Auch u n te r don ausgcstorbencn Insekten kommen mit wenigen Ausnahmen (s. w. u.) keine befremdenden
F o rm en v o r ; fast je d e s derselben passt seinem Aeusse ren nach s o in die heutige Z e it (a b e r nicht
a lle in e i n e F a u n a ) , dass e s , fände es sich lebend v o r, seinen E n td e c k e r eben so wenig überrasch en
w ü rd e , als ihn eine einheimische n e u -g e fu n d e n e A rt o der G a ttu n g in E rs tau n e n setzt. Das Insektenleben
stand im Bernsteinwa lde bereits a u f ein e r solchen Stu fe d e r A u sb ild u n g , dass e s , n eben das heutige
g e h a lte n , n u r eine ge rin g e re Mannigfaltigkeit, ab e r in jed em Individuum dasse lbe Ge p räg e organischer
Entwickelung zeigt. Das Gesichtsorgan b esteh t aus demselben Sy stem von v ie len H u n d e rte n einzelner
Au g en , d ie Augenstellung d e r u rw eltlichen S p in n e n , die A n te n n e n -, P a lp e n - und T a r s e n -G li e d e r , die
F o rm d e r Cubitalzelle im F lü g e lg e ä d e r d e r H ym e n o p te re n , die Ade rze rästelung in d en F lü g e lsp itz e n d e r
Limnobiden u. s. w. gewähren d e r systematischen Classifikation ein e eben so sich ere B a s is , als heute.
Bem erk t man bei den in R ed e s tehenden In se k te n nun a b e r eine ähnliche Kö rp erfo rm u nd eine gleiche
Organisation wie bei den je tz ig e n , so w ird auch aus d ie se r blos äu s se ren Anschauung d e r S chluss erlaubt
s e y n , dass die Lebensbedingungen und die Lebensweise damals und j e tz t ziemlich dieselben gew esen sey n
müssen. J a e s fräg t s ic h , ob nicht sogar d e r Reichthum d e r unterg eg an g en en Schöpfung dem d e r heutigen
gleich zu achten s e y ? W e n n ich b ed e n k e : w i e u n e n d l i c h v i e l se it J a h rta u se n d e n in d e r E rd e durch
V e rwitte rung, im Mee re durch Zertrüm me ru n g u n d , wenn auch n u r se it J a h rh u n d e rte n , d u rc h d e r B e a rb e ite r
G le ic h g ü ltig k e it, z e rstö rt worden i s t, und dem S ammle r noch täglich entzogen w ird , un d w i e u n e n d l i c h
w e n i g in B e tre ff z u r ehemaligen F ü lle n nd zum noch verb o rg en e n V o r ra th , mir zusammen zu bringen
g e la n g , so muss es mich wahrlich e rfre u en , in meinen 2000 In s e k te n -S tü c k e n ü b e r 8 0 0 species zu sehen.
U n te r zwanzig frisch gewonnenen Stücken finde Ich in d e r R eg el noch im me r wenigstens eines m it e in e r
neuen A r t, u nd u n te r d e r do p p elten Z ah l ohne Zweifel eine neu au ftre ten d e G a ttu n g . Die Mannigfa ltigke it
d e r ehemaligen In se k te n - F a u n a is t so g ro s s , dass mir in m eh re re n F am ilie n , z. B . u n te r den Ageliniden,
Opilioniden und Milben, u n te r d en B u p re stid en , T ax ic o rn ien , Rhynch o p h o ren