mit gutentwickelten Netzaugen ausgestatteten Wirthen besteht, diesen Käfern nicht etwa zum Schutze
gegen äussere Feinde diene, sondern zur Täuschung der Ameisen selber, geht aus mehrfachen Gründen
hervor. Gegenüber Insektenfressern, welche Ameisennester aufsuchen, um Ameisen zu fressen, wird
die Ameisenähnlichkeit der Gäste den letzteren offenbar nicht zum Nutzen gereichen können. Ich
habe ferner sehr oft beobachtet, dass die Myrmcdonien, wenn sie von fremden Feinden, z. B. vom
Menschen, beunruhigt werden, sich sofort auf die Seite fallen lassen, sich einkugeln und hartnäckig
„todtstellen“. 1) In dieser Haltung hat die Myrmedonia aber gar keine Ameisenähnlichkeit mehr an
sich; sie gleicht dann einfach einem Erdklümpchen oder einem kurzen Holzstückchen. Daher wird
man schwerlich behaupten können, dass die Ameisenähnlichkeit der Myrmedonim dem Zwecke des
Schutzes gegen äussere Feinde diene. Hiezu kommt noch, dass unter den sehr zahlreichen, bereits
an 20 Arten zählenden t e rm i t o p h i l e n Myrmedonim Ostasiens2) k e in e e i n z i g e A r t sich findet,
deren Färbung jene der Termiten auch nur im entferntesten nachahmt; und doch sind die Soldaten
der Termes-.Arten nicht minder bissig und wehrhaft als die Ameisen, aber sie sind eben v ö ll ig blind:
daher wäre eine Täuschung des Gesichtssinnes der Wirthe durch Termitenähnlichkeit von t e rm i t
o p h i l e n Myrmedonien ein Unding.8) Aus diesen Erwägungen dürfte mit hinreichender Sicherheit
hervorgehen, dass die auch für unser Auge auffallende Ameisenähnlichkeit der m y rm e k o p h ile n
Myrmedonien die biologische Bedeutung einer Mimicry besitzt, deren Zweck die Täuschung des G e s
i c h t s s i n n e s der eigenen Wirthe ist.
Der Zweck dieser Mimicry ist nicht ganz derselbe bei feindlich verfolgten Einmiethern (Synech-
thren, z. B. Myrmedonia), indifferent geduldeten Gästen (Synoeketen, z. B. Dinarda) und echten Gästen
(Symphilen, z. B. Lomechusa und Atemeies). Bei den ersteren dient sie dazu, den Käfer den feindlichen
Angriffen der Wirthe leichter zu entziehen und es ihm andererseits zu ermöglichen, seine Beute,
die eben in diesen Wirthen besteht, leichter zu erreichen. Bei den zweiten dient sie dazu, den Käfer
für seine Wirthe minder auffällig und daher minder Misstrauen erregend zu machen, so dass sie ihn
in ihrer Nähe ruhig dulden. Bei den dritten endlich dient die passive Mimicry dazu, die Erscheinung
des Käfers zu einer positiv angenehmen für die Ameisen zu machen und dadurch seine aktive Mimicry
(Nachahmung des Fühlerverkehrs etc.) zu unterstützen, durch welche er die Ameisen zur gastlichen
Behandlung, namentlich zur Fütterung anregt. Dieser dreifache Zweck kann allerdings auch durch
andere Mittel erreicht werden, welche eine Mimicry des Kleides überflüssig machen. Weitaus die
meisten indifferent geduldeten Gäste entziehen sich durch andere Charaktere, z. B. durch ihre Kleinheit,
die Schnelligkeit oder umgekehrt die extreme Langsamkeit ihrer Bewegungen, den Nachstellungen
1) Ueber dieses „Sichtodtstellen“ vgl. auch das im folgenden Abschnitte beim Transport von Lomechusa Gesagte.
2) Rechnet man dazu noch die Gattungen Termidonia Motsch., Glossacantha Motsch., Macrodonia Wasm., die
ich ebenso wie Rynchodonia Wasm. wegen der Uebergänge zu Myrmedonia Er. nur mehr für Untergattungen der letzteren
halte, so ist ihre Zahl noch grösser.
3) Bei den Hodotermes, deren Soldaten gut entwickelte, schwach gewölbte Netzaugen mit einer ziemlich
grossen Facettenzahl besitzen — bei H. viator Ltr. zählte ich 120—125 Facetten auf jedem Auge — sind noch keine
termitophilen Myrmedonien bekannt; ebenso auch bei den Calotermes, wo die Soldaten mancher Arten zwar sehr kleine
und flache, aber doch wenigstens andeutungsweise facettirte Augen haben. Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass
bei Gästen von Hodotermes eine auf Täuschung des Gesichtssinnes der Wirthe berechnete Aehnlichkeit des Colorites
noch entdeckt werde. Bei den Soldaten von Termes und seinen Subgenera Termes L. Hag. sensu str., Cornitermes,
Coptotermes, Eutermes, Armitermes, Capritermes, Mirotermes und Spinitermes Wasm. fehlt jede Spur von Augen. Ygl. Hagen,
Monogr. d. Termiten (Linn. Entom. XII); Fr. Mü l l e r , Beiträge zur Kenntnis d. Termiten (len. Zeitschr. f. Naturw.
1873); F r o g g a t t , Australian Termitidae pt. II. (Proc. Linn. Soc. N. S.-Wales 1896); W a s mann 77.; G. D.
