
Auch für die Gruppe der Polyphemiden besteht nach C h n n s Darstellung allem An-
scheine nach eine solche Beziehung.
Da nun die vorliegende Arbeit in der Hauptsache dem Zwecke dienen so ll, den seinerze
it von C h u n in Aussicht gestellten direkten Beweis für die Richtigkeit seiner über das Po ly -
phemidenauge ausgesprochenen Ansicht zu erbringen, sich seinen Untersuchungen also unmittelbar,
gewissermassen als Fortsetzung und Ergänzung anreiht, so möge es g esta tte t sein, mit kurzen
Worten auf dieselben etwas näher einzugehen.
In seinen 1896 unter dem Tite l „Atlantis“ herausgegebenen „Biologischen Studien über
pelagische Organismen“ nahm C h u n u. a. auch Gelegenheit, jene seltsamen, o ft geradezu monströs
gestalteten Facettenaugen einer eingehenden Prüfung zu unterwerfen, mit denen wir in so charakteristischer
Weise die in den tieferen Regionen des Meeres schwebenden räuberischen Crustaceen-
formen ausgerüstet finden. C h u n ste llte sich die Aufgabe, einerseits den physiologischen Wer t
derselben festzustellen, andererseits zu ermitteln, wie im allgemeinen die äusseren Existenzbedingungen
modifizierend auf den Bau der Sehorgane bei den Tiefseecrustaceen einwirkten.
Die Lösung dieser Aufgabe wurde C h u n dadurch ausserordentlich erleichtert, dass er
gerade die Schizopoden zum Ausgangspunkte seiner Untersuchungen machte, eine Crustaceengruppe,
welche in ihren einzelnen Arten über alle Meerestiefen von der Oberfläche an bis zum Meeresgründe
verbreitet ist.
C h u n vermochte hier nicht nur das Vorkommen so auffallend ungleichartig gestalteter
Augen bei Oberflächen- und Tiefenformen hinlänglich aus den verschiedenen Existenzbedingungen
zu erklären, sondern es war ihm auch möglich, schrittweise die Umbildungen zu verfolgen, welchen
die Augen bei den einzelnen Gattungen, infolge der Anpassung an den Aufenthalt in grösseren
Tiefen, im Laufe der phyletischen Entwickelung unterworfen wurden. D ie Verhältnisse bei den
Schizopoden waren so charakteristisch, dass für C h u n der Gedanke nahe lag, auch andere pelagische
Tiefseekruster, deren Augen einen ausgesprochen unregelmässigen Bau aufweisen, zum
Vergleiche heranzuziehen.
D ie nächste Handhabe dazu boten ihm die Sergcstidm .und Hyperiiden.
Eine genauere Prüfung ihrer zum Teil bereits von anderer Seite untersuchten Augen
ergab denn auch bald das überraschende Resultat, dass sich innerhalb dieser Ordnungen ganz
analoge Reihen von Umbildungen des Sehorganes nach weisen lassen, wie bei den Schizopoden.
C h u n konnte für alle drei Crustaceengruppen den Verlauf dieser konvergenten Umbildungen,
wie sich derselbe in seinen einzelnen Phasen unserer Beobachtung darbietet, in knapper
und übersichtlicher Form, wie folgt, erschöpfend zur Darstellung bringen (1896, pag. 2 4 8—249):
„Als Grundform des Facettenauges der Arthropoden betrachten wir ein Kugelauge, dessen F a cettenglieder
von einem idealen Mittelpunkte radiär ausstrahlen und annähernd von gleicher
Länge sind. Die Facettenglieder werden in der Höhe der Kry sta llkeg el von einem Irispigmente,
in der Umgebung der Rhabdome von einem Retinapigmente umscheidet. Ein derartiges Kugelauge
kommt den pelagischen Oberflächenformen zu, während diejenigen Arten, welche entweder
ausschliesslich oder doch wenigstens vorwiegend in dunklen Regionen schweben, eine bemerkens-
werthe Abweichung von der Kugelform des Auges aufweisen, die bei den verschiedenartigsten
Ordnungen in convergenter Weise zum Ausdruck gelangt. D ie nach oben resp. schräg nach vorne
gerichteten Facettenglieder beginnen sich zu verlängern, indem sie entweder continuirlich in die
verkürzten Glieder übergehen, oder als ein gesondertes „Frontauge“ von dem „Seitenauge“ sich
abgliedern. B ei weitergehender Anpassung an das Leben in der Dunkelheit macht sich eine
Pigmentarmuth geltend, indem entweder das Irispigment (retinopigmentäre Augen) oder das Retinapigment
(iridopigmentäre Augen) schwindet. Während anfänglich noch das Frontauge dem Seiten-
auge gegenüber in den Hintergrund tr itt, so kehrt sich später dieses Verhältniss um, indem das
Frontauge an Umfang zunimmt und das Seitenauge derart überflügelt, dass schliesslich überhaupt
nur noch das Frontauge persistirt (Gattung Arachnönvysis) u.
