
keiner Bedingung wirklich aufgenommen. Alle noch so fein ausgedachten Versuche, diese Käfer durch
„Quarantaine“ oder duroh Anwendung des Bethe’schen Doppelbades oder auf anderem Wege aufnehmen
au lassen, schlugen ausnahmslos fehl. Auch nützte es nichts, den Ameisen mit Maskenlack
die Netzaugen zu bestreichen, damit diese weitsichtigsten Formwar Arten den Käfer nicht durch das
Gesicht als Fremdling erkennen könnten. Sogar der Versuch, ihn mit den Speicheldrüsen von rufa
oder praiemis künstlich einzureiben und dadurch „hoffähig“ zu machen, hatte keinen Erfolg. Die
Ameisen griffen ihn zwar nicht so rasch an, sondern ignorirten ihn anfangs; bald jedoch begannen sie
ihn zu verfolgen und tödteten ihn. Um so wichtiger ist es, dass Atemeies emarginatus in jener Kolonie
pratensis = fusca auch von den pratensis ohne Schwierigkeit aufgenommen wurde. Um 9 Uhr Vormittags
war er (unmittelbar aus einem Neste von Myrmica mginodis) in das betreffende Nest gesetzt
worden, wo er sich im Nestmaterial wie gewöhnlich anfangs zu verstecken suchte. Um 2, Uhr Naoh-
mittags sass er bereits friedlich mitten unter den Ameisen und betrillerte sie mit den Fühlern. Die
pratensis griffen ihn nicht einmal feindlich an, als ich, um sie zu reizen, mit einer Pinöette unter sie
fuhr und daduroh einen heftigen Aufruhr verursaohte. Am 22. Dec. 1887 und am 4. Jan. 1888
beobachtete ich wiederholt die sanfte Beleckung des Atemeies durch eine pratensis. Die Weise, den
kleinen Käfer zu behandeln, musste sie durch das Beispiel der fusca „ g e l e r n t “ haben, da sie ihn
sonst bei ihrer überlegenen Grösse und Kraft verwundet haben würde durch zu heftiges Zerren an
den gelben Haarbüscheln. Bei derselben Anzahl pratensis oder rufa würde der Käfer, wenn sie a lle in
gewesen waren, m wenigen Stunden tödtlich verletzt worden sein; in dieser pratensis ^fu sca -Ko lome
lebte er jedoch vom 4. Deo. 1887 bis zum 8. März 1888, blieb völlig unversehrt und gedieh unter
der Pflege beider Ameisenarten vortrefflich. Am 3: März wurde er hei Erhellung des Nestes sofort
von einer pratensis aufzuheben und fortzutragen gesucht, wie es die Ameisen mit ihren Larven und
Puppen bei Erhellung des Nestes thun. An diesem Tage nahm ich den Atemeies aus jenem Beobachtungsneste
fort und verwandte ihn zu weiteren Experimenten über die internationalen Beziehungen
der Ameisengäste.
Dass die Ameisen durch den Einfluss anderer Ameisen ihre Instinkte in wesentlichen Punkten
za m o d ific ir e n vermögen, und dass dieser Einfluss grossentheils auf dem N a ch a hm u n g s tr ieb e der
Ameisen beruht, dürfte hiemit erwiesen sein.
Die Bedeutung des Nachahmungstriebes der Ameisen für ihr s in n lic h e s M i t th e ilu n g s v
e rm ö g e n wurde bereits in einem früheren Absohnitte (S. 69 ff.) dargelegt. Die psychische Wirkung
des Nachahmungstriebes auf die Anregung und Modificirung der individuellen Handlungsweise dieser
Thiere ist d ie n o thw e n d ig e V o r a u s s e tz u n g für die thatsächliche Wirksamkeit der sogenannten
E ü h le r sp r a c h e der Ameisen; denn die Hauptwirkung der Fiihlerschläge besteht ja gerade darin, dass
hiedurch die Aufmerksamkeit der einen Ameise auf die Thätigkeit der anderen hingelenkt wird und
sie dadurch veranlasst, der anderen zu folgen.
