
weniger werthvoll; es beweist mehr fü r das Mittheilungsvermögen der Ameisen als 100 negativ ver*
laufende künstliche Versuche d a g e g e n zu beweisen .im Stande sind.
Wenn die Ameisen blosse Reflexmaschinen wären, wenn sie gleich blechernen Enten wären,
denen man nur den Magneten, vorzuhalten braucht, um sie zu einer bestimmten Bewegung zu veranlassen
(Bethe S. 5gg dann würde, es allerdings leichter' sein, mit ihnen zu experimentara. Aber diese
Vorstellung entspricht nicht der Wirklichkeit. Die Ameisen sind weder intelligente Miniaturmensohen
noch blosse Reflexmaschinen. Sie sind. mit dem Vermögen der sinnlichen Empfindung j g d willkürlichen
Bewegung ausgestattete Wesen,, deren sinnliehe Triebe (Instinkte) durch sinnliche Wahrnehmung
und Empfindung in ihrer Ausführung geleitet werden ,j|nd je nach der Verschiedenheit der augenblicklichen
Wahrnehmungen und Empfindungszustände, sowie zum Theile auch durch den Einfluss früher
gemachter Erfahrungen ein mannigfaltiger Weise modificirt werden können. Das ist eine Auffassung
des Ameisenlebens, die mit den Thatsachen übereinstimmt und den Thieren weder zu viel nooh zu
wenig zuerkennt. Diese Auffassung hat auch den grossen Vorzug, dass sie auf die höheren Thiere
ebenfalls anwendbar ist und daher e in e e i n h e i t l i c h e T h i e r p s y o h o lo g i e bietet; man braucht
dann nicht die psychischen Lebensäusserungen der Ameisen und der höheren Thiere mit einem a priori
verschiedenen Maassstab zu messen, eine Inkonsequenz, welche wegen der Aehnlichkeit jener Erscheinungen
bei den Ameisen und den höheren Thieren völlig unhaltbar, ist.
Ich gebe hier noch einige von mir angestellte Versuche über das Verhalten der Ameisen | g |
F. sanguínea und ihrer Hilfsameisen jgj beim Abholen vpn fremden Ameisencocons,.
Obwohl auch bei den Raubzügen von F. sanguínea in freier Natur das gegenseitige Mittheilungsvermögen
der Ameisen in unzweifelhafter Weise durch die Fühlerschläge und deren Wirkung sich
äussert, so hat doch hier, wie auch'bereits durch Forel konstatirt ist, das Mittheilungsvermögen der
Ameisen eine weit geringere biologische Wichtigkeit als bei Polyergus rufesems. Bei letzterer sind die
durch die wechselseitigen Fühlerschläge vermittelten Anregungen viel häufiger und lebhafter, und, erzielen
eine viel grössere Einheit des Vorangehens als bei F. sanguínea. Wie die saMSgmea.truppweise
und nicht in geschlossenen volkreichen Armeen (Polyergus) auf ihre Sklavenjagden ausziehen, -so handelt
auch innerhalb jener losen Trupps die einzelne Ameise viel selbstständiger als es bei Polyergus zu
geschehen pflegt. Hieraus ist es begreiflich, dass es in künstlichen, im Zimmer gehaltenen Beobachtungsnestern
keine leichte Sache ist, einen „programmmässigen“ Beutezug von F. sanguínea zu veranlassen,
bei welchem das Mittheilungsvermögen der Ameisep in durchaus zweifelloser Weise sich
äussert, ’ ich habe bei den zahlreichen Experimenten, die ich in dieser Beziehung insbesondere mit
dem grossen, auf Taf. I. abgebildeten Beobachtungsneste angestellt, indem ich in den als -„Abfallnest“
bezeiebneten Glascylinder Gocons von Arbeiterpuppen fremder Arten gab, zwar häufig die Fühlerschläge
einzelner sanguínea gesehen, welche, aus dem Abfallneste kommend, anderen sanguínea be-
gegneten und die letzteren dadurch veranlassten, ebenfalls dorthin zu laufen; aber dass eine e in z e ln e
sanguínea von deh dureh sie entdeckten Cocons direkt in das Hauptnest zurücklief und dort ein
„ S ig n a l“ für eine ganze Schaar gleichzeitig hervorbrechender sanguínea gab, konnte ich nur e in
e in z ig e sm a l mit Sicherheit beobachten,
Yorher sollen noch einige andere Fälle zum besseren Vergleiche berichtet werden. Dass die
sangumea nicht immer zu einem Beutezug aufgelegt sind, zeigt folgende Beobachtung. Am 13. August
1893 hatte ich meiner gemisohten Kolonie eine kleine Anzahl Cooons von rufiharUs und eine sehr
groase Menge von ^-Cocons des Lasius niger uum Abholen gegeben: Obwohl sangumea auch die letzteren
häufig raubt (als Beute zum Verzehren), wurden diesmal doch sämmtliche Oooons fast nur von den
/wsca-Sklaven der gemischten Kolonie abgeholt, während die sanguinea sich kaum daran betheiligten.
