
vermag jetzt Käfer und Ameise erst nach langem, aufmerksamen Suchen zu unterscheiden. Aus meinen
zahreichen diesbezüglichen Erfahrungen theile ich nur folgende Beobachtung (vom 23. März 1898) mit.
Ich hatte am 22. März ein neues Beobachtungsnest (flaches Glasnest Lubbock’scher Methode)
mit einer Abtheilung der Pseudogynen-haltigen sanguinea-Kolonie No. 86 eingerichtet (86. 1 ). Bei
den mehreren hundert Ameisen hatte ich eine der im Neste gefundenen Lomechusa stmmosa gelassen
und wollte nun am 23. März Nachmittags nach der Lomechusa sehen. Ich zog langsam das schwarze
Tuch fort, welches die obere Glasplatte des Nestes bedeckte, und fand die Ameisen (wegen der
kühlen Witterung) mitten im Neste zu einem grossen, unbeweglichen Klumpen zusammengekauert,
welcher vom Boden des Nestes bis zu der 20 mm entfernten oberen Glaswand reichte. Ich suchte
nun 5 Minuten lang mit meinen Augen vergeblich nach der Lomechusa, die ich bei den Ameisen
sitzend vermuthete. Bereits glaubte ich, sie müsse im Innern des Ameisenklumpens oder anderswo
im Neste versteckt sein, als ich sie plötzlich unmittelbar unter der oberen Glaswand, oben auf dem
Ameisenklumpen sitzen sah. Kein einziger Theil ihres Rumpfes war von den umgebenden Ameise®
verdeckt worden, die Lomechusa war v ö l l i g f r e i s i c h t b a r während dieser ganzen Zeit; und doch
musste ich so lange suchen, bis ich sie endlich wahrnahm! Eine an derselben Stelle still sitzende
Dinarda dentata würde ich, wie ich aus oftmaliger Erfahrung weiss, trotz der Aehnlichkeit ihrer
Färbung mit jener der Ameisen, ohne Schwierigkeit erkannt haben, die viel grössere und breitere
Lomechusa aber nicht. Dass zwischen Lomechusa bezw. Atemeies und ihren Wirthen eine für das Auge
täuschende Aehnlichkeit der Gestalt unter normalenVerhältnissen besteht, dürfte biemit wohl bewiesen sein.
Die Lichtreflexe, welche jene Täuschung bewirken, gehen hauptsächlich vom Hinterleib und
vom Halsschild des Käfers aus. Ersterer gleicht in seiner aufgerollten Haltung einer glänzenden
Kugel von der Grösse des Hinterleibes einer lo rmica - bezw. einer Myrmica-lLömgm. Die tief ausgehöhlten
und am äussersten Rande aufgebogenen Seiten des Halsschildes dagegen bewirken, dass
das Mittelstück der Halsschildfläche durch stärkeren Glanz hervortritt und durch diesen Lichtreflex
als ein morphologisch selbständiges, schmal gewölbtes Stück von der Breite eines Ameisenrückens
erscheint. Auf das Sehvermögen der Netzaugen von Ameisen muss, wie auch aus Forels Deductionen
über die Funktion der Facettenaugen hervorgeht, eine derartige auf Lichtreflexen beruhende optische
Täuschung noch viel wirksamer sein als auf unser weit schärferes Auge. Wenn aber die Formica
und Myrmica nicht s e lb e r ein gewisses optisches Unterscheidungsvermögen für Gestalten besässen,
so wäre die ganze auf o p t i s c h e r T ä u s c h u n g beruhende Aehnlichkeit jener Ameisengäste mit
ihren Wirthen offenbar v ö l l i g z w e c k l o s ; sie wäre ebenso zwecklos wie bei Ameisen, die kein
optisches Unterscheidungsvermögen für Farben besitzen, die farbige Aehnlichkeit der Gäste mit den
Wirthen zwecklos wäre. Dies wird dadurch bestätigt, dass in Gesellschaft von Ameisen, welche
schwach entwickelte Netzaugen oder statt derselben nur einfache Ocellen besitzen, niemals eine auf
optischer Täuschung beruhende Aehnlichkeit der Gestalt der Gäste mit jener der Wirthe sich findet.
Eine gesetzmässige, nur aus der objektiven Nachahmung der Wirthsfärbung erklärliche Aehnlichkeit
des Colorites zwischen Gast und Wirth finden wir ferner ebenfalls nur bei Gästen solcher Ameisen,
welche ziemlich gut sehen können; für das Unterscheidungsvermögen der Farben liegt jedoch die
untere Grenze des Sehvermögens t i e f e r als für das Unterscheidungsvermögen der Gestalten; selbst
einfache Ocellen können, wenn sie ziemlich gross und gewölbt sind, diesem Zwecke dienen, wie ich
es für einige Fciton hier nachweisen werde.
Bevor ich zu den neotropischen Ecitongästen übergehe, muss noch die farbige Aehnlichkeit
einiger anderer e i n h e im i s c h e n A m e i s e n g ä s t e kurz berücksichtigt werden.
Die gesetzmässig myrmecophilen Arten der Gattung Myrmedonia leben zum grössten Theil
(6 Arten) bei der glänzend schwarzen Holzameise Lasius fuliginosus, eine derselben (Myrmedonia
humeralis), überdies bei F. m fa ; Myrmedonia ruficoWs endlich lebt bei dem südosteuropäischen
Liometopum microcephahm. Die Myrmedonien sind feindlich verfolgte Einmiether (Synechthren), die
sich in Schlupfwinkeln des Nestes und beim Nesteingange verstecken, von dort aus namentlich Nachts
über vereinzelte Ameisen herfallen und sie in Stücke reissen. Wegen ihrer relativ bedeutenden
Grosses» iwelehe jener der betreffenden Ameisen gleichkommt oder sie sogar etwas übertrifft, haben
diese Räuber es nicht leicht, sich der feindlichen Aufmerksamkeit der Ameisen zu entziehen, welche
sie oft heftig verfolgen. Es ist nun sehr bezeichnend, das von den 6 Myrmedonien, die bei Lasius
fuliginosus leben, gerade die beiden glänzend rein schwarzen M. ftmesta und laticoUis Grv. weitaus
die häufigsten sind; sie sind eben durch ihre mit derjenigen der Wirthe vollkommen übereinstimmende
Färbung am besten gedeckt. Auch die etwas selteneren M . cognata und lugms und die seltene
M . simüis sind dunkel gefärbt, obwohl ihre Färbung derjenigen der Wirthe nicht vollkommen gleicht.
Eine Myrmedonia-Art soheint aber gar nicht zu Las. fuKginosus zu passen, nämlioh die sehr grosse,
rothgelb und schwarz gefärbte M. humeralis Grv. In der That ist sie nicht d ie s e r Ameise angepasst,
sondern der grössseren, roth und schwarzen F. rufa, welche ebenfalls ihr. normaler Wirth ist. Ihre
Färbung und Grösse musste nach, derjenigen der beiden Wirthsameisen sich richten, welche ihr wegen
ihrer grösseren Scharfsichtigkeit, Stärke und Gewandtheit gefährlicher wird und zugleich schwerer
von ihr zu bewältigen war; daher ist die Grösse und die bunte Färbung von M. humeralis biologisch
wohlbegründet. Eine sehr auffällige Aehnlichkeit der Färbung besteht ferner zwischen Myrmedonia
rußcollis und Liometopum microcephaluvn. Bei beiden ist Kopf und Hinterleib schwarzgrau, der Mittelkörper
hellroth; die rothen Flügeldecken des Käfers haben einen breiten schwarzen Seitenrand, wodurch
der rothe Mittelkörper schmaler erscheint als er ist, dem schmalen Ameisenrücken entsprechend.
Da Liometopim gut entwickelte Netzaugen besitzt, müssen wir auch hier die farbige Aehnlichkeit des
Gastes mit dem Wirthe als eine echte Mimicry beze ichnenääfi auf Täuschung des Gesichtssinnes
der Ameise hinzielt. Auch zwischen Lasius niger und seinem normalen. Gaste Somoeusa aeumimtd
Mark, besteht eine ausgesprochene Aehnlichkeit des Colorites. Der Käfer ist fast von der Grösse der
Ameise; beide sind vorn und hinten dunkler, in der Mitte heller braun. Somoeusa (Myrmobiota)
crassicomis Gas., die amerikanische Form unserer 3 . aaimmata, ist, entsprechend der helleren Färbung
ihres Wirthes (Lasius americanus Ern.) ebenfalls heller gefärbt; Die nähere Lebensweise der Somoeusa
ist noch unbekannt; nach meinen Beobachtungen an S . aemninata ist ihr Yerhältniss zu den Wirthen
ein ähnliches wie dasjenige von Dinarda.
Bei den myrmekophilen Myrmedonien kommt zu der Ameisenähnlichkeit der F ä rb u n g auch
noch eine Ameisenähnlichkeit der G e s t a l t hinzu, welche dadurch bewirkt wird, dass die Käfer mit
aufgerolltem Hinterleibe einherlaufen, der dann dem Hinterleibe einer Ameise gleicht. Ich habe
selbst in Folge dieser Mimicry wiederholt beim ersten Anblick eine M. funesta mit Lasius fuliginosus
verwechselt. Eine vollkommenere, auf komplicirten Lichtreflexen beruhende Nachahmung der Ameisenform,
wie wir sie bei Atemeies und Lomechusa finden, ist bei Myrmedonien nicht vorhanden. Sie
würde auch zwecklos und wirkungslos sein, indem diese Käfer nicht in Mitte der Ameisen selber
sich aufzuhalten pflegen, sondern n g ) in der Nachbarschaft derselben; daher treten sie den Ameisen
nicht au£ gleichfarbigem Hintergründe gegenüber, was für die optische Vortäuschung der Ameisen-
gestalt von Atemeies. und Lomechusa die Vorbedingung ist.
Dass die Aehnlichkeit des Colorites, die zwischen den myrmekophilen Myrmedonien und ihren