Bethe will (S. 65) für das gemeinsame Vorgehen der Raubameisen beim Ueberfall eines
Sklavennestes wenigstens die Möglichkeit eines Mittheilungsvermögens der Ameisen zugeben. Er gesteht
zu, darüber keine eigenen Beobachtungen gemacht zu haben. Ich glaube, dass Forels und meine
Beobachtungen auch für den Nachweis der Thatsächlichkeit dieser Erscheinung bereits völlig genügen.1)
Wer das Benehmen der Raubameisen, namentlich von Polyergus, bei einem solchen Beutezuge einmal
gesehen, wird schwerlich daran zweifeln können, dass die Aufregung der auf einander zuspringenden,,
mit den Antennen einander auf den Kopf schlagenden Ameisen mit einer sinnlichen Mittheilung verbunden
sei, durch welche der Aufbruch und die Richtung des Zuges bestimmt wird. D a s s hiebei die
Ameisen den eigenen Erregungszustand durch die Fühlerschläge auch auf andere übertragen, ergibt
sich aus der unmittelbaren Beobachtung; w ie das geschieht, ist Gegenstand der Hypothese. Bethe
glaubt, dass die Fühler der erregten Ameisen vielleicht einen besonderen Geruchsstoff produciren, der
durch die Fühlerschläge auf die Antennen der anderen Ameise übertragen werde. Ich halte das nicht
für unmöglich, muss jedoch bemerken, dass die Hauptwirkung der Fühlerschläge hierin nicht bestehen
kann; denn die Amazonen kreuzen nicht die Fühler, sondern schlagen mit denselben auf den Vorderkopf
der anderen Ameise. Die erste und hauptsächlichste Wirkung der Fühlerschläge ist daher jedenfalls,
die A u fm e r k s am k e i t der anderen Ameise zu erregen, so dass diese derjenigen nachfolgt,
welche sie mit den Fühlern geschlagen hat. Dass bei dieser Gelegenheit auch eigene Geruchsstoffe
producirt und übertragen werden , ist eine blosse Vermuthung; auch wenn dieselbe sich bestätigen
sollte — was man wohl niemals wird experimentell nachweisen können — ist die Geruchsstoffübertragung
nur von sekundärer Bedeutung im Vergleich zu der ebenerwähnten primären Wirkung der
Fühlerschläge.
Bethe bezweifelt also das sinnliche Mittheilungsvermögen der Ameisen, obwohl er die That-
sache der gegenseitigen Fühlerschläge bei den Raubameisen zugibt und sogar eine neue Hypothese
zur Erklärung ihrer physiologischen Wirkung aufstellt. Seine Bemerkung, dass es sich auch hiebei
wohl nur um einen blossen reflektorischen Vorgang handle, ist eine jener Behauptungen, durch welche
er seine Reflextheorie trotz ihres Widerspruches mit den Thatsachen zu retten versucht. E m p
f in d u n g s lo s e R e f l e x m a s c h in e n , d ie s i c h n i c h t a n g e t r i e b e n f ü h l e n , d en e ig e n e n
E r r e g u n g s z u s t a n d , d en s i e s e lb e r n ic h t fü h l e n , a u f a n d e r e e b e n s o em p f in d u n g s lo
s e R e f l e x m a s c h in e n zu ü b e r t r a g e n , es a b e r t r o t z d em r e in r e f l e k t o r i s c h d e n n o c h
th u n — das ist die philosophische Erklärung, welche jene Theorie für den obigen Vorgang bietet.
Handelte es sich im vorliegenden Falle um „höhere Thiere“, so würde man keine Bedenken
tragen zu sagen: diese Erklärung ist unannehmbar. Ich sehe aber wahrlich nicht ein, wesshalb bei
den Ameisen, die doch auch ein relativ hochentwickeltes nervöses Centralorgan besitzen und ihre
Sinneswerkzeuge und Bewegungsorgane in ganz analoger Weise gebrauchen wie die höheren Thiere,
dieselbe Erklärung nicht ebenso unannehmbar sein sollte.
x) Ich citire hier aus Forels „Fourmis d. 1. Suisse“ p. 296 bloss folgende Zeilen aus einer seiner vortrefflichen
Beobachtungen über die Expeditionen von Polyergus: „Tandis que l’armée entière indécise cherche de tout coté, on
voit tout-à-coup à une place quelquonque un mouvement très restreint, de quelques fourmis qui précipitent leur allure,
se frappent de leur front, et s’élancent dans une direction, serrées les unes contre les autres en fendant la foule des
indécises. Celles-ci ne les suivent point tout à la fois, mais parmi ceux qui ont donné le signal, il y en a qui retournent
continullement en arrière et se jettent au milieu des indécises, les frappant l’une après l’autre de leur front;
dès q’une fourmi a reçu cet avertissement, elle suit le mouvement.“ Diese charakteristische Schilderung Forels über
das Mittheilungsvermögen von Polyergus kann ich auf Grund meiner eigenen Beobachtungen über eine Anzahl Polyergus-
Expeditionen bei Wien nur bestätigen.
