erschwert werden musste. Ohne auch nur einen Augenblick auf dem Wege zu zögern, fanden diese
sanguinea sofort den Weg nach 3 0 5 , und zwar ohne vorher mit ihren Fühlern erst nach der Fährte
zu suchen. Unabhängig von einer sklavisch verfolgten Geruchsfährte (Lasius) legten sie alle in wenigen
Minuten in ganz gerader Richtung den 18 m langen Weg zum alten Neste zurück und verbargen dort
die Cocons. In einer so auffallenden Weise war mir das Orientirungsvermögen der Ameisen nur
selten begegnet. Die eigentliche Ursache, wesshalb diese sanguinea sofort zum alten Neste flohen,
kann ich nur in einem besonders lebhaften G e d ä c h tn is s e in d r u c k e finden, den sie von demselben
sowie von dem W ege dahin behalten hatten. Sonst wäre gar kein Grund vorhanden gewesen, wesshalb
sie zum alten Neste schnurstracks zurückliefen, während die meisten anderen ihre Cocons bei der
Erhellung des Nestes 305 a in der Nähe des letzteren versteckten. Mit einer blossen Reflextheorie
kann man derartige Erscheinungen unmöglich erklären; wenn die Ameisen keiner sinnlichen Wahrnehmung
fähig sind und nicht überdies einen gewissen Grad von Associationsvermögen besitzen, durch
welches sie früher gemachte individuelle Erfahrungen mit den gegenwärtigen Wahrnehmungen zu verbinden
vermögen, kommen wir einfach nicht aus. Ich halte daher nicht bloss bei den höheren Thieren
sondern auch bei den Ameisen die Annahme psychischer Qualitäten, und zwar nicht bloss einfacher
psychischer Qualitäten der Empfindung und Sinneswahrnehmung, sondern auch überdies eines sinnlichen
Gedächtnisses, für eine n o th w e n d ig e F o r d e r u n g e in e r d e n k e n d e n N a tu r e r k lä r u n g ,
die für jede Wirkung eine hinreichende Ursache verlangt.
Von welcher Beschaffenheit die Sinneswahrnehmungen waren, die den nach Nest 305 zurücklaufenden
sanguinea als nächster Wegweiser dienten, ist eine andere Frage, ganz unabhängig von der
Frage, ob wir ohne Sinneswahrnehmung und ohne sinnliches Associationsvermögen jene Erscheinung
zu erklären vermögen oder nicht. Dass den Ameisen der Weg durch ein für sie leicht wahrnehmbares
Kennzeichen bekannt war, ist offenbar, ebenso wie der Umstand, dass ihnen die Existenz und
die Lage des Nestes bekannt war, zu dem sie zurückkehrten. Ob jedoch die Annahme einer „flüchtigen
chemischen Spur“ als Wegweiser genügt, scheint mir recht zweifelhaft. Denn erstens wurde jener
Weg zwischen beiden Nestern nur selten und in Zwischenräumen von mehreren Tagen oder Wochen
begangen; wie konnte eine flüchtige chemische Spur sich da halten ? Zweitens folgten sich die den
Weg zurücklegenden Ameisen nicht auf einer bestimmten Geruchsfährte, eine hinter der anderen, sondern
hielten unabhängig von dem genauen Wege, den die vorauslaufenden eingeschlagen hatten, bloss
die Richtung zum Neste 305 ein. Ob wir auch noch die Betheiligung des Gesichtssinnes zur Unterstützung
des Geruchssinnes (wi^Forel bei F . pratensis annahm) hinzunehmen müssen, oder ob ein uns
überhaupt unbekanntes Sinnesvermögen ihnen die Richtung zum Neste angab (wie H. J. Fahre bei
Polyergus annimmt), darüber wage ich keine Entscheidung zu treffen. Ich halte die Frage, wie Formica
sanguinea und Polyergus ihren Weg finden, für eine sehr schwierige, von deren endgiltigen Lösung wir
noch weit entfernt sind. So viel wissen wir jedoch aus den Beobachtnngsthatsachen mit Sicherheit,
dass ein blosser Chemoreflexmechanismus zur Erklärung dieser Erscheinungen hoch viel weniger genügt
als bei den Lams-Arten.
Dass es der Geruchssinn der Fühler ist, durch welchen F.. sanguinea einen ganz n e u e n , ihr
noch unbekannten Weg z. B. zu einem Sklavenneste findet, welches sie aufspürt, scheint mir sicher
zu sein auf Grund vieler Beobachtungen; ebenso, dass sie sich in diesem Falle auf dem Rückwege
zur Orientirung der Geruchsspur bedienen muss, welche sie selber auf dem Hinwege zurückgelassen
hat. Aber auf einem bestimmten Umkreis in der nächsten Umgebung ihres Nestes ist sie von der
Verfolgung einer bestimmten Geruchsfährte völlig unabhängig; sie läuft geraden Weges auf das Nest
zu, wenn man auch durch eine Schaufel die oberste Sandschicht auf eine beträchtliche Wegstrecke
fortnimmt, und dadurch alle dem Boden anhaftenden Geruohsspuren fortschafft. Hieraus muss man
schliesseu, dass diese Ameisen durch die oftmaligen, in der Nähe ihres Nestes gemachten Erfahrungen
d.e zu ihrem Neste führende Richtung in Folge einer Art von s in n l i c h e n G e d ä c h t n i s s e s kennen.
