
pratensis auch als Hilfsameisen von sanguinea in meinem grossen Beobachtungsneste wenigstens so
weit bei, dass eine im Oberneste neu ankommende Lomechusa regelmässig ihre Aufmerksamkeit in
hohem Grade erregte; sie wurde sofort von n ifa oder pratensis genau untersucht und beleckt, und
dann begannen die komischen Transportversuche. Die Lomechusa besitzt ein besonderes Geschick,
auf ihrer Unterlage sich mit gespreizten Beinen festzustemmen und festzuhalten; selbst eine grosse,
starke sanguinea, rufa oder pratensis'muss oft lange arbeiten, bis es ihr gelingt, den passiven Widerstand
der Lomechusa zu überwinden und sie aufzuheben. Sobald die Beine des Käfers in der Luft
sind,, zieht dieser Fühler und Beine an sich und lässt sich ruhig hintragen, wohin es der Ameise
beliebt; aber manche Ameise lässt wegen des Widerstandes der Lomechusa von ihrem Transportversuche
ab, bevor es ihr gelungen ist, den Käfer aufzuheben. Bei einer solchen Gelegenheit machte
ich die folgende Beobachtung über das Mittheilungsvermögen der Ameisen.
Am 13. März 1896 hatte ich in der scmguinea-Kolome Nr. 36 2 Lomechusa. gefunden. Sie
wurden mitgenommen und in das Obernest meines grossen Beobachtungsnestes gesetzt, wo gerade
nur 3 rufa sich befanden. Eine derselben näherte sich alsbald einer Lomechusa, prüfte sie mit
den Fühlerspitzen, packte sie dann an den Haarbüscheln der Hinterleibsseiten und versuchte sie aufzuheben;
dazwischen beleckte sie den Käfer, aber nur kurz und oberflächlich. Ich nahm nun mit
einer Pincette diese und eine zweite rufa, welche es mit der anderen Lomechusa ebenso machte,
heraus und sperrte die beiden Ameisen in den Glaskolben des Fütterungsrohrs, wo sie durch den
unter ihnen aufgehäuften Zucker von der Rückkehr in das Obernest abgeschnitten waren. Eben
wollte ich auch die beiden Lomechusa mit der Pincette aus dem Oberneste herausnehmen, um sie
unmittelbar durch eine der Oeffnungen des Hauptnestes in das letztere zu setzen, weil ich befürchtete,
die plumpen rufa möchten bei ihren Transportversuchen zu gewaltsam mit den Gästen verfahren, da
sah ich, wie die allein noch im Oberneste befindliche rufa eine der beiden Lomechusen an einem der
gelben Haarbüschel glücklich aufgehoben hatte und mit ihr zu dem Loche ging, das in das Obernest
hinabführt1). Da ich gerade in demselben Augenblicke das Obernest vom Vorneste abgehoben hatte,
um die Lomechusen herauszunehmen, kehrte die ru fa an dem Loche wieder um und setzte den Käfer
nieder. Rasch befestigte ich das Obernest wieder auf dem Vorneste, um zu sehen, was jetzt geschehen
würde. 2 fusca, die auf Fourage im Fütterungsrohre gewesen waren, kamen von dort
zurück in das Obernest, prüften die Lomechusen mit den Fühlern, beleckten sie dann kurz und gingen
weiter, in das Vornest hinab. Die zurückgebliebene ru fa näherte sich abermals einer Lomechusa und
versuchte fünf Minuten lang vergeblich, sie aufzuheben. Unterdessen war keine einzige Ameise in
das Obernest heraufgekommen. Da liess die rufa plötzlich von der Lomechusa ab, lief durch die
Oeffnung des Obernestes in das Vornest hinunter, wo eine Anzahl rufa (unter dem Korkpfropfen des
Vornestes) beisammen sassen und schlug diese mit den Fühlern. Kaum 3 Sekunden waren seit dem
Fortgehen der einen rufa aus dem Oberneste verflossen, da erschienen 5 rufa z u g l e i c h in der
Oeffnung des Obernestes und gingen, mit ihren Fühlern vorsichtig suchend, auf die Lomechmen zu.
Dass diese 5 rufa (oder wenigstens 4 derselben,, da die fortgegangene wahrscheinlich auch dabei war)
von der e in e n ru fa g e h .o lt worden waren, halte ich für z w e i f e l l o s . Die Lomechusen wurden
i) Man vergleiche hierzu die Taf. I. Das Vornest ist oben durch einen dicken Korkpfropfen verschlossen,
dessen Mitte von einer Glasröhre durchbohrt wird, welche durch den Korkboden des Obernestes geht und beide Nest-
theile verbindet. Durch diese Vorrichtung ist es möglich, das Obernest durch eine leichte Drehung vom Vorneste abzuheben,
ohne dass die im letzteren befindlichen Ameisen davon die geringste Notiz nehmen.
nun von mehreren rufa gleichzeitig aufzuheben versucht; bei einem der beiden Käfer gelang es bereits
nach wenigen Minuten, und eine der betreffenden ru fa ging dann mit dem sich regungslos verhaltenden
Gaste sofort zum Eingänge des Vornestes, während die anderen rufa im Oberneste zurückblieben.