Ich will nun noch einige neue Versuche über das Mittheilungsvermögen der Ameisen hier
beifügen. Aus dem ziemlich umfangreichen Material, das meine Notizbücher hiefür bieten, wähle ich
nur zwei Beobachtungen aus, die besonders instruktiv für die vorliegende Frage zu sein scheinen.
Die eine bezieht sich auf das gemeinschaftliche Abholen eines echten Gastes durch Formica rufa,
die andere auf das gemeinschaftliche Abholen von Sklavencocons durch Formica sanguinea, beides
infolge vorhergegangener Mittheilung durch einzelne Ameisen. Die erstere der beiden Beobachtungen
bildet zugleich einen Nachtrag zu den internationalen Beziehungen von Lomechusa strumosa (24).
In den letzten vier Jahren setzte ich häufig neue Exemplare von Lomechusa, die ich in
sanguinea-Kolonien gefangen, zu Hause in das O b e r n e s t des auf Taf. I. abgebildeten Beobachtungsnestes
von F. sanguinea mit ihren vier Sklavenarten. Die im Oberneste befindlichen sanguinea
schenkten der neuankommenden Lomechusa meist nur geringe Aufmerksamkeit; sie sprangen auf sie
zu, berührten sie mit den Fühlern, beleckten sie oberflächlich und gingen dann meist ruhig weiter;
die Lomechusa war für sie eine völlig bekannte Erscheinung, trotz des Geruches der fremden sanguinea,
der dem aus einer fremden Kolonie kommenden, von den fremden sanguinea beleckten Gaste anhaften
musste. Wenn sie allein im Oberneste waren, besorgten sie auch häufig selber das Hinabtragen der
neuen Lomechusa; gewöhnlich wurde dies jedoch von den im Oberneste anwesenden rufa und pratensis
besorgt. F . fusca und rufibarbis verhielten sich im Oberneste gewöhnlich ebenso gegen die neu an-
kommenden Lomechusa., wie die sanguinea es thaten. Obwohl sie selber in ihren eigenen Nestern
die Lomechusa strumosa nicht als Gast haben und dieselbe erst durch Erfahrung kennen lernen müssen
(vgl. 24 S. 641—645), verhielten sie sich als Hilfsameisen von sanguinea sogar gegen die neu erscheinenden
Lomechusen meist sofort ebenso „bekannt“ wie die sanguinea. Durch die Erfahrungen
an den früheren, in diesem Neste bereits vorhandenen Lomechusal) ist es erklärlich, dass auch sie
gegen den fremden Nestgeruch der fremden Lomechusa nicht mehr „feindlich reagirten“; sie nahmen
eben bei Begegnung mit dem neuen Gaste sofort wahr, dass der fremdartige Geruch von einem Wesen
ausging, das sie bereits durch ihre früheren Geschmackserfahrungen als einen angenehmen Gast kennen
gelernt hatten. Es ist dies einer der Beweise dafür, dass die Ameisen durch sinnliche Erfahrung
l e r n e n , d. h. infolge der durch Erfahrung gebildeten neuen Associationen ihre ursprüngliche
instinktive Handlungsweise modificiren können.
Ich komme nun zu dem Verhalten von rufa und pratensis gegenüber den in das Obernest
gesetzten neuen Lomechusen. Obwohl L . strumosa in den eigenen Kolonien dieser beiden Ameisen
nur selten vorkommt (vgl. 38 S. 62; 83 S. 2), nehmen sie doch, wie ich auch früher (24 S. 596, 638)
bereits berichtet, die von sanguinea zu ihnen kommenden Lomechusen meist freundschaftlich auf, aber
nicht so u n m i t t e lb a r wie sanguinea es zu thun pflegt. Der sinnliche Eindruck, den die Erscheinung
dieses Gastes auf sie macht, ist zwar kein unangenehmer, aber doch ein unbekannter; daher die
sorgfältige Fühlerprüfung desselben, die anfangs oft noch durch drohend geöffnete Kiefer oder sogar
durch Zwicken in die Hinterleibsseiten des Käfers begleitet wird. Aber in wenigen Sekunden beginnen
sie meist schon mit der Beleckung der gelben Haarbüschel des Gastes, und dann suchen sie
ihn an den Haarbüscheln aufzuheben und in das Nest zu tragen, wenn der Käfer noch nicht im
eigentlichen Nestinnern ist. Dieses Benehmen gegenüber Lomechusa strumosa behielten die rufa und
’) Theilweise ist diese Erscheinung wohl auch aus dem Nachahmungstriebe der Ameisen zu erklären, durch
den die Hilfsameisen von F. sanguinea in manchen Punkten von ihren Herren zu lernen vermögen. Vgl. den Abschnitt
„Die verschiedenen Formen des Lernens“.