Das blosse ..„reflektorische Voranstürzen“ erklärt diese Erscheinung nicht; denn wenn die Ameise durch
in ihrem Weg liegende Hindernisse von der geraden Richtung auf das Nest abzuweichen genöthigt
wird, umgeht sie dieselben einfach und schlägt die a lt e R ich tu n g wieder ein.
Ich habe ferner in meinen Beobachtungsnestern von F . sanguinea, mit ändern Formica-Arten
( fm a , rufibmbs, rufa, pratensis) als Hilfsameisen, die Beobachtung gemacht, dass man Glasröhren
welche die von einander entfernten Theile eines solchen Nestes mit einander verbinden, fortnehmen
und durch neue ersetzen kann, ohne dass, die Ameisen von dieser Aenderung auch nur die geringste
Notiz nehmen. Obwohl die alte „Getuchsfährte“•■durch diesen Wechsel der Röhren völlig unterbrochen
war, zeigten die Ameisen keine Spur von Verlegenheit beim Betreten der neuen Röhre, ja sie untersuchten
dieselbe meist gar nicht einmal mit ihren Fühlern, sondern setzten ihren Weg fort wie früher.
Auch hieraus muss man schiessen, dass die FormicarATtm n ic h t durch blosse „Chemoreflexe“ ihren
Weg finden. Wenn ich dagegen bei einem derartigen Beobachtungsneste die f r ü h e r e R ic h tu n g
des Weges änderte, indem ich z. B. den einen Nesttheil um 90» drehte, so sah ich, dass die Ameisen
beim Betreten, der alten, ihnen-j|pgst bekannten Verbindungäröhre zögerten, stehen blieben, wieder
znruekgin|a, nochmals voran und wieder zurückgingen und den neuen Weg untersuchten, als ob er
ihnen unbekannt sei. Namentlich an dem grossen, auf Taf. I. abgebildeten Beobachtungsneste habe
ich derartige Versuche wiederholt vorgenommön; indem ich entweder, die das „Abfallnest“ mit dem
» r n e s t e verbindende Glasröhre durch eino neue, völlig geruchlose, ersetzte, welohe dieselbe Richtung
hafte wie die alte, oder aber, indem ich die alte V«bindungsröhre sammt dem Abfallneste um 9 0 °^ 2 7 0 °
drehte | g Im crsteren Falle trat keine Störung des Verkehres ein, im letzteren dagegen erfolgte fast
immer eine g?|rübergehende Verkehrsstörung. Ich bemerke dabei ausdrücklich, dass diese Drehung
des Weges a u ch d a n n von den Ameisen wahrgenommen wurde, wenn in dem Abfallneste und in
der Verbindungsröhre desselben gerado keine Ameise sioh befunden hatte während der Drehung“);
denn die an der Drehung aktuell theilnehmenden Ameisen bemerkten dieselbe meist sofort, hielten
auf ihrem Wege inne oder kehrten um. Letztere Erscheinung erklärt sich, wie ich glaube, bereitB
aus dem während der Drehung stattfindenden Beleuohtungswechsel, indem die Stellung der Ameisen
n i , “ Art wiU ioh Ww ,läIl0r berichten. Nach einer (am u. April 139S) vorgenommenen
Drehung des Abfallnestes (vgl. die Abbildung auf Taf. I) um 95» liefen die ersten Ameisen, 2 ru fa und 3 sanguinea,
welohe in Zwischenräumen von einigen Minuten nacheinander aus dem Vorneste in das Abfallnest wollten, in gewohnter
Weise rasch voran, so lange sie noch in dem senkrecht stehenden (also in seiner Richtung unveränderten)
iheile der Verb,ndungsröhre waren. An der Biegungsstelle des Glasrohres, wo die Richtungsänderung begann, machten
sie plötzlich halt, zögerten und kehrten um, als ob sie den Weg verfehlt hätten. E rst 5 Minuten später kommt
wiederum eine sanguinea, lauft bis zur Bieguugsstelle des Glasrohres, macht einige Sekunden halt, prüft die Umgebung
mit den Fühlern und kehrt um. Eine Minute später kommt eine andere, kleinere sanguinea, zögert abermals an der
Biegungsstelle, geht aber dann langsam, mit vorgestreckteh, oft die Glaswand berührenden Fühlern voran und legt
so den ganzen Weg bis in das Abfallnest zurück.' Bald darauf kommt eine rufa, macht es ebenso, gelangt in das
Ablallnest und kehrt dann ans demselben nach einigen Minuten zurück. Auf dem Rückwege stutzt sie an beiden
Biegungsstellen des Rohres, geht in dem oberen Theile der Röhre nochmals hin und zurück, untersucht mit ihren
Fühlern namentlich die, letzte Biegungsstelle und kehrt dann langsam nnd vorsichtig in das Obemest zurück
Zo o lo g ic a. H e ft 26.