
Unterseite des Atemeies mit der Ameisenzunge. Dann liess ich ihn in das kleine Fütterungsgläschen (f)
des Nebennestes, hineinlaufen, wo er ruhig sitzen blieb. Nach wenigen Sekunden kam eine sanguinea
in das Gläschen; der Käfer lief nun in das Nebennest hinein, mitten durch die dort versammelten
Ameisen. Sein Benehmen war kein aufgeregtes, sondern ein ganz normales; er schien vor den fremden
Ameisen keine Furcht zu haben. Die ersten pratensis, denen er begegnete, schienen ihn nicht zu
bemerken; ebenso die ersten sanguinea. Aber schon nach 20 Sekunden war eine Anzahl sanguinea
auf ihn aufmerksam geworden. Einige berührten ihn nur flüchtig mit den Fühlern, während andere
mit geöffneten Kiefern auf ihn losgingen und ihn zu beissen versuchten; s i e h a t t e n ih n t r o t z
d e s G e r u c h e s d e r e ig e n e n S p e i c h e l d r ü s e n s e k r e t e , d e r ihm a n h a f t e t e , d e n n o c h a ls
F r em d l in g e r k a n n t . Eine sanguinea packte ihn mit plötzlichem Sprunge an einem Mittelbein,
krümmte sich heftig ein und zerrte dann den Käfer mit sich fort w i e e i n e f e i n d l i c h e A m e is e .
Immerhin behandelten sie den Käfer nicht so feindlich wie es ohne die vorhergegangene künstliche
Beleckung mittelst einer sanguinea-Zunge der Fall gewesen sein würde. Die Misshandlungen von
Seite der sanguinea hörten allmählich auf, und am 10. Mai (nach zwei Tagen) sah ich ihn ganz munter
und unversehrt im Neste umherlaufen; von keiner Ameise wurde er bei Begegnung angegriffen.
Nun nahm ich am Nachmittag des 10. Mai einen zweiten Atemeies emarginatus (Nr. 2) aus
demselben Neste von Lasius mixto-umbratus und behandelte ihn nach derselben Methode wie den ersten.
Er wurde in Alkohol 3 0 °/0 gebadet, dann, nachdem er trocken geworden, mit der Zunge des frisch
abgeschnittenen Kopfes einer pratensis- $ der genannten gemischten Kolonie sorgfältig bestrichen; dann
liess ich ihn in dasselbe kleine Fütterungsgläschen des Nebennestes hineinlaufen. Diesmal dauerte es
viel länger, bis er in das Nest überging, mehr als l/s Stunde. Als er dort endlich erschien, wurde er
nicht heftig angegriffen, aber auch nicht unmittelbar aufgenommen; die sanguinea und pratensis, die
ihm begegneten, berührten ihn mit den Fühlern, wobei sie ihre Kiefer als Zeichen des „Misstrauens“
(d. h. eines gemischten halb friedlichen, halb feindlichen Eindruckes) öffneten. Plötzlich packt ihn
eine pratensis und hält ihn fest, lässt ihn aber gleich wieder los. Der Käfer lief in das Fütterungsgläschen
zurück. Eine pratensis folgte ihm, packte ihn von hinten am Kopfe und holte ihn heraus;
dabei hielt sie den Käfer unter ihrem Körper. Nun begann eine komische Scene. Die sanguinea,
die zu dem festgehaltenen Atemeies kamen, berührten ihn mit den Fühlern und gingen dann meist
gleichgiltig weiter; einige dagegen griffen ihn vorübergehend an, andere beleckten ihn. Ganz anders
die pratensis. Diese behandelten den mit den ^mfewsis-Speicheldrüsensekreten behafteten Käfer wie
ein von ihnen gefangenes B e u t e t h i e r , das sie langsam, wie eine mit einer Maus spielende Katze,
umbrachten. Während sie' doch die Lomechusa, die in dieser gemischten Kolonie sich befanden, nach
dem Beispiele der sanguinea als echte Gäste behandelten, schien es ihnen unmöglich zu sein, dieses
Yerhalten auch gegenüber dem Atemeies anzuwenden, während die sanguinea sich gegen den Atemeies
Nr. 1 bereits wie gegen einen aufgenommenen Gast verhielten.
Das Schönste kam aber jetzt. Plötzlich sah ich eine andere pratensis mit dem Atemeies Nr. 1
im Maule herankommen; sie hatte ihn gefangen und hielt ihn an einer Seitenecke des Prothorax mit
ihren Kiefern fest. Yor der Ankunft des Atemeies Nr. 2 hatten sie auch Nr. 1 bereits ruhig geduldet.
Der Atemeies Nr. 1 wurde von der betreffenden pratensis eine halbe Stunde lang festgehalten ; eine
Reihe sanguinea, die herzukamen, beleckten sämmtlich den gefangenen Käfer sanft und andauernd
wie einen aufgenommenen Gast; keine einzige zerrte an ihm. Auch eine rufa kam und leckte vorübergehend
an ihm. 2 pratensis, die herbeikamen, beleckten ihn sanft und andauernd, ähnlich wie
die sanguinea es alle thaten; aber das Benehmen der pratensis war durchaus inkonstant. Während
die erste, die ihn gefangen hatte, ihn immer noch am Halsschild festhielt, kam eine andere pratensis
und beleckte ihn sanft; eine dritte dagegen begann an einem Hinterbein des Käfers heftig zu zerren;
dann hielt sie ihn an dem Beine lange Zeit fest, so dass jetzt 2 pratensis ihn hielten. Dabei schwebte
der Körper des Käfers in der Luft, ohne den Boden zu berühren.
