Qualitäten verfügen. Er hält seine eigentümliche und nach meiner Meinung falsche Auffassung vom
Instinkt aufrecht und wird sie auch weiterhin aufrecht erhalten, und weiterhin leugnen, dass wir es
bei den Ameisen mit reinen Reflexhandlungen zu thun haben, weil er zeigen muss, dass die Ameisen
sich in ihren Lebenserscheinungen nicht wesentlich von den höheren Säugern unterscheiden, damit
sich nicht am Ende eine progressive Entwicklung der psychischen Qualitäten herausstelle, die den
Menschen nicht im Gegensatz zu den Thieren, sondern nur als höchstes Glied einer langen Entwicklungsreihe
erscheinen liesse.“
Inwieweit ich mit Herrn Bethe übereinstimme oder nicht, ist nunmehr klar genug dargelegt
worden. Darin dürfte Bethe wohl Recht haben, dass er meint, ich würde auf die von ihm bisher vorgebrachten
Gründe hin meine frühere Ansicht über den Instinkt der Thiere und über das psychische
Leben der Ameisen nicht ändern. Ich werde wahrscheinlich fortfahren müssen zu leugnen, dass die
Ameisen blosse Reflexmaschinen seien, so lange man mir keine besseren Beweise dafür erbringt.
Bezüglich des Beweggrundes, den er mir hiefiir unterlegt, obwaltet jedoch ein Irrthum. Er sucht
denselben viel zu w eit, nämlich in meiner W e l t a n s c h a u u n g , die von der seinigen verschieden
sei. Der wirkliche Grund liegt viel näher: B e t h e h a t o h n e a u s r e i c h e n d e K e n n t n i s s d e r
B e o b a c h t u n g s t h a t s a c h e n und o h n e d ie e r f o r d e r l i c h e Y o r s i c h t d e r p h i l o s o p h i s c h e n
S c h lu s s f o l g e r u n g e n s e in e n e u e „ R e f l e x t h e o r i e d e s A m e i s e n l e b e n s “ a ll z u k ü h n
k o n s t r u i r t ; d i e s e l b e i s t u n a n n e hm b a r w e g e n ih r e r in n e r e n U n h a l t b a r k e i t , n i c h t
w e g e n ir g e n d e in e r W e l t a n s c h a u u n g .
Bethe macht mir Mangel an Unbefangenheit in Beurtheilung des Ameisenlebens zum Yorwurf,
die aus aprioristischen Yorurtheilen entspringe.1) Anderen scheint vielleicht Bethe’s Be weis verfahren
den Eindruck zu madhen, als ob die extreme Skepsis, die er dem psychischen Leben der Ameisen
entgegenbringt, aus dem Bestreben hervorgehe, dieselben in Reflexmaschinen zu verwandeln. Wer
das Thierleben „vorurtheilsfreier“ auffasst, lasse ich dahingestellt. Nur soweit die Absicht des-Verfassers
in seiner Beweisführung sich äussert, kann sie Gegenstand der Diskussion werden. In dieser
Beziehung glaube ich, dass die Art und Weise, wie Bethe wiederholt die seiner neuen Theorie entgegenstehenden
Thatsachen durch kühne Vergleiche oder durch die kühne Behauptung, dass etwas
derartiges gar nicht existire, zu entkräften versucht hat, nicht ganz objektiv war. Auch darin muss
ich einen Mangel an Objektivität finden, dass er einerseits sämmtliche Wirbellose für empfindungslose
Reflexmaschinen hält,2) während er andererseits nicht einmal den Versuch macht, seine Reflextheorie
auch auf die Wirbelthiere anzuwenden. Dass dies leicht möglich gewesen wäre und auch bezüglich
der Wirbelthiere zu ähnlichen Schlussfolgerungen geführt hätte wie bezüglich der Wirbellosen, wird im
folgenden Abschnitte noch näher gezeigt werden.
Auch von anderen Kollegen ist neuerdings wieder der Versuch gemacht worden, meine Auffassung
des psychischen Lebens der Thiere durch Gründe zu widerlegen, die aus anderen Gebieten
hergenommen sind. Herr Professor Dr. H. E. Ziegler (Freiburg) hat in einer Besprechung meiner
beiden letzten Schriften (58 und 59) im „Zoologischen Centralblatt“ (1897 Nr. 26) die in denselben
’) Vgl. auch die Einleitung seiner Schrift (S. 16): „Wasmann, der mit so scharfem Verstände die Lebenserscheinungen
der Ameisen zergliedert und unbarmherzig die Thatsachen von anthropomorphistischen Vorurtheilen befreit,
kann nicht zur vollkommen unbefangenen Betrachtung der Verhältnisse gelangen, da ihn die vorgefasste Meinung
von der Existenz eines Schöpfers daran verhindert.“
2) Vgl. hiezu S. 98 seiner Schrift.
enthaltenen Beobachtungen zum grossen Theile mit einer Objektivität und sachlichen Sorgfalt referirt,
für welohe ich ihm meine aufrichtige Anerkennung ausspreche. Dagegen hat er jene Punkte in seiner
Besprechung umgangen, in denen ich-eine Parallele zwischen dem Seelenleben der Ameisen und der
höheren Thiere gezogen und dadurch seine Beweise für die psychische Entwicklung der Tn.n.cklj.hen
Gesellschaftsformen aus denjenigen der höheren Thiere ^w id e r leg t hatte.
Er e rk lä r t M obs: „loh werde Wasmann weder hier noch an anderer Stelle antworten, denn
seine Einwendungen entspringen lediglich daraus, dass er an der alten scholastischen Psychologie fest,
hält. Wasmann wird stets die Handlungen des Mensohen von denen der Thiere principiell unterscheiden,
da die ersteren stets bewusst seien und auf dem freien Willen beruhen. Dagegen bin ich
(wie andere Naturforscher) der Ansicht, dass man gar nicht wissen kann, wie viel Bewusstsein oder
Selbstbewusstsein die Handlungen, der Thiere begleitet., und dass der sogenannte freie Wille des
Menschen nur das Spiel stärkerer und schwächerer Motive is|g; Ich will hier nicht mit Herrn Ziegler
über die berühmte Präge der menschlichen Willensfreiheit mich auseinandersetzen, die man jedenfalls
nicht durch die allzu billige Behauptung lösen kann, es handle sich dabei bloss um „das Spiel stärkerer
oder schwächerer Motive“. Dagegen rbemerke ioh zur Richtigstellung seiner obigen Beweisführung
folgendes. Ob man den Thieren Intelligenz im eigentlichen Sinne zugeBtehen will, ist nicht von der
„scholastischen Psychologie“ abhängig. Professor; Wilhelm Wundt, welchen Ziegler sicherlich nicht
zu den Vertretern dieser Psychologie rechnen darf, ist bezüglioh der Frage, ob die Thiere, auch die
höheren, ein wirkliches Denkvermögen besitzen, in der zweiten Auflage seiner „Vorlesungen über die
Menschen- und Thierseele“ (1 8 9 ||; zu denselben Ergebnissen gelangt wie ich. Es ist ferner irrthüm-
lioh, dass Ziegler mir unterschiebt;,, ich hätte, behauptet, s äm m t lic h e Handlungen des Mensohen
seien von Selbstbewusstsein und freiem Willen g e le it e® eine derartige offenbar falsche Behauptuhg
habe ich niemals aufgestellt. Wenn er sich ferner auf sämmtliche übrigen Naturforscher dafür beruft,
dass man „nicht wissen könne“, ob die Thiere mit Selbstbewusstsein handeln oder nicht, so muss ich,
ebenfalls im Namen derselben Naturforscher, hiegegen Einspruch erheben. Die Beobachtung der
biologischen Thatsachen kann uns hierüber allerdings keinen d i r e k t e n Aufschluss geben, da man
das Selbstbewusstsein der Thiere nicht sehen, fühlen, hören oder riechen kann, wohl aber einen in-
d l r e k t ^ p indem wir unseren Verstand gebrauchen und aus den Erscheinungen auf ihre Ursachen
schliessen. Zeigen die Thiere keinerlei Thätigkeiten, welohe bloss durch die Annahme eines Selbstbewusstseins
erklärlich sind, so dürfen wir;,ihnen auch kein Selbstbewusstsein zuschreiben; steht die
Annahme eines Selbstbewusstseins der Thiere überdies im Widerspruch mit vielen anderen ihrer
Thätigkeiten, so müssen wir als denkende Naturforscher überdies sagen: die Thiere haben kein Selbstbewusstsein.
Verzichtet man darauf, aus den sichtbaren Aeusserungen des. thierischen Seelenlebens
auf die psychisohen Fähigkeiten der Thiere zu schliessen, so leistet man eo ipso auf eine vergleichende
Thierpsychologie Verzicht und macht dieselbe zu einer blossen vergleichenden Nervenanatomie und
Nervenphysiologie. Das Prinzip, ein Naturforscher könne nicht wissen, ob eine Ameise oder ein
Pferd mit Selbstbewusstsein handle oder nicht, müsste folgerichtig auch auf sämmtliche übrige psychische
Qualitäten der Thiere ausgedehnt werden, die wir ebensowenig d i r e k t sehen können wie das Selbstbewusstsein.
Hieraus würde folgen, dass der Naturforscher den Thieren auoh keine sinnliche Wahrnehmung
und sinnliche Empfindung zuschreiben dürfe. Daher .ergibt sich aus jenem Prinzip die unabweisbare
Schlussfolgerung, d a s s e s fü r d en N a t u r f o r s c h e r g a r k e in e T h i e r p s y c h o lo g i e
*) H. E. Ziegler, Die Naturwissenschaft und die socialdemokratische Theorie. Stuttgart 1893.