
oftmals, wie die Ameisen auch im Dunkeln eifrig auf der Dinarda-Jagd waren und jede ihnen zufällig
begegnende Dinarda heftig angriffen. Die meisten Dinarda aber hatten sich in die Ecken des Nestes
zurückgezogen und sassen dort ruhig beisammen. Die Ameisen stürzten, so lange es noch ziemlich
dunkel war, regelmässig an den Schlupfwinkeln der Käfer vorüber. Sobald aber die Lampe näher
gerückt wurde, bemerkten sie die versteckten Din a rd a , griffen sie an und vertrieben sie sofort aus
den Ecken des Nestes. H i e r a u s m u ss man s c h l i e s s e n , d a s s j e n e Formica e in e n G e s ic h t s s
in n b e s i t z e n , d e r n ic h t b lo s s s i c h b e w e g e n d e , s o n d e r n a u c h r u h e n d e O b j e k t e von
d e r G r ö s s e e i n e r Dinarda (ca. 4—5 mm) a u f e in e E n t f e r n u n g v o n m e h r e r e n M i l l i m
e t e r n w a h r z u n e hm e n u n d d e r e n G e s t a l t v o n a n d e r e n O b j e k t e n e i n i g e rm a s s e n
zu u n t e r s c h e id ö n v e rm a g . Die Färbung dieser Dinarda gleicht nämlich auffallend derjenigen
unserer zweifarbigen (roth und schwarzen) Formica-Arten und konnte daher zur Erkennung der Dinarda
nicht wesentlich beitragen, da ja die meisten Ameisen des Nestes (mit Ausnahme der F . fusca) dieselbe
Färbung hatten wie die Dinarda.
Bei Behandlung der internationalen Beziehungen der Dinarda werde ich noch viele Beobachtungen
mitzutheilen haben, die ebenfalls für den Gesichtssinn und das sinnliche Unterscheidungsvermögen
der Ameisen sprechen.1)
Dass die Formica selbst ein sehr kleines Insekt, falls dasselbe sich bewegt, noch zu s eh en
vermögen, zeigt folgende Beobachtung an F. pratensis (vom 9. April 1898). Eine grosse dieser Art
sass an jenem Nachmittag lange Zeit unbeweglich im Glaskolben des Fütterungsrohres, auf Nahrung
wartend (Taf. I). Da kam eine sehr kleine Fliege der Gattung Fhora, nur 1,5 mm lang, herbeigeflogen,
setzte sich v o n a u s s e n auf die Glaskugel und spazirte auf derselben ziemlich langsam
umher. Als sie über die Stelle ging, wo die F. pratensis ihren Kopf (in einer Entfernung von etwa
3—4 mm von der Glaswand) hatte, sprang die Ameise sofort mit geöffneten Kiefern auf die d raü ssen
befindliche Fliege zu, als ob sie dieselbe packen oder vertreiben wollte. Einige Sekunden später kam
die Fhora abermals und setzte sich auf den Glaskolben; auch diesmal bewegte sich die pratensis und
öffnete ihre Kiefer, als die Fhora passirte, obwohl sie nicht mehr auf dieselbe zusprang.
Selbstverständlich darf man nicht aus der Gesichts Wahrnehmung der Formica-Arten einfachhin
auf diejenige aller übrigen Ameisen schliessen; denn die Vollkommenheit derselben hängt ab von der
Grösse und Wölbung der Netzaugen und von der Zahl ihrer Facetten. Die Lasws-A.vten sind in viel
ausgedehnterem Maasse Geruchsthiere als die Formica-Arten, bei denen die Gesichtswahrnehmung eine,
wie wir soeben gesehen haben, keineswegs unbedeutende Rolle spielt. Unter den Lasius sieht L . fuli-
ginosus besser als die übrigen, obwohl auch L asius niger für Gesich,tseindrücke nicht unempfänglich ist.
Von Solenopsis fu g a x2) $ , deren Auge nur 5—9 Facetten besitzt, sagt Forel bereits „la vue est presque
nulle“ (F. d. 1. 8. p. 385). Ich habe ferner darauf hingewiesen (21. S. 27), dass gerade die lich tfr em d e ,
d. li. völlig unterirdische Lebensweise dieser Diebsameise, mit der ihre Schwachsichtigkeit ohne Zweifel
zusammenhängt, zugleich den Grund bildet, wesshalb sie in Beobachtungsnestern aus Glas viel weniger
l i c h t s c h e u sich erweist als andere Ameisen. Letztere wollen im Neste stets Dunkel haben; daher
legen sie, wenn man sie in einem Glascylinder mit Erde hält, ihre Gänge nicht unmittelbar am Glase
]) Vgl. auch in vorliegender Arbeit den Abschnitt: „Die verschiedenen Formen des Lernens bei dem
Menschen und den Thieren.“
2) Ueber ihre Lebensweise vgl. besonders Fo r e l , Observations sur les moeurs de Solenopsis fugaos (Mitth.
Schweiz. Ent. Ges. III. Nr. 3 1869); Fourmis d. 1. Suisse p. 69, 1 52“ 385 etc., W as m a nn (21 S. 18—28); Ch. J a net ,
Rapports d. anim. myrmécoph. avec 1. fourmis 1897 p. 58—61 ; Appareils pour l’observation d. fourmis, 1897 p.318—321.
