
ähnliche Entwickelungsreihe nachzuweisen, wie bei den Schizopoden, Sergestiden. und Hyperiiden.
Zwei Gründe legten es nahe, im Verfolg der vorausgegangenen Betrachtungen auch an diese Gruppe
der Entomostracen zu denken.
Einmal musste die räuberische Lebensweise dieser pelagischen Phyllopoden, die audh, so-'
weit sie im Süsswasser Vorkommen, nach allen bisherigen Beobachtungen grössere Tiefen bevorzugen
(cf. pag. 53), die Vermutung wachrufen, dass ihre Augen ähnliche charakteristische Auszeichnungen
aufweisen möchten, wie die geschilderten. Andererseits forderte auch die unregelmässige
Gestalt ihrer Augen, welche aus den zahlreichen Beschreibungen dieser Tiere und den
denselben beigegebenen Abbildungen längst bekannt war, geradezu heraus zu einem Vergleich
mit den von C h u n untersuchten Augen der Tiefseecrustaceen. Mit Ausnahme der Gattung
Lepiodora nämlich, welche auch im übrigen Körperbau wesentlich von den eigentlichen Polyphe-
miden abweicht, weisen alle Gattungen der letzteren im Gegensatz zu den nächsten Verwandten,
den Daphniden, unregelmässig gebaute, von der Kugelgestalt abweichende Augen auf. Dies
tr it t so augenfällig zu Tage, dass in den meisten Fällen schon den Entdeckern der einzelnen
Arten die ungleiche Länge der Kry sta llk eg el aufgefallen und gewissenhaft von ihnen erwähnt
ist. Aber über diesen äusserlichen Befund waren auch die späteren Beobachter nicht hinausgekommen,
und über die Anatomie des Polyphemidenauges lagen C h u n so gu t wie gar keine
verwertbaren Angaben vor. Die einzige Arbeit, die allerdings wesentlich in betracht gekommen
wäre, nämlich die von S a m a s s a über das centrale Nervensystem der Cladoceren (1891), war
nicht zur Kenntnis C h u n s gelangt. [ S a m a s s a giebt bereits Abbildungen eines Längs- und
Horizontalschnittes durch das Auge von Bythotrephes longimanus und bespricht als erster eingehend
die Zweiteiligkeit desselben. (1891, pag. 118—122, Taf. VI, Fig . 86, 37.)] Er sah sich also genötigt,
um einen einigermassen sichern Anhaltspunkt für die Beurteilung der inneren Struktur
des Polyphemidenauges zu haben, "wenigstens eine Form desselben näher zu untersuchen. Auch
C h u n wählte als das geeignetste Objekt das Auge von Bythotrephes und hatte bei der Untersuchung
auf Schnitten die freudige Genugthuung, seine Vermutungen vollauf bestätigt zu sehen. Die
Scheidung in ein „Frontauge“ und ein „Ventralauge“ (eine Bezeichnung, welche bei dem unpaaren
Auge der Polyphemiden zutreffender erscheint, als „Seitenauge“) is t so vollständig durchgeführt,
wie sonst nur bei der Hyperiiden-Gattung Phronima.
A u f Grund dieses Befundes und unter Hinweis auf die von P. E. M ü l l e r (1868) und
C la u s (1877) von den übrigen Polyphemiden gegebenen Abbildungen entwickelt C h u n nun seine
Ansicht über die innerhalb der Ordnung der Cladoceren stattgefundenen Umbildungen des Auges,
wie fo lg t (1896, pag. 255): „Das Kugelauge der an der Oberfläche von vegetabilischer Kost
lebenden Daphniden weist bei den räuberischen und die Tiefe bevorzugenden Polyphemiden nicht
nur grössere Dimensionen auf, sondern lä sst auch die schon bei Leptodora kenntliche Verlängerung
der dorsalen Facettenglieder nachweisen.
Indem das Pigment, welches bei den Oberflächenformen bis zur distalen Kuppe der K r y sta llkegel
vordringt, lediglich auf die Retinulazellen beschränkt wird, erhalten w ir retinopigmentäre
Augen, deren Sehvorgang sich offenbar ebenso wie im Phronimidenauge abspielt.