Es würde an dieser Stelle zu w e it führen, den physiologischen Wer t aller dieser Umbildungen
zu erörtern; dazu wird sich im folgenden eine passendere Gelegenheit bieten. Hier
sei nur soviel bemerkt, dass dieselben, im Lichte der E x n e r ’sehen Theorie betrachtet, vollständig
im Einklang mit den veränderten Existenzbedingungen der betreffenden Kruster, sowie
mit ihrer räuberischen Lebensweise stehen. Daher konnte C h u n auf Grund dieses Befundes und
unter Berücksichtigung der neueren Untersuchungen über die Tiefenverbreitung pelagischer Organismen
mit gutem Recht als ein wesentliches Ergebnis seiner Betrachtungen den bemerkenswerten
Satz aussprechen, „ d a s s d i e G e s t a l t u n g d e s A u g e s u n d d i e V e r t h e i l u n g d e s
P i g m e n t e s e in e n g e t r e u e n S p i e g e l f ü r d i e b i o l o g i s c h e E i g e n a r t p e l a g i s c h e r
O r g a n i sm e n a b g e b e n , u n d d a s s . . . d e r d ir e c t u m f o rm e n d e E i n f l u s s v e r ä n d e r t e r
E x i s t e n z b e d in g u n g e n , w i e ih n L a m a r c k a l s t r e i b e n d e s M o t i v fü r d i e A r t u m w
a n d lu n g in A n s p r u c h n im m t , s i c h a n w e n ig e n O r g a n s y s t e m e n in ä h n l i c h in -
s t r u c t i v e r W e i s e v e r a n s c h a u l i c h e n u n d d em V e r s t ä n d n i s s n ä h e r b r in g e n lä s s t ,
a l s a n d e n S e h o r g a n e n . “ Dieser Auspruch, der übrigens heute schon eine gleichwertige Bedeutung
auch für die Hexapoden gewonnen hat durch die Thatsachen, mit denen uns die interessante
Arbeit Z im m e r s über die Augen der Ephemeriden (1897) und die Beobachtungen
K e l l o g s (1898) an einer Dipterenart bekannt gemacht haben (cf. pag. 56), verdient noch um
so mehr Beachtung, als G e r s t a e c k e r in seiner Bearbeitung der Arthropoden in B r o n n s
„Klassen und Ordnungen des Tierreichs“ (1889, päg. 682 —683) gerade mit Bezug auf die Schizopoden
noch ausdrücklich sein U rteil dahin abgiebt, dass die Ausbildung der Augen sich als vollkommen
unabhängig von dem Tiefen Vorkommen der Gattungen sowohl, wie der einzelnen ihnen
angehörenden Arten darstellt.
Nach G e r s t a e c k e r s Meinung „müssten“ nämlich, „bestände die v ie l gepriesene Anpassungstheorie
zu Recht, die bei Oberflächenbewohnern in hervorragender Grösse entwickelten
Gesichtsorgane in demselben Masse abnehmen und eingehen, als bei zunehmender Tiefe die Lichtfülle
herabgedrückt w ird.“ Dies is t weder bei den Schizopoden, noch bei ändern pelagischen
Crustraceen der Fall.
Bei der Vielseitigkeit der Mittel, mit denen die Natur arbeitet, is t es aber auch wirklich
nicht einzusehen, weshalb dies der F a ll sein „müsste“, zumal es sich um Tiere handelt, die
gelegentlich auch in die höheren belichteten Regionen verschlagen werden und bei ihrer ausgesprochen
räuberischen Lebensweise den Verlust des Gesichtsinnes besonders nachteilig empfinden
würden. Gilt doch auch für die Wirbeltiere keineswegs der S a tz , dass die Gesichtsorgane in
dem Masse abnehmen und eingehen, als ihre Besitzer das Tageslicht meiden und es sich zur
Lebensgewohnheit gemacht haben, ihre Beute im Dunkel der Nacht aufzuspüren und zu erjagen. ^
Den Augen der Polyphemiden widmet C h u n in seiner Abhandlung einen besonderen
Abschnitt.
Auch für diese zum Teil dem Süsswasser angehörenden Crustaceen unternimmt er es, eine