
So neu und ungewöhnlich nun auch die im Voraufgehenden geschilderte A r t der Innervation
zunächst erscheinen mag, so muss man sich doch sagen, dass sie durchaus in dem ganzen
Entwickelungsgange des Auges begründet ist. Vergegenwärtigen wir uns nämlich, dass auch bei
den Polyphemiden zunächst die Augenanlage eine gleichmässig dicke, halbkugelige Ektodermschicht
vorstellt, aus der sich in dorsoventraler Richtung nach und nach die Facettenglieder
differenzieren, und dass anfangs dieselben alle gleiche Länge haben und radiär um das Ganglion
angeordnet sind, so sehen wir, dass ursprünglich dieselben Verhältnisse obwalten, wie bei ändern
Facettenaugen, und dass infolgedessen die Innervation in genau derselben Weise eingeleitet
werden kann, wie bei jenen.
Die bipolaren Ganglienzellen treten also auch hier mit d e n S p i t z e n der sich streckenden
Retinulazellen in Verbindung, und bleiben dauernd mit denselben im Zusammenhänge gerade
wie in jedem ändern A ug e , nur hängt es im weiteren von der Richtung des Wachstums der
Retinulä ab, wohin später diese ursprünglichen Spitzen in der Retina zu lieigen kommen.
Geschieht das Wachstum nur nach aussen hin, vom Ganglion hinweg, wie es bei den meisten
Facettenaugen der F a ll i s t , so wird die radiäre Anordnung der Facettenglieder nicht beeinträchtigt,
und die Spitzen der Retinulä bleiben nach wie vor dem Ganglion zugewendet; die
Gestalt des Auges bleibt die einer halbkugeligen Schale, welche dem Ganglion vorliegt.
Kommt zu diesem normalen Wachstum aber noch ein Spitzenwachstum nach innen
hinzu, so wird, wenn alle Facettenglieder von demselben gleichzeitig betroffen werden, ein Kugelauge,
wie bei den Daphniden und bei Leptodora entstehen. D ie Spitzen der Facettenglieder
nähern sich, indem sie nach einem gemeinsamen Mittelpunkte hinstreben, lassen aber um denselben
noch so v ie l Raum für die Schar der Nervenbündel fr e i, dass dieselben auch in diesem
F a lle an die Spitzen der Retinulä gelangen können, ohne ihre centrifugale und parallele Richtung
aufzugeben.
Wenn aber nur ein Teil der Facettenglieder dem Spitzen Wachstum nach innen unterworfen
ist, so dringen diese naturgemäss in den Raum zwischen Ganglion und den übrigen Facettengliedern
ein, und infolge des Zurückweichens des Ganglions geht ihre ursprünglich radiäre
Stellung in eine tangentiale zu demselben über. D ie Nervenbündel können nun nicht mehr unbehindert
zu ihren entsprechenden Retinulen hingelangen. Zwei F ä lle sind dann betreffs ihres
Verlaufes denkbar.
Entweder behalten die Insertionspunkte der Nervenfasern ihre Lage an der Spitze der
Facettenglieder bei, oder nicht. Im ersteren Falle würde die ganze Schar der Nervenbündel
ebenfalls aus der centrifugalen in die transversale Richtung übergehen müssen; auch die unteren
zum Ventralauge hinstrebenden Bündel müssten den Bogen um die Spitze des Frontauges herum
beschreiben, da sie von den oberen mit herabgedrückt würden, und die Folge wäre eine ausserordentliche
Verlängerung aller Nervenbündel, namentlich der mittleren. Dazu würde der Zusammenhang
zwischen Ganglion, Front- und Ventralauge durch die zwischen ihnen liegenden
Scharen von Nervenbündeln sehr gelockert sein.
In dem ändern F a lle , der bei dem Polyphemidenauge v o rlieg t, fallen diese Nachteile
sämtlich fort. D ie Nervenbündel gelangen auf dem kürzesten Wege und in parallelem Verlauf
zu ihren Retinulen, der Zusammenhang zwischen Ganglion, Front und Ventralauge ist in der
denkbar besten Weise gesichert, und jedes zur Verfügung stehende Plätzchen is t höchst vorteilhaft
ausgenutzt. Alles dies wird allein dadurch ermöglicht, dass die Insertionspunkte der oberen
Nervenfasern, d. h. die ursprünglichen Spitzen der Retinulazellen ihre Lage im Raume im allgemeinen
beibehalten und die letzteren nur ihre bipolare Gestalt aufgeben. Die ursprünglichen
proximalen Enden der Retinulazellen erscheinen hinfort als seitliche Zipfel an den in der Richtung
des Rhabdomes weiter in die Tiefe gewachsenen Retinulen. Indem dieselben ferner schichtenweise
sich zwischen den unterhalb gelegenen Nervenbündeln hindurchdrängen, wird deren Verlau
f auf keine Weise gestört, und nur die untersten, zuletzt entstehenden Nervenbündel müssen,
da der Zwischenraum zwischen jenen Schichten immer kleiner wird und schliesslich ganz wegfällt,
seitlich ausweichen und ihren Weg um den Kegel des Frontauges herum nehmen.
