
Sklaven, veranlasste, in derselben Weise nach der Dinarda suchend umherzuspringen, bevor diese
ihnen noch selber begegnet war. In anderen Fällen war es wiederum eine kleine sanguinea *), welche
die neue Dinarda zuerst bemerkte und die Jagd eröffnete, wodurch sie auch andere, ihr begegnende
Ameisen zur Verfolgung des Käfers verleitete. Eine Mittheilung durch Fühlerschläge zwischen den
sich begegnenden Ameisen war m e i s t nicht zu beobachten; es genügte, dass die verfolgende Ameise
an einer anderen nahe vorüberlief oder zufällig an sie anrannte, um auch letztere zur Nachahmung
anzuregen, während wiederum andere Gefährtinnen bei demselben Zusammenstoss gleichgiltig blieben,
weil dadurch ihre Aufmerksamkeit nicht angeregt worden war. Der Einfluss des Nachahmungstriebes
bei der Dinarda-Jagd zeigte sich nicht bloss zwischen F . sanguinea und ihren normalen Hilfsameisen
(fusca und rufibarbis), sondern auch zwischen sanguinea und ihren anormalen Hilfsameisen (rufa und
pratensis). Die beiden letzteren, insbesondere rufa i. sp., haben als normalen, indifferent geduldeten
Gast Dinarda Mä/rlceli in ihren Nestern. Dieser Käfer wird von ihnen noch friedlicher behandelt als
D. dentata bei F . sanguinea; sein Verhältniss zu rufa bildet fast einen Uebergang von der indifferenten
Duldung (Metoekie) zum echten Gastverhältnisse (Symphilie).2) Um so bemerkenswerther ist es, dass
auch rufa und pratensis als Hilfsameisen von sanguinea in dem obenerwähnten grossen Beobachtungsneste
manchmal (obwohl im Vergleich zu sanguinea nur selten) an der Verfolgung einer Dinarda Märlceli
sich betheiligten. Es war hier sicherlich der Einfluss des B e i s p i e l s , das ihnen von sanguinea g e geben
wurde und das sie veranlasste, ihr erbliches instinktives Verhalten gegen jene Dinarda in das
entgegengesetzte zu verwandeln. Da F . rufa und pratensis im .übrigen weit weniger zu „lernen“ vermögen
als sanguinea und sich gleichmässiger, automatischer benehmen als diese,. glaube ich um so
mehr, dass es hier hauptsächlich der Nachahmungstrieb war, der sie zur Modificirung ihres Instinktes
bewog; denn dieser Trieb ist gerade bei rufa und pratensis stärker entwickelt als bei sanguinea, fusca
und rufibarbis, wo die einzelnen Individuen selbständiger voranzugehen pflegen und daher auch durch
eigene sinnliche Erfahrung (zw e ite Form des Lernens) mehr zu lernen vermögen als jene.
Ein anderes Gebiet, wo sich der Einfluss des Nachahmungstriebes auf die instinktiven Thätig-
keiten der Ameisen erweisen lässt, ist die B l a t t l a u s z u c h t von F . sanguinea. Wie bereits Forel
in seinen „Fourmis de la Suisse“ vortrefflich dargelegt hat, beschäftigt sich diese Ameise unter
gewöhnlichen Verhältnissen fast ausschliesslich mit dem Insektenraub als Nahrungserwerb; den Blattlausbesuch
überlässt sie ihren Hilfsameisen (fusca oder rufibarbis). Letztere sind besonders naschhaft
auf Blattlaus- und Blumenhonig. Auf Wiesen habe ich mit dem Streifnetze sehr häufig F . rufibarbis,
seltener fusca, von den verschiedenen Blumen abgefangen, dagegen nie andere Formica-Arten. Forel
hat nun in seinen „Etudes myrmecologiques en 1875“ (p. 58) über eine natürliche Kolonie von
F . sanguinea, welche rufa als Hilfsameisen hatte und daher zu den anormal gemischten Kolonien dieser
Art gehörte, folgende Beobachtung mitgetheilt. Die ni/ct-Sklaven dieser Kolonie hatten ein Gebüsch
mit Blattläusen entdeckt, die früheren Blattlauszüchter (Lasius niger) von demselben vertrieben und
drei oder vier Tage hindurch allein den Blattlausbesuch ‘besorgt. Dann kamen jedoch bereits einige
sanguinea mit, und von da an wurden die Blattläuse von sanguinea und rufa in ungefähr gleicher Anzahl
besucht. Das Vorgehen der rufa hatte hier für die sanguinea die Anregung zu dem neuen
*) Die kleinsten Individuen waren gewöhnlich die eifrigsten und geschicktesten Dinarda-Jäger, da. sie wegen
ihrer Kleinheit den Käfer erfolgreicher an den Extremitäten erwischen konnten.
2) In meinen Mittheilungen aus dem Jahre 1889 „Zur Lebens- und Entwicklungsgeschichte von Dinarda11 (9)
war dieser Unterschied zwischen D. Maerkeli und dentata noch nicht erwähnt .worden.