Nachdem die Trägerin mit ihrer Last einige Sekunden nach dem Eingangsloche gesucht hatte, fand
sie es, stieg dann mit der Lomechusa im Maule die Holzbrücke des Vornestes hinab und suchte mit
ihr in die Verbindungsröhre zu gelangen, welche in das Hauptnest führt. 5 Minuten lang fand sie
jedoch das Loch nicht, sondern stiess immer mit der sich regungslos verhaltenden Lomechusa an der
betreffenden Stelle oder an der Glaswand unmittelbar neben dem Loche an. Endlich setzte sie ihre
Last nieder; die Lomechusa nahm sofort ihre gewöhnliche Haltung wieder an1) und blieb, mit den
Fühlern trillernd, vor dem Eingang der Verbindungsröhre sitzen. Unterdessen hatte eine zweite rufa
endlich auch die zweite Lomechusa aufgehoben, kam mit ihr aus dem Obernest über die Holzbrücke
des Vornestes herabgestiegen und ging ebenfalls direkt auf die Oeffnung zu, die in das Hauptnest
führte. Aber auch sie konnte nicht in die Verbindungsröhre gelangen und suchte 10 Minuten lang
nach dem Loche, während sie die regungslose Lomechusa quer im Maule hielt. Sie hatte zwar die
rechte Richtung, stiess aber immer mit ihrer Last an und drückte dieselbe gegen die Glaswand.
Schliesslich setzte auch sie die Lomechusa hin und untersuchte das zum Hauptneste führende Loch
der Verbindungsröhre. Jetzt erst bemerkte auch ich, 'wesshalb die beiden rufa sich so lange vergeblich
bemüht hatten, in die Verbindungsröhre zu gelangen; der Hinterleib einer dicken Schmeiss-
fliege war bei einem früheren Transporte in der Mündung der Röhre stecken geblieben und verstopfte
das Loch. Die Ameisen zogen nun mit vieler Anstrengung das Hinderniss heraus; dann wurden die
Lomechusen von den ru fa in das Hauptnest hinübergetragen.
Dass die belasteten rufa die Verstopfung des Loches nicht rascher bemerkten, bietet keinen
Beweis gegen das sinnliche Wahrnehmungsvermögen der Ameisen; denn die belasteten Ameisen sind
im freien Gebrauche ihrer Fühler gehindert, namentlich wenn sie eine so breite Last wie eine Lomechusa
im Maule tragen. Sehen konnten die beiden rufa das im Loche steckende Hinderniss schon desshalb
nicht, weil die Mündung der Verbindungsröhre in einem Korkpfropfen stak und dunkel war. Wenn
die Ameisen blosse Reflexmaschinen wären, so würden sie auch nach Ablegung ihrer Last das Hinderniss
nicht wahrgenommen und entfernt haben; sie hätten dann ruhig gewartet, bis dasselbe durch die
von der anderen Seite (vom Hauptneste) herkommenden Ameisen zufällig herausgestossen würde.
Ich hatte bei der soeben mitgetheilten Beobachtung über das Mittheilungsvermögen von F. rufa
gar nicht die Absicht gehabt, ein Experiment über diesen Gegenstand anzustellen. Dass sich alle Umstände
vereinten, welche das günstige Resultat jener Beobachtung ergaben, wäre wahrscheinlich bei
einem ad hoc eigens angestellten Versuche kaum gelungen. Das Ergebniss ist jedoch desshalb nicht
‘) Das thut die Lomechusa stets, sobald sie wieder festen Boden unter den Füssen bat. Ihre vorhergehende
regungslose Haltung während des Transportes ist somit kein „ S t a r r k r am p f r e f l e x “, wie Bethe für das „Sich-
todtstellen“ der Thiere sagen möchte (S. 35). Beide Ausdrücke sind jchief; die Wahrheit liegt auch hier in der Mitte:
es handelt sich weder um eine absichtliche Verstellung von Seite des Thieres noch um einen Starrkrampf, sondern
um die i n s t i n k t i v e Einrollung des Körpers und Anziehung der Extremitäten, die durch bestimmte Sinneswahrnehmungen
des Thieres veranlasst wird. Hier zeigt sich wiederum, wie verfehlt es von Betbe war, den Instinkt mit
Beflexthätigkeit zu verwechseln. Wenn beim Nestwechsel eine Formica oder eine Myrmica ihre Gefährtin im Maule
trägt, so hält letztere sich in aufgerollter (Formica) oder schwach gebogener Stellung (Myrmica) regungslos; dass sie
jedoch von einem „Starrkrampf“ befallen sein soll, ist falsch, da sie sofort weiterläuft, sobald sie von der Trägerin
niedergesetzt wird. Wir haben für diese instinktive, eingezogene, regungslose Haltung kein passendes Wort; daher
wird die alte Bezeichnung „Sichtodtstellen“ kaum zu vermeiden sein.
Zoologica. Heft 26. 9