
gegangen waren. Die Dressur sollte erreichen, dass durch die wiederholte Erfahrung des Thieres jene
Umstande gleichsam e in f e s t e s G a n z e mit dem Gefühl des Nahrungsbedürfnisses bildeten. Daher
fuhrt sich dieser ganze Prozess, soweit es sich um die psychische Thätigkeit d e s T h i e r e s handelt,
bloss auf die obenerwähnte zw e i t e Form des Lernens zurück, auf das „L e r n e n d u r ch s e l b s
t ä n d ig e s in n l i c h e E r fa h r u n g in f o lg e u n m i t t e lb a r e r B i ld u n g n e u e r V o r s t e l l u n g s a
s s o c ia t io n e n .“ Desshalb müssen wir nach den Gesetzen einer kritischen Psychologie schliessen:
D i e D r e s s i r b a r k e i t d e r h ö h e r e n T h ie r e b i e t e t k e in e n B e w e i s {f ü « d i e I n t e l l i g e n z
d e r T h i e r e , s o n d e r n b lo s s fü r d a s s in n l i c h e E r k e n n t n i s s v e rm ö g e n d er T h i e r e u n d
fü r d ie I n t e l l i g e n z d e s M e n s c h e n . Dafür dass ein Thier duroh die Dressur des Menschen
gelernt hätte, s e lb s t ä n d i g n e u e S c h lü s s e zu b ild e n , existirt kein einziger Beweis.
6. Die s e c h s t e Form des Lernens ist d a s L e r n e n d u r ch i n t e l l i g e n t e B e l e h r u n g
Der Lernende muss hier nicht bloss, wie es bei der fünften Form der Fall war, jene sinnlichen Vor-
stellungsassociationen bewahren, welche der Lehrer duroh die von ihm angeordnete Folge bestimmter
sinnlicher Eindrücke in ihm hervorgerufen hat, sondern er muss s e lb s t ä n d i g w e i t e r s c h l i e s s e n .
Dieses „Lernen“ fasst somit die vorige Form als Grundlage und Vorbedingung in sieh, geht aber
noch weit über dieselbe hinaus. Sie umschliesst ferner auch die vierte Form des Lernens, das Lernen
dnroh instinktive Nachahmung. Ueberdies basirt sie auf den drei ersten Formen des Lernens, besonders
auf der zweiten und dritten Form des selbständigen Lernens. Sie setit nämlich als noth-
wendige Bedingung voraus, dass der Lernende im Stande sei, neue, sinnliche Associationen durch Erfahrung
zu bilden (zweite Form), und überdies aus früheren Erfahrungen auf neue Verhältnisse zu
schliessen (dritte Form). Gerade durch ihre Beziehung zur dritten Form des., selbständigen Lernens
unterscheidet sich die sechste Form wesentlich von der fünften, von dem Lernen,idjireh Dressur. Wie
das selbständige Lernen der dritten Form unmöglich ist ohne e in w i r k l i c h e s S c h lü s s v e r -
m ö g e n , also ohne_ eine I n t e l l i g e n z im e i g e n t l i c h e n S in n e d e s W o r t e s , so ist auch das
Lernen durch Belehrung unmöglich, wenn der Lernende keine I n t e llig e n z besitzt: Fehlt ihm das
Schiassvermögen, so muss er bei den Vorstellungsverbindungen, die durch seine eigene sinnliche Erfahrung
oder durch den Einfluss des Lehrers in ihm unmittelbar bewirkt 5g>rden Bind, stehen bleiben;
er vermag nicht höher zu steigen auf der psychischen Stufenleiter, er kann nicht durch den Einfluss
des Lehrers lernen, s e lb s t ä n d i g w e i t e r zu s c h i i e s s e i f : kurz: e r k a n n n ic h t d e n k e n
l e r n e n , w e il ihm d a s D e n k v e rm ö g e n f e h lt .
Dass der Mensch, und zwar sogar das Kind des rohesten Wilden, die Fähigkeit besitzt, duroh
fremde Belehrung neue Wahrheiten za erkennen und in dieselben allmählich tiefer einzudringen, bedarf
keines Beweises. Es ist eine Thatsache, die durch die Kulturgeschichte der Menschheit, namentlich
auch durch die Missionsgeschichte der Neuzeit, völlig feststeht. Es kann sich daher hier nur darum
handeln, ob auch den Thieren ein solches Vermögen zukomme oder nicht. Die Antwort hierauf ergibt
sich eigentlich schon ans unserer Untersuchung über die dritte Form des selbständigen Lernens:
das Thier vermag nicht aus früheren Erfahrungen auf neue Verhältnisse zu s o h l i e s s e n ; daher vermag
es auch nicht, d u r c h B e l e h r u n g z u l e r n e n . Es fehlt in der psychischen Anlage des
Thieres die nothwendige Voraussetzung hiefür: d i e e i g e n e I n t e l l i g e n z .
Ich will dies noch durch einige th'atsächiiche Belege hier näher erläutern. • Der berühmte
Pudel Van konnte durch die von Lubbook ihm ertheilte Dressur 'im „Lesen lernen“ nicht dazu gelangen,
selbständig weiter zu schliessen. Es fehlte ihm die intelligente Einsicht in die Beziehung,
welche zwischen den betreffenden Schriftzeichen der Tafel-und ihrer Bedeutung bestand. Daher holte
er auch nach langer Dressur noch oft die falsche Tafel, wenn er Hunger hatte. Es kam ihm auch
gar nicht in den Sinn, die von ihm durch' sinnliche Erfahrung infolge der Dressur erworbene konkrete
Verbindung der Vorstellung der betreffenden Tafel mit der Stillung seines Nahrungsbedürfnisses dazu
zu verwerthen, um seine Gefährtin, das Schooshündchen Patience, „im Lesen zu unterrichten.“ Patience
selber „begriff“ jenen Zusammenhang zwischen Tafel und Futter ebensowenig. Obwohl sie oft gesehen
hatte, dass Van gefüttert wurde, wenn er eine Tafel braohte, so kam sie doch nie auf den
Ein fa lB e s ebenfalls zu thun, wenn sie Hunger hatte. Sie vermochte nicht, die Erfahrungen Van’s
sich zu nutzen zu machen, weil sie nicht im Stande war, aus denselben auf ihre eigenen Verhältnisse
einen selbstständigen Schluss zu ziehen.
Man hat zwar vielfach von einer intelligenten Belehrung geredet, welche manche höhere Thiere
ihren Jungen zu theil werden liessen. Die betreffenden Thatsachen erklären sich jedoch bei näherer
Betrachtung viel einfacher.’) Der ganze vorgebliche „Unterricht“, den die Thiere ihren Jungen im
Gehen, Fliegen, Fressen, Jagen u. s. w. gehen sollen, entpuppt sich als eine von den Alten ausgehende
instinktive Anregung des Nachahmungstriebes der Jungen, wodurch letztere in der Einübung
ihrer angeborenen Reflexmechanismen unterstützt werden und überdies manche eigene sinnliche Erfahrungen
machen können, die sie allein nieht so rasch gemacht haben würden. Diese Erscheinungen
gehören daher zur vierten Form des Lernens, mit Einschluss der ersten und zweiten. Da für einen
w e i t e r g e h e n d e n „Unterricht“ bei den Thieren keine Beweise vorhanden sind, und da die ebengenannten
drei psychisohen Faktoren zur Erklärung der Thatsachen völlig ausreichen, darf man jene
„Unterrichtung“ der Jungen durch ihre Alten auch nicht als B e l e h r u n g im menschlichen Sinne des
Wortes deuten. ¡Selbst das Wort „Unterricht“ kann auf jene Erscheinungen höchstens im a n a lo g en
Sinne angewandt werden; denn es schliesst in seiner e i g e n t l i c h e n Bedeutung bereits eine in t e l l i g
e n t e B e l e h r u n g in sich, d. h. e in e Y w e c k b e w u s s t e A b s io h t von Seite des Lehrers und
ein w i r k l i c h e s V e r s t ä n d n i s s von Seite des Lernenden. Es ist daher eigentlich ein Anthropomorphismus,
von „ U n t e r r ic h t “ eines Thieres durch ein anderes Thier zu reden.
Es gibt ferner viele schöne Anekdoten über Papageien, Staare und andere Vögel, welche durch
den Einfluss des Menschen das Sprechen lernten, üntersuoht man jedoch die betreffenden Thatsachen
genauer, so stellt sich heraus, dass auch diese Vorgänge mit einem in t e l l i g e n t e n L e r n e n von
Seite des Thieres gar nichts zu thun haben: Der Nachahmungstrieb des Thieres wird von der menschlichen
Dressur dazu (benützt, dass : es bestimmte Laute in bestimmter Reihenfolge hervorzubringen lernt.
Dafür jedoch, dass ein Vogel den intelligenten Zusammenhang jener Laute untereinander w ir k li c h
v e r s t a n d e n h a b e , liegt kein einziger Beweis vor. Man kann einen Papagei zwar durch geduldige
Abrichtung dahin bringen, dass er von selber „guten Morgen“ oder „guten Abend“ ruft, sobald sein
Herr erscheint,. oder dass er andere ihm durch Dressur beigebrachte Worte oder kurze Sätze bei ähnlichen
Gelegenheiten zum besten gibt. Dies geschieht jedoöh in einer schablonenmässigen Weise,
ohne Spur eines wirklichen Verständnisses für die Bedeutung jener Lautzeichen; gerade die verkehrte
Anwendung, welche das Thier von seinem eingepackten „Sprachschätze“ zu machen pflegt, bildet einen
Hauptreiz für den Menschen, der das Ungereimte erheiternd findet.2) Die hier wirklich vorliegenden
’) Vgl. hiezu auch die .treffenden Ausführungen bei Altum, „Der Voge l und aein L eb en “, 6. Aufl. S. 208.
..“) Ein Kollege (0. Pfülf S. J.) hatte die Güte, mir folgende eigene Beobachtungen hierüber mitzutheiien:
„Mit einem gut abgerichteten grünen Papagei, der viele Sprüohe konnte und recht deutlich sprach, hatte ich 1872
in dem Hause einer befreundeten Familie oft zu thun. Wiederholt kam es vor, dass Leute vom Land an der Haus-
thüre sieh meldeten, weil „Jacob“ ihnen unerkannt durch das halbgeöffnete Fenster zngerufen hatte: „Bauer komm’