Nah rungserwerb gegeben. Die angenehmen Erfahrungen, welche sie mit dem Blattlaushonig machten,
bewogen sie wahrscheinlich auch dazu, diesem neuen Erwerbszweige um so eifriger nachzugehen.
Schon,-,aus dieser Beobachtung Forels ergibt sich, dass im vorliegenden Falle der Einfluss des
Nachahmungstriebes es war, der von den rufa ausging und von den individuellen Erfahrungen der
sanguinea unterstützt wurde. Letzteres Moment muss jedenfalls auch berücksichtigt werden, weil die
sanguinea manchmal sogar dann Blattlauszucht treiben, wenn sie keine rufa als Hilfsameisen haben.
Einen solchen Fall hat der schwedische Ameisenforscher Adlerz neuerdings berichtet.1) Er sah eine
sanguinea-Kolonie, welche fusca als Sklaven hatte, auf Blattlausbesuch gehen; anfangs waren hiebei
die fusca zahlreicher vertreten, später dagegen die sanguinea.
Ich füge aus meinen Notizbüchern noch einige neue Beobachtungen über Blattlausbesuch
von F . sanguinea bei. Am 26. Mai 1884 traf ich bei Blijenbeck (im nördlichen Theile von Holländisch
Limburg) eine grössere Anzahl sanguinea mit dem „Melken“ grauschwarzer Blattläuse auf mehreren
nahe beisammenstehenden niedrigen Büschen von Finus silvestris beschäftigt. Hilfsameisen waren bei
diesem Blattlausbesuche gar nicht zu sehen. Am 13. August 1889 fand ich am Laacher See (Rheinische
Vordereifel) eine kleine Kolonie von F . sanguinea am Fuss einer Rothtanne, auf welcher diese Ameisen
mit dem Besuch von Blattläusen sich abgaben. Ich sah mehrere sanguinea hintereinander mit von
Blattlaushonig strotzendem Hinterleib den Stamm herabkommen, während andere leer hinaufgingen.
Auch diesmal sah ich keine Sklaven bei dem Blattlausbesuche. Am 6. August 1896 fand ich auf
dem „hohen Malberg“ bei Ems eine starke sanguinea-Kolonie von grösser Rasse der ö , mit nur sehr
wenigen fusca-Sklaven und einer Anzahl Dinarda dentata. Es waren vier Nester, 4—8 m von einander
entfernt, darunter eines verlassen, eines neu begonnen und zwei volkreich; alle lagen unmittelbar oder
nahe bei sehr dicken alten Föhrenstrünken. In einem der zwei letzteren Nester waren unter einem
Rindenstück über einem Nesteingange zahlreiche g -Cocons von Lasius niger aufgespeichert sowie eine
Menge u n b e d e c k t e r (coconloser) $ -Puppen von sanguinea; auch ziemlich viele frisch entwickelte g
von sanguinea befanden sich dort. Die sanguinea dieser Kolonie gingen in grösser Anzahl zum Besuch
von Blattläusen auf eine benachbarte hohe Lärche {Larix europaea), die hinaufgehenden mit dünnem
Hinterleib, die herabkommenden mit einem von Honig geschwelltem Hinterleib. Unter diesen Blattlausbesuchern
sah ich keine einzige der Hilfsameisen (fusca). Am 2. September 1896 beobachtete
ich bei Kolonie 220 meiner statistischen Karte der sanguinea-Kolonien von Exaeten Folgendes. Der
Nestplatz dieser Kolonie war mit einer in der Nähe stehenden Kiefer (Finus silvestris) durch einen
Zug von sanguinea verbunden, die zum Besuch von Blatt- oder Schildläusen den Stamm hinaufgingen
und mit dick gefülltem Kropfe wieder herabkamen. Auch an diesem Blattlausbesuche sah ich keine
einzige der Hilfsameisen sich betheiligen. Aus den anderen über Kolonie 220 aufgezeichneten Notizen
entnehme ich noch die folgenden Bemerkungen. Diese Kolonie war sehr volkreich und bewohnte
sieben benachbarte grössere und kleinere Haufen. Die Zahl der fusca-Sklaven betrug in den letzten
Jahren (1896 und 1897), entsprechend der Stärke jener Kolonie, bloss Vs—1 Prozent.
Aus diesen Beobachtungen folgt mit grösser Wahrscheinlichkeit, dass F . sanguinea auch manchmal
s e lb s t ä n d i g Blattlauszucht treibt, obwohl sie für gewöhnlich von Insektenraub lebt. Namentlich
in dem Gebiete, welchem Kolonie 220 angehört, fand ich im Sommer der letzten Jahre ziemlich regelmässig
eine bedeutende Menge von nackten, grünen Spannerraupen aufgespeichert, welche durch die
sanguinea-¥Lo\on\on dieses Distriktes als Beute von den Kiefern eingetragen worden waren. Durch
4) Myrmecologiska Notiser (Entom. Tidskr. Arg. 17, H. 2, 1896), S. 134.