Die psychologische Bedeutung des Nachahmungstriebes bei höheren Thieren ist so bekannt,
dass ich hierauf nicht weitläufig einzugehen brauche. Wenn e in Hnnd auf einem Hofe zu bellen anfängt,
weil er einen Bettler gesehen hat, so fallen meist auch dieübrigen Hunde des Hofes von selber
in das Gebell ein, bevor sie noch den Bettler gesehen haben; ja ein einziger bellender Hund vermag
zur Nachtzeit nicht selten das ganze „Hundepersonal“ der Nachbarschaft zu einer allgemeinen Bellerei
zu verleiten. Ferner kann ein junger Jagdhund von einem alten Jagdhund, in dessen Begleitung er
sich befindet, auf Grund seines Nachahmungstriebes Manohes lernen, was er durch eigene sinnliche
Erfahrung sich viel langsamer oder vielleicht gar nicht angeeignet haben würde. Ferner wird bei den
Jungen der höheren Thiere, welche in Familien oder Heerden leben, die instinktive Einübung der
angeborenen Keflexmeohanismen, die wir oben als die e r ste Form des selbständigen Lernens be-
zeichneten, nicht bloss durch die unabhängigen Muskelgefühle des Individuums ausgelöst, sondern in
hervorragendem Maase auch durch den Nachahmungstrieb; indem die Jungen das Benehmen der Alten
-duroh ihre äusseren Sinne wahmelimen, werden in ihnen eben jene Muskelgefühle m itte lb a r angeregt,
welche die instinktive Ausführung der betreffenden Thätigkeiten leiten. Der sogenannte U n te r r ic h t,
den die alten Vögel ihren Jungen und die alten Eaubthiere den ihrigen ertheilen, redncirt sich psychologisch
darauf, dass sie Vergnügen daran finden, mit ihren Jungen zu spielen und ihnen bei Gelegenheit
dieser Spiele Vieles in s t in k t i v v o rm a c h e n , was jene in s t i n k t i v n a c h a hm e n und dadurch
„ le r n e n “. So lernen z. B. die jungen Hunde, Katzen und Affen durch die Anregung, welche der
Nachahmungstrieb ihnen bietet, rascher laufen als es sonst der Fall sein würde; so lernen auch die
Kätzchen rascher den Mäusefang, indem die Alte ihnen eine noch lebende Maus bringt, welche dann,
oft gemeinschaftlich mit der Alten, als Gegenstand für ihre „Jagdspiele“ dient. So lernen auch die
jungen Vögel rascher fliegen und singen, indem der Nachahmungstrieb die von ihnen selber zu bewirkende
instinktive Einübung der Flieg- und Singreflexe unterstützt und beschleunigt. Selbstverständlich
machen auch die Jungen der höheren Thiere unter dem Einflüsse des Nachahmungstriebes
manche eigene Erfahrungen rascher als e s s ih n e das Beispiel der Alten geschehen würde. Das
„Lernen“ durch Naohahmung kommt hier auch der zw e ite n Form dés selbständigen Lernens zu Gute.
Wir brauchen daher zur Erklärung dieser biologischen Thatsachen keine h ö h e r e n psychischen
Elemente herbeizuziehen als jene, ohne welche wir auch bei den Ameisen das „Lernen durch Nachahmung“
nicht zu erklären vermochten.
Der Nachahmungstrieb der Affen ist so stark entwickelt, dass e r sprichwörtlich geworden ist.
Aber gerade das bezeichnende Wort „Nachäffen“, welches man auf diese Form der Nachahmung anwendet,
bestätigt, dass wir auch hei den Affen keine ¿individuelle Intelligenz“ annehmen dürfen, wenn
wir die Bethätigung ihres Nachahmungstriebes richtig erklären wollen. Das Naohahmungsvermögen
der Affen ist allerdings ein vielseitigeres als bei den Ameisen, zumal wegen der grösseren Vollkommenheit
und Mannigfaltigkeit der Gesichtswahrnehmungen der ersteren. Aber dass es einen Beweis für
ein w i r k l i c h e s D e n k v e rm ö g e n , also für eine „ I n t e l l i g e n z “ im e i g e n t l i c h e n S in n e d e s
W o r t s biete, davon kann bei den Affen ebensowenig die .Kede sein als bei den Ameisen.
Es könnte nahe liegen, hier auch auf die „A m e is en a ffen “ einzugehen und d ie in s t in k t iv e
N a o h a hm u n g d e s B e n e h m e n s d e r A m e is e n d u r o h a n d e r e m y rm e c o p h i le I n s e k t e n ,
namentlich durch gewisse echte Gäste aus den' Ordnungen der Colcopteren und Hymenopteren, als
„Lernen durch Nachahmung“ zu deuten. Der Grad der aktiven Mimicry, den z. B. das Verhalten
eines Atemeies gegenüber den Ameisen aufweist, ist in der That ein sehr hoher; er macht nicht nur
die Fühlerschläge der Ameisen nach, sondern erhebt bei der Aufforderung zur Fütterung sogar seine
Vorderfüsse und streichelt mit denselben nach vollendeter Ameisensitte die Kopfseiten der fütternden
Ameise. Trotzdem kann ich in diesen Erscheinungen keine Nachahmung im p sy c h o lo g is c h e n Sinne
des Wortes erkennen. Eine solche ist nur dort vorhanden, wo ein Wesen die Ausübung seiner eigenen
erblichen Instinkte dadurch v e r v o llk om m n ejh'oder’sogar m o d i f i c i r t , dass es das Benehmen anderer
Wesen nachahmt; so war es der Fall in den oben erbrachten Beispielen aus dem Ameisenleben und
aus dem Leben der höheren Thiere. Bei den Ameisengästen dagegen, welche das Benehmen ihrer'
Wirthe naohahmen, ist diese Naohahmung bis in ihre Einzelheiten bereits bestimmt durch die ererbten
Instinkte des nachahmenden Thieres. Keinem gründlichen Beobachter des Ameisenlebens wird es in