Havi l and, Observations on termites (Linn. Soc. Journ. Zool. Yol. XXVI. 1897—98 p. 358—442).
oder überhaupt der Aufmerksamkeit der Ameisen. Ferner zeigt z. B. die ganze Familie der Glcm-
geriden (Keulenkafer), die bereits 100, bei Ameisen der verschiedensten Länder lebende Arten zählt,
keine-oder fast keine Abhängigkeit ihres Colorites von demjenigen der Wirthe; diese Käfer haben
stets dieselbe rothgelbe bis rothbraune „Symphilenfärbnng“, die höchstens bei schwarzen Wirthen ein
wenig dunkler wird als bei gelben. Dass bei den Clavigeriden keine Myrmecoidie der Färbung und
Gestalt auftritt, erklärt sich daraus, dass dieselben aus anderen Gründen, unter denen namentlich die
Entwicklung ihrer gelben Haarbüsohel und Abdominalgruben zu nennen ist, auf das sinnliche Wahrnehmungsvermögen
der Ameisen einen sehr angenehmen Geruchs- bezw. Geschmackseindruck machen'),
infolge dessen eine passive Mimicry völlig überflüssig wird. Die auf Täuschung der eigenen Wirthe
hm zielende Myrmecoidie ist eben nur einer unter mehreren Anpassungscharakteren der Myrmecophilen.
Aber dass eine solohe echte Ameisenmimiory wirklich existirt,. glaube ich im obigen hinreichend bewiesen
zu haben; der verschiedene Charakter, den sie bei den Gästen von relativ scharfsichtigen und
von schwachsichtigen oder blinden Ameisen annimmt, gibt uns zudem die interessantesten Aufschlüsse
über die Sinneswahrnehmungen ihrer Wirthe.
Eine anscheinend bedeutende Schwierigkeit gibt es, die man gegen diese biologische Erklärung
der zwischen myrmekophilen Coleopteren und ihren Wirthen bestehenden Aehnlichkeit2) erheben
könnte: wie können die Ameisen die Färbung und Gestalt ihrer Gäste s e h e n , da es doch im Nest-
innern gewöhnlich dunkel ist?
Für die Myrmedonim, die am Nesteingange zu leben pflegen, ist diese Schwierigkeit wohl
nicht schwer zu lösen; sie begegnen den Ameisen häufiger ausserhalb als innerhalb des eigentlichen
Nestes. Bedenklicher ist die Sache für die Atemeles, Lomechusa, Dinarda, Homoeusa und andere
Gäste, die man für gewöhnlich nur im Nestinnern antrifft. Aber erstens herrscht ja auch in den
oberen Theilen der Erdnester und Ameisenhaufen, wo durch die Eingänge das Licht Zutritt hat, kein
wirkliches Dunkel. Ferner erfolgt die A u fn a hm e n e u e r G ä s t e in der Nähe der Nestoberfläche
oder sogar vor dem Neste unter Laub etc., wo eine Anzahl Ameisen sich um die neuankommenden
Atemeles, Dinarda etc. versammelt, wie ich öfters auch in freier Natur, nicht bloss in Beobachtungsnestern,
wahrgenommen habe. Bevor ein derartiger Besucher in das dunkle Nestinnere kommt, ist
er schon in Gesellschaft von Ameisen, die ihn bemerkt haben und ihn einer Untersuchung mittelst
der Fühlerspitzen unterziehen, welche um so sorgfältiger ist, je fremdartiger der erste Eindruck war, den
die Erscheinung des Gastes auf sie machte. Während dieser Untersuchung können sie den Gast
auch s e h e n ; ich glaube daher wirklich, dass die obenerwähnte Schwierigkeit des angeblichen Licht-
‘) Dass es nicht bloss der Geruchseindruck ist, welcher diese Käfer den Ameisen angenehm macht, geht aus
den internationalen Beziehungen der Claviger hervor. Fremde Ameisenarten müssen die Annehmlichkeit des Clatnget'
erst durch Geschmackserfahrung (Beleckung) kennen lernen, bevor sie ihn als echten Gast pflegen.
2) Auf die Frage, wie diese Formen von Mimicry e n t s t a n d e n sind, kann ich mich hier nicht näher
einlassen; mir genügt es einstweilen, die biologische Bedeutung der betreffenden Erscheinungen nachzuweisen. Dass
die S e l e c t i o n s t h e o r i e zur genetischen Erklärung derselben nicht ausreicht, habe ich bereits früher nachgewiesen
(60). Dass eine „ u n a b h ä n g i g e E n t w i c k l u n g s g l e i c h h e i t “ (Homoeogenesis resp. Heterhodo-
genesis Eimers) noch viel weniger dazu im Stande ist, dürfte daraus hervorgehen, dass Käfer und Ameisen zu ganz
verschiedenen Insektenordnungen gehören, somit die Aehnlichkeit beider nicht aus der zufälligen Gleichheit der betreffenden
Entwicklungsrichtungen sich erklären lässt. Noch ohnmächtiger erweist sich die d i r e k t e E i n w i r k u n g
ä u s s e r e r U r s a c h e n z. B. die „photographische Wirkung des Lichtes“ (Eimer), indem weitaus die Mehrzahl der
indifferent geduldeten Gäste wegen ihrer Kleinheit oder weil sie anderweitig geschützt sind, gar keine Aehnlichkeit
der Färbung mit ihren Wirthen zeigen. Völlig unerklärlich durch direkte äussere Einflüsse ist auch die auf Täuschung
des Tastsinnes der Wirthe berechnete Mimicry der Ecitongäste.