Am Morgen des 11. Mai lag die verstümmelte Leiche eines der beiden Atemeies im Nebenneste;
der Kopf war abgerissen, ebenso wie die Mehrzahl der Beine. Eine sanguinea trug bei Erhellung
des Nestes den Rumpf des Käfers sofort weg. Ein anderer Atemeies (ob Nr. I oder 2 liess
sich nicht bestimmen) war von 3 pratensis umgeben, deren eine ihn am Halsschild festhielt, die zweite
seinen Hinterleib beleckte, während die dritte ihn heftig an den Hinterleibsseiten zerrte und dabei
sogar die Hinterleibsspitze gegen den Käfer mehrmals einkrümmte; jedesmal begann der Käfer heftig
zu zucken. 5 Minuten später hielt eine pratensis den Atemeies am Hinterbein fest, während eine
Sanguinea ihn sanft und anhaltend beleckte. 5 Minuten später hält die eine pratensis ihn noch am
Hinterbein fest; 2 andere pratensis sitzen dabei, von denen eine ihn sanft beleckt, während die andere
sich einkrümmt und mit heftiger Anstrengung ihrer Kiefer die Flügeldecken des Käfers aufreisst
und unterhalb derselben Stücke des Muskelfleisches loszureissen sucht; die Flügel waren ihm schon
theilweise ausgerissen. Als die erste der 3 pratensis den Käfer weitertrug, sah ich, dass seine Beine
bereits. steif und zum Theil in verdrehter Stellung vom Körper abstanden; der Hinterleib war einge-
zogen; nur die Fühlerspitzen zuckten noch leise. Der Käfer war von den pratensis umgebracht worden.
Diese Beobachtungen dürften wohl beweisen, dass d e r G e r u c h d e r S p e i c h e l d r ü s e n s
e k r e t e von sanguinea keineswegs die u nm itte lb a r e Aufnahme eines Atemeies emarginatus in der
betreffenden sanguinea-Kolonie verursacht. Dadurch, dass pratensis als Hilfsameisen in jenem Neste
sich befanden, wurde sogar die endgültige Aufnahme des Atemeies Nr. 1 vereitelt. Ich hatte bei den
obigen Versuchen absichtlich den einen der beiden Käfer mit der Zunge einer sanguinea, den anderen
mit derjenigen einer pratensis eingerieben, um den Unterschied des Benehmens der Ameisen in beiden
Fällen konstatiren zu können. Atemeies Nr. 1 wäre wahrscheinlich wirklich aufgenommen worden,
wenn nicht der nach pratensis riechende Nr. 2 dazu gekommen wäre, welcher die pratensis dazu verleitete,
beide Käfer zu fangen, festzuhalten und mit ihnen zu spielen wie die Katze mit der Maus.
Die sanguinea, welche den ersten Atemeies bereits kennen gelernt hatten, würden vielleicht auch den
zweiten, nach dem Speichel ihrer Hilfsameisen riechenden, schliesslich aufgenommen haben, wenn die
pratensis nicht so ungeschickt dazwischen getreten wären.
Yon besonderem Interesse ist ferner die Aufnahme eines Atemeies emarginatus (am 4. Dec. 1887)
in einer natürlichen, anormal gemischten Kolonie von F. pratensis, welche fusca als Hilfsameisen hatte.1)
A t. emarginatus und p aradoxus2) werden nämlich von rufa oder pratensis allein n i em a l s und unter
1)' Ueber diese Kolonie sind nähere Mittheilungen bereits in den „Zusammengesetzten Nestern und gemischten
Kolonien der Ameisen“ (21, 1891) S. 173 ff. gegeben worden.
2) Atemeies paradoxus darf nicht verwechselt werden mit dem viel grösseren pubieollis Bris., welcher rufa
als .normalen sekundären Wirth besitzt. Alle älteren Berichte über das Vorkommen von paraäoxus bei rufa beziehen
sich auf pubieollis. Vgl. 5 (1888) S. 6 und 20; 38 (1894) S. 63—65. — Der eigentliche biologische Grund, wesshalb
die Atemeies-Arten, die den Herbst und Winter bei ihren primären Wirthen der Gattung Myrmica zubringen, zur Fortpflanzungszeit
in Formica-Nester gehen müssen, liegt darin, dass die Myrmica unbedeckte (coconlose) Puppen haben
und desshalb ihre eigenen Larven nicht vor der Verpuppung mit einem Gehäuse von Erde bedecken (einbetten). . Da
die Atemeleslarven in Erdgehäusen sich verpuppen und zur Einbettung der Unterstützung durch die Ameisen bedürfen,
desshalb müssen die Atemeies ihre Larven bei Formica-A.rien erziehen lassen (At. emarginatus bei F. fusca, At. paraäoxus
hei F. rufibarbis, At. pubieollis bei F. rufa, At. pübicolUs Var. Foreli bei F. sanguinea).