt, den Futtersaft aus ihrem Munde in denjenigen des
zu futternden V, esens. Letzteres verhält sich dabei so passiv, dass man während einer oft eine Minute lang dauernden
Fütterung kaum eine leise Bewegnng seiner Unterlippe mit der Lupe wahrnehmen kann. Wenn dagegen eine Formica
oder Myrm,ca eine andere Ameise oder einen Atemeies füttert, so öffnet sie weit die Oberkiefer nnd lässt einen Saft-
tropfen auf dieselbe treten, der dann von dem anderen Thiere actio mit deutlich sichtbaren Bewegungen der Unterlippe
aufgeleckt wird. Nnr F. sanguinea futtert auch die Atemeies naoh Larvenart, nioht naoh Ameisenart. g i o h fiive- diese
Bemerkungen deshalb hier bei, weil sich in dem Referate, welches Oh. Janet (Etudes s. 1. fourmis, 1. guêpes et” les abeilles,
Note 14, Rapports des animaux myrmécophiles avec le* fourmis, 1897 p. 71) folgende Stelle findet: „Wasmann
a remarqué que la nourriture liquide est dépos ée devant la bouche des Lomechusa plutôt à la façon dont les fourmis
la d é p os e nt devant la bouche de leurs propres larves qu’à la façon, dont elles opèrent pour le dégorgement à une
de leurs compagnes ou à un Atemeies.“ W Dieses Missverstëndniss scheint dadurch veranlasst worden zu sein, dass
Janet die Fiitterungsweise der Larven bei den We s pe n nnd Horni s se n, die er so vortrefflich beobachtet hat, bei
jener Bemerkung im Auge hatte. Bei den Ameisen, wenigstens bei den Formicci-Arten, bei denen ich die betreffenden
Vorange genau verfolgen konnte, erfolgt die Fütterung der Larven jedooh nioht in d ie se r Weise, sondern in der oben
von nur beschriebenen. Vgl. hiezu auch 5. S. 47, 65, 75 (Sèp.); 11. S. 96; 75. besonders S. 467 ff.
Zo o lo g ic a. Heft. 26. _