Am 23. August 1893 gab ich ihnen eine grössere Anzahl von rufibarbis-.^ -Cocons; diesmal wurden
die Cocons hauptsächlich von sanguinea abgeholt, während die fusca nur in geringer Zahl sich daran
betheiligten. Bei später mit demselben Beobachtungsneste angestellten Versuchen waren es meist
b l o s s die sanguinea, welche die Cocons abholten, obwohl die Zahl der Hilfsameisen in jener Kolonie
nicht abgenommen hatte.
Dass die zum Abholen der Cocons aus dem Neste kommenden Ameisen hiebei nicht etwa
bloss einer „Cöcöngeruchsfährte“ reflektorisch folgen, die von den aus dem Abfallneste kommenden
Ameisen zurückgelassen wurde, geht aus folgender Wahrnehmung hervor. In das Dach des Obernestes
(vgl. Taf. I.) münden zwei Glasröhren, von denen die eine in das Abfallnest, die andere in
das Fütterungsrohr führt. Bei einem am 18. Juni 1895 angestellten Versuche (mit Cocons von
rufibeirbis 'g und L .n ig e rQ ) kam es nun häufig vor, dass die aus dem Hauptneste zum Abholen der
Cocons herkommenden sanguinea zuerst in die f a l s c h e Röhre hineinliefen und, nachdem sie ein
beträchtliches Stück in derselben zurückgelegt hatten, wieder umkehrten und den anderen, richtigen
Weg einschlugen. Das Abfallncst war damals dem Beobachtungsapparate erst vor Kurzem neu angefügt
worden, und die Ameisen kannten daher d ie s e n Weg noch nicht so gut wie den anderen, in
das Fütterungsrohr führenden. Der ganze Verlauf des am 18. Juni 1895 gemachten Experimentes
war überhaupt ein derartiger, dass fast nur die gegenseitige Unabhängigkeit und individuelle Regellosigkeit
des Vorangehens von F. samguinea zu Tage trat, während von einem einheitlichen Verfahren
kaum eine Spur zu sehen war.
Ganz verschieden verlief ein 8 Tage später mit derselben Kolonie angestellter Versuch. Da
derselbe einen besonders zuverlässigen Beweis für das Mittheilungsvermögen der Sanguinea beim Abholen
von fremden Cocons bietet, will ich ihn hier eingehender (nach den damals aufgezeichneten
stenographischen Notizen) wiedergeben. Ohne dass ich es vorher zu hoffen gewagt hätte, konnte ich
diesmal einen „fulminanten“ Beutezug meiner Raubameisen beobachten.
Am Nachmittag des 25. Juni 1895 hatte ich eine Anzahl $ -Cocons von F. fusca und rufibarbis
in das „Abfallnest“ gethan. Es waren zur Zeit gar keine Ameisen meiner gemischten Kolonie in
diesem Nesttheile anwesend. Noch nach IV2 Stunden hatten die samguinea und ihre Hilfsameisen
nichts von den Cocons bemerkt, da gerade nur wenige Ameisen im Oberneste sich befanden und
keine derselben während dieser ganzen Zeit zufällig in das Abfallnest hinübergegangen war. Ich
nahm nun mit der Pincette eine sanguinea vorsichtig aus dem Oberneste und setzte sie in. das Ab:
fallnest. Dort wurde sie von mehreren der feindlichen rufibarbis nacheinander angegriffen, vertheidigte
sich aber wacker, befreite sich endlich und lief nun in das Nest zurück, wo sie an der Biegungsstelle
der langen Glasröhre> welche das Abfallnest mit dem Obernest verbindet, dreimal wieder umkehrte
und eine kurze Strecke zurücklief. Dann lief sie in das Obernest und von dort u n m i t t e lb a r ohne
Aufenthalt durch das Vornest in das Hauptnest, in welchem sie verschwand. Kaum 10 Sekunden
später kam eine ganze Fluth von sanguinea durch die Verbindungsröhre des Hauptnestes in das Vornest
gelaufen; von dort ging es direkt in das Obernest, wo sie die Glaswand zu erklettern suchten1).
Da ihnen dies wegen der Feuchtigkeit, mit welcher die Glaswand beschlagen war, nicht gelang, setzte
ich rasch eine Papierbrücke hinein. Nun ging die Expedition direkt, nach einem Zögern von nur
*) Damals war noch keine Holzbrücke im Oberneste, die von der Basis bis zur Decke reicht und den Ameisen
das Erklettern der Glaswand erspart.