Bei Bythotrephes können übrigens auch diese untersten Nervenbündel des Ventralauges
nicht in die Spitzen ihrer zugehörigen Facettenglieder einstrahlen, da dasselbe dem Frontauge
zu dicht anliegt. Sie treten gleichfalls seitlich in die Retinulä ein und man hat daher im
unteren Teil des Ventralauges dieselbe Erscheinung wie im Frontauge: Die Nervenbündel durchsetzen
hier wie dort quer zur Achse der Facettenglieder die pigmentierte Retina (Fig. 1). Ebenso
treten auch in die langen Retinulä des Ventralauges von Polyphemus und Podon die Nervenfasern
seitlich ein, da dieselben gleichfalls einem beträchtlichen Spitzenwachstum unterworfen sind.
Was den Verlauf der Nervenfibrillen innerhalb der Retinulazellen betrifft, so bin ich
nicht in der Lage, darüber genaue und bestimmte Angaben zu machen. Das Polyphemidenauge
is t für derartige Untersuchungen kein geeignetes Objekt.
Ich kann nur bemerken, dass ich auch im unteren Teile der Retinulä auf Querschnitten
durch das Frontauge in der pigmentierten Hülle der Rhabdome helle, lichtbrechende Flecke konstatierte,
welche ich als die Querschnitte der Achsenfäden der Fibrillen (P a r k e r 1891, pag. 116)
deutete. Demnach wäre auch hier das Rhabdom in seiner ganzen Ausdehnung von den Nervenfibrillen
umhüllt, deren feinste Verzweigungen v ie lle icht, wie es P a r k e r bei Ästacus glaubt
nachweisen zu können, seitlich in die Plättchen des Rhabdoms einstrahlen (P a r k e r 1895,
pag. 15—2 0 , Fig . 60). Ueberhaupt scheint mir die auch von J o h a n s e n -.(1892, pag. 353) gete
ilte Auffassung P a r k e r s von der Natur des Rhabdoms Beachtung zu verdienen, nach welcher
dasselbe keine Cuticularbildung, keine „Sccretion“x sondern eine „Differentiation“ („lebende Mo-
dification“, J o h a n s e n ) eines Teiles des Protoplasmas der Retinulazellen is t , ähnlich wie die
Muskelsubstanz das Produkt einer Muskelzelle ist. (P a r k e r 1895, pag. 20.)
Es darf, wie ich glaube, wohl nicht verwundern, dass meine Beobachtungen am Polyphemidenauge
noch kein Analogon gefunden haben, da bisher auch noch kein Facettenauge beschrieben
ist, in welchem sich die Spitzen der Rhabdome wirklich in einem Punkte vereinigen. A u f diesen
Umstand aber is t augenscheinlich die ganze Umbildung zurückzuführen, da sie auch im unteren
Teile des Ventralauges von Bythotrephes in die Erscheinung t r it t, dessen Facettenglieder zum
Teil gleichfalls direkt nach einem Punkte konvergieren (Fig. 1). Das einzige Auge, welches nach
meinem Wissen für einen Vergleich in betracht käme, is t das Scheitelauge von Phronima, welches
wie das Frontauge der Polyphemiden einen spitz zulaufenden Kegel darstellt.
Nach der von C la u s gegebenen Beschreibung jedoch (1879, pag. 67, Taf. VIII, Fig. 64)
is t die Aehnlichkeit nur eine äusserliche. Die Rhabdome konvergieren keineswegs nach der Spitze
des Kegels, wie man annehmen könnte, sondern verlaufen fa st parallel zu einander nach der einen
Seite der Mantelfläche, auf welcher sich eine einfache Schicht bipolarer Ganglienzellen ausbreitet.
Von dieser mit dem Ganglion opticum in Verbindung stehenden Schicht treten die Nervenfasern
in der gewöhnlichen Weise an die einzelnen Retinulä. Es lieg t also, soweit sich übersehen lässt,