» d , sondern lassen fast immer eine dünnere oder dickere Erdschicht zwischen ihren Gängen und der
dem Lichte ausgesetzten Glaswand. Hält man sie in flachen (Lubbock’schen) Glasnestern, so bekleben
sie, falls man die obere Glasscheibe nicht bedeokt hält, dieselbe mit Erde, um das Licht abzuhalten.')
In flachen Glasnestern dagegen, die durch ein sohwarzes Tuch dunkel gehalten werden,
entsteht sofort eine allgemeine Aufregung, sobald man dem Lichte Zutritt in die Gänge und Kammern,
des Nestes gestattet. Solenopsis fugax verhält sich den Lichteindrücken gegenüber wesentlich anders.
Ich habe gegenwärtig drei Nester dieser Ameise zur Beobachtung im Zimmer, zwei in bedeckt gehaltenen,
flachen Glasnestern, deren eines nur ein Solenopsis-Nest, das andere ein zusammengesetztes
Nest von Formica semguima (Kol. 86 I) und Solenopsis enthält. . Das dritte Nest befindet sich in
einem ringsum freien Glascylinder. In letzterem hat Solenopsis ein ungemein dichtes Gangnetz unmittelbar
an den Glaswänden angelegt; die Gänge sind fortwährend gelb von Tausenden hin- und
hergehender 5 , die sich um das Licht absolnt nicht kümmern. Bloss die Nestkammern mit den
Larven sind mit Ausnahme einer kleinen Kammer im Innern der Erde angelegt. In den flachen Glasnestern
sind die Kammern eben®; wie die meisten Gänge unmittelbar unter der Glaswand angelegt.
Wenn ich das schwarze Tuch von der oberen Glaswand bei gewöhnlichem Tageslichte (nicht wenn
die Sonne unmittelbar darauf scheint) fortziehe, b o beginnen die Solenopsis meist erst nach 10 bis 15
Sekunden unruhig zu werden und ihre Larven fortzutragen. Sie sind also keineswegs absolut blind,
a b e r d o c h v i e l w e n ig e r em p f in d lic h fü r L i c h t e in d r ü o k e als andere Ameisen.
Zwisohen der Fähigkeit der Lichtempfindung|pnd einer wirklichen Gesichtswahrnehmung,
welohe Farben und Gestalten zu Unterscheiden vermag, ist noch ein grösser Unterschied. Daher gibt
es auch zwischon dem optischen Vermögen einer Solenopsis und einer Formica noch viele Zwischenstufen.
Ich möchte hier auf einen interessanten Maasstab aufmerksam machen, welcher gestattet, über
das Sehvermögen einer Ameisenart und sogar über den Grad desselben ein ziemlich sicheres Urtheil
abzugeben. Dieser Maassstab wird geboten durch die Mimiory, die zwischen Ameisen und manchen
ihrer Gäste besteht.
Ich habe die zwischen Ameisengästen und ihren Wirthen bestehende Aehnlichkeit bereits bei
früheren Gelegenheiten einer eingehenden Erörterung unterzogen") und hebe desshalb hier nur Folgendes
hervor. Die objektiv auf Täuschung der Ameisen berechnete p a s s i v e M im ic ry" ) der Ameisengäste
nimmt bei Gästen von solchen Ameisen, welche gut entwickelte Netzaugen besitzen, einen ganz
anderen Charakter an als bei Gästen von solchen Ameisen, welche blind oder nahezu blind sind,
B e i e r s t e r e n b e g in n t d ie M im ic r y m it A e h n l i c h k e i t d e r F ä r b u n g u n d B o h r e i t e t
) Ich gebe den Ameisenarten, die in freier Natur Erdnester bewohnen, trotzdem auch in den Beobachtungsnestern
stets Erde, da man sie sonst bei ihren Erdarbeiten und bei anderen Verrichtungen, zu denen sie Erde brauchen
(Einbettung der Formica- und Lomechusal&rven etc.) nicht beobachten kann. Den von Janet erwähnten Uebelständen
der Erde in Beobachtungsnestern lässt sich auf andere Weise abhelfen.
2) 11 S. 59—92; 2 6 ; 4 2 S. 13—35 (147—169); 61 S. 428—435 ; 6 0 S. 174 ff.; 7 3 ; 86.
) P a s s i v e Mimi c r y bezeichnet die täuschende Aehnlichkeit der äusseren Erscheinung, a k t i v e
Mimi c r y die Nachahmung des Benehmens der Wirthe. — Die Mimicry der Ameisengäste, deren Zweck die
Täuschung der eigenen Wirthe ist, muss wohl unterschieden werden von anderen Formen der Myrmecoidie bei den
Arthropoden. Es gibt eine Myrmecoidie, die bloss eine morphologische Familieneigenthümlichkeit ist, ohne nachweisbare
biologische Bedeutung; es gibt ferner eine andere Myrmecoidie, welche zum Schutze gegen insektenfressende
Wirbelthiere dient; es gibt endlich eine Myrmecoidie, welche auf Täuschung der Ameisen hinzielt und einen Anpassungscharakter
an die myrmecophile Lebensweise bildet (vgl. 51 S. 428 ff.) Hier ist nur von letzterer Myrmecoidie
die Rede.