
und so w e it sie für dieselbe sprechen, habe ich keinen Grund, jene Ueböreinstimmung zu leugnen
oder zu verschweigen. Daher glaubte ich neuerdings, die sämmtlichen vier mitteleuropäischen Dinardar
Formen, die ich früher für wirkliche Arten gehalten hatte (9, 10, 38), auf Grund eingehenderer Untersuchung
für blosse Rassen ein und derselben Art erklären zu müssen (49). Als leitender Faktor für
die Entwicklung derselben aus einer dentata-ähnlichen Stammform erwies sich die Naturzüchtung gut
brauchbar; ich vermochte die morphologischen und biologischen Verschiedenheiten unserer vier Dinarda-
Formen auf eine einfache Anpassung an ihre betreffenden normalen 'Wirthsa.meisen zurückzuführen,
indem sich bis ins Detail zeigen liess, dass diese Verschiedenheiten durch die verschiedene Körpergrösse
und den verschiedenen Nestbau jener Ameisen bedingt werden, bei denen sie als indifferent
geduldete Gäste leben.
Ferner halte ich es für sehr wahrscheinlich, dass die von mir eingehend nachgewiesenen „Anpassungscharaktere“
der Myrmekophilen und Termitophilen (11, 37, 41, 42, 51, 60, 76, 85) auf einer
w i r k li c h e n S t a m m e s e n tw i c k lu n g der betreffenden Wesen beruhen, die im Verlaufe sehr
langer Zeiträume stattgefunden hat und deren natürliches Endergebniss die gegenwärtige Myrmekophilen-
und Termitophilenfauna mit ihren mannigfaltigen und verschiedenstufigen morphologischen und biologischen
Eigenthümlichkeiten war. Hiefür spricht vor Allem eine Vergleichung des geologischen Alters
der Käfer, Termiten und Ameisen.1) Die Coleopteren sind älter als die beiden letzteren, indem Cur-
culioniden bereits aus der Trias mit Sicherheit nachgewiesen sind. Die Termiten, hauptsächlich durch
die Gattung Clathroiermes Heer im Lias von England, Deutschland und der Schweiz repräsentirt,
zählen bereits eine beträchtliche Anzahl von Arten und Individuen in der mesozoischen Gruppe, obwohl
ihre Hauptentfaltung erst in die Oligocaen- und Miocaenzeit des Tertiärs fällt:j während die
Käferfauna schon im Lias reich entwickelt war. Die Ameisen sind in der mesozoischen Gruppe nur
durch sehr wenige und theilweise zweifelhafte Reste aus dem Lias der Schweiz und aus dem englischen
Purbeckkalke vertreten; sie gelangten erst im Oligpcaen und Miocaen zu ihrer eigentlichen
Entwicklung. Da die Coleopteren geologisch älter sind als die Termiten und die Ameisen, so ist anzunehmen,
. dass die Vorfahren der myrmekophilen und termitophilen Käfer noch keine Myrmekophilen
oder Termitophilen waren, sondern es erst in j e n e r E p o c h e w u r d e n , wo die betreffende Wirths-
familie sich morphologisch ausgestaltete und zugleich zu einer biologischen Grossmacht heranwuchs,
welche in die Existenzbedingungen der Vertreter anderer Insektenordnungen einzugreifen begann.
Wegen des höheren geologischen Alters der Termiten gegenüber den Ameisen ist ferner anzunehmen,
dass die Termitophilie der Coleopteren geologisch älter sei als die Myrmekophilie. Die erste Entstehung
der Termitophilie dürfte vielleicht bereits in die Mitte der mesozoischen Formationsgruppe zu
setzen sein, die erste Entstehung der Myrmekophilie dagegen an das Ende der mesozoischen und in
den Beginn der kenozoischen Periode.2)
Auch manche Einzelerscheinungen in der Morphologie und Biologie der Myrmekophilen und
Termitophilen deuten auf eine Entwicklung des Gastverhältnisses hin. So findet z. B. die merkwürdige
Thatsache, dass die echten Gäste unter den t e rm i t o p h i l e n Aleocharinen einen weit höheren morphologischen
Grad der Symphilie aufweisen als die entsprechenden echten Gäste unter den m y rm e -
*) Ich stütze mich hiebei hauptsächlich auf S c u d d e r , Systematic Review of our present knowledge of
fossil Insects (1886) und auf Z i t t e l , Grundzüge der Paläontologie (1895); ferner aufO. H e e r , Urwelt der Schweiz
(Zürich 1883) S. 95 ff.