Eine weitere Etappe in den genannten Umbildungen giebt das Auge der Gattung Poly-
phemus ab, das auf Schnitten sich vielleicht schon als zweigethe ilt erweisen dürfte und jedenfalls
direct zum Auge des Bythotrephes mit seiner Trennung in ein Front- und Ventralauge überleitet.
Doch die Umbildungen gehen noch weiter: Das Ventralauge, welches bei Bythotrephes
aus weit zahlreicheren Facettengliedern, als das Frontauge sich aufbaut, beginnt an Umfang
zurückzutreten, um schliesslich völlig zu schwinden. Bei der Gattung Podon is t das Ventralauge
nur auf wenige Facettenglieder reducirt und endlich fehlt es vollkommen der Gattung Evadne.
In der ausschliesslichen Erhaltung des Frontauges giebt Evadne ein Seitenstück zu Arachnomysis
ab.“ (cf. pag.
„Diese Ableitung“, fügt C h u n hinzu, „muss allerdings erst durch eingehende Untersuchung
auf Schnitten erhärtet werden.“
Einer Anregung meines hochverehrten Lehrers, des Herrn Professor C h u n , folgend unternahm
ich es zu Beginn des Wintersemesters 1897/98, diese histologischen Untersuchungen vorzunehmen.
Sie erstrecken sich auf die Augen aller fünf von C h u n in seiner Arbeit berücksichtigten
Gattungen und können insofern als vollständig gelten, als damit alle Gattungen der Polyphemiden
behandelt sind. Die von S c h ö d l e r (1863) aufgestellte sechste Gattung Pleopis finde ich
nämlich bei ändern Autoren nicht aufrecht erhalten. Die ihr zugerechneten Arten verteilen sich
auf die Gattungen Podon und Evadne. D ie von mir sorgfältig geprüften Beschreibungen und
Abbildungen der Augen der hier nicht untersuchten Polyphemidenarten lassen auch nicht den
Verdacht aufkommen, dass noch ein sechster Augentypus innerhalb dieser Familie bestehen möchte.
Das mir zunächst bei meinen Untersuchungen vorschwebende Ziel, im weitesten Sinne
eine Ergänzung der Arbeit C h u n s zu liefern, verschob und erweiterte sich übrigens, je mehr
ich mich in das Studium der feineren Strukturverhältnisse dieser bis jetzt nirgends ein Analogon
findenden Facettenaugen vertiefte und die einschlägige Litteratur zu Rate zog.
D ie physiologischen und biologischen Fragen wurden somit vorderhand doch noch
wieder aus dem Vordergrund gedrängt durch die zahlreichen histologischen Probleme, die vor
mir auftauchten.
W irkte nämlich auf der einen Seite die Dürftigkeit der bis jetzt über die Polyphemiden
vorliegenden biologischen Beobachtungen geradezu entmutigend, so war es auf der ändern Seite
zu verlockend, den Versuch zu wagen, eine Lücke, welche merkwürdigerweise gerade bei den
sonst schon so eingehend beschriebenen Cladoceren in unserer Kenntnis des Facettenauges besteht,
so vollständig wie möglich auszufüllen.
Ich habe mich denn auch dieser Aufgabe nach Kräften gewidmet, bin mir aber bewusst,
auch in dieser Beziehung nicht alle Erwartungen befriedigen zu können. Manche Punkte werden
überhaupt wohl er st durch die Untersuchung frisch erbeuteten und für die betreffenden Zwecke
eigens konservierten Materials klar g estellt werden können.
Das Cladoceren-Auge ist eben, wie C h u n treffend bemerkt, ein äusserst subtiles Objekt,
und ich kann es mit gutem Gewissen bezeugen, dass P a r k e r nicht übertreibt, wenn er betont,
dass »the extreme minutness o f the ommatidia in the eyes o f the Gladocera renders their study especially
difßeult (1891, pag. 76). Immerhin glaube ich in der vorliegenden Arbeit einen geringen Beitrag
zur Kenntnis des Facettenauges liefern zu können, der auch geeignet is t , bei der allgemeinen
Beurteilung der Polyphemiden verwertet zu werden.
Ich bin zu dem Zwecke bestrebt gewesen, die durch meine Beobachtungen sicher festgestellten
Thatsachen von dem noch Zweifelhaften streng zu sondern.
Z o o lo g ic a. H e f t 28. 2