2) Bezüglich der Stammesgeschichte der Paussiden vgl. 76 (Schluss).
k o p h ilen Aleocharinen, eine befriedigende Erklärung in der Annahme, dass die betreffenden Termitophilen
bereits längst über jenes Stadium der Symphilie hinaus sind, welches die echten Gäste unter
den myrmekophilen Aleocharinen gegenwärtig erreicht haben. Es war mir stets aufgefallen, dass die
charakteristischen gelben Haarbüschel der letzteren bei den physogastren termitophilen Aleocharinen
fehlen; daher hatte ich früher geglaubt, gelbe Haarbüschel fänden sich bei den echten Termitengästen
desshalb nicht, weil etwa die Termiten andere Geschmacksreize und daher auch andere Exsudate
liebten als die Ameisen. Das scheint jedoch ein Irrthum zu sein; denn bei echten Termitengästen
aus der Familie der Scarabaeiden (Gruppe der Aphodiini), insbesondere bei mehreren Ghaetopisthes-
Arten ’) sind prächtige gelbe Haarbüschel vorhanden, welche vollkommen denjenigen der myrmekophilen
Paussus, Lomechusa, Glaviger etc. entsprechen. Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass auch die
termitophilen Aleocharinen durch jenes Stadium der Symphilie e h em a l s h in d u r c h g e g a n g e n
s in d , welches durch den Besitz grösser gelber oder rothgelber Exsudattrichome charakterisirt ist,
und welches wir gegenwärtig bei echten Ameisengästen derselben Unterfamilie (in der Lomechusa-
Gruppe) sowie bei anderen echten Myrmekophilen (Clavigeridm, Paussiden, Gnostiden, Silpkidm,
Histeriden etc.) als höchste Stufe der Myrmecoxenie vor uns haben. Hieraus erklärt es sich, wesshalb
keine einzige der bisher bekannten, zu den echten Termitengästen gehörigen physogastren Aleocha-
rinengattungen (Gorotoca und Spirachiha Schiödte, Termiiogaster Cas., Termitobia, Xenogaster, Termi-
tochara und Termitomorpha Wasm.2) gelbe Haarbüschel besitzen. Sie scheinen eben über dieses
Stadium der Symphilie bereits weit hinaus gegangen zu sein, indem an die Stelle der Exsudattrichome
eine kolossale Physogastrie getreten ist, welche zugleich mit der Form der Unterlippe dieser Käfer
auf deren Fütterung durch die Wirthe hinweist, während die mächtig entwickelten Kiefertaster (statt
der Fühler, die bei den Myrmekophilen diesem Zwecke dienen) dazu verwendet werden, um die Termiten
zur Fütterung aufzufordern.3)
Auch der Umstand, dass die M im c r y -E r s c h e in u n g e n vielfach in ü b e r t r i e b e n e r
Weise zu Gunsten der Selectionstheorie gedeutet wurden, hielt mich nicht davon ab, dein Nachweise
einer echten Mimicry bei gewissen Gruppen von Myrmekophilen meine Aufmerksamkeit zuzuweriden.
(Vgl. 6,1 1 , 22, 26, 42,51, 60, (63), 73, 85 u. oben S. 41—58; 101.) Andererseits durfte jedoch auch nicht
verschwiegen werden, dass diese Thatsachen in der Naturzüchtung B i n der Personal-, in der Histonal-
und der Germinalselection — keine befriedigende u r s ä c h l i c h e E r k l ä r u n g finden, wenn man
nicht zugleich ein a k t i v e s A n p a s s u n g s v e rm ö g e n von Seite der betreffenden Gäste annimmt,
welches auf bestimmt gerichtete, organisch-psychische Entwicklungsgesetze derselben zurückzuführen ist.
’) Bei C h a e t o p i s t h e s f u l v u s Westw. u. s u 1 c i g e r Wasm. n. sp. stehen grosse gelbrothe Haarbüschel
an der Flügeldeckenspitze, überdies ein dichtes goldgelbes Haarbüscheltoment in den Furchen oder Gruben an
den Seiten oder an der Basis des Halsschildes bei C h a e t o p i s t h e s t e r m i t i c o l a Gestro, s u l c i g e r Wasm.
und g i b b i g e r Wasm. n. sp. aus Indien. Unter den neuerdings aus Mittelindien erhaltenen Termitengästen befindet
sich auch ein neues Staphylinidengenus (Termttodiscus), welches die höchste Stufe des TrutztypuB repräsentirt, die mir
bisher bei myrmekophilen oder termitophilen Staphyliniden bekannt geworden ist-. Diese Termitengäste wurden im
Ahmednagar-Distrikt von meinem Freunde Rev. J. B. Heim, S. I. entdeckt.
2) Hierzu kommen noch zwei Repräsentanten neuentdeckter Gattungen, Temritophya Heyeri aus Rio Grande
do Sul und Termitoxmia Ilavilandi aus Natal, die ich nächstens beschreiben werde. —• Dass Xenogaster inflata Wasm.
(22, S. 651), welche ich damals ohne Wirthe und ohne Angabe ihrer termitophilen Lebensweise erhielt, wirklich termitophil
ist’ und bei einer Eutermes-krt in S. Catharina lebt, ersehe ich soeben aus einer Sendung von Herrn J. P. Schmalz
aus Joinville.
8) Vgl. 61 S. 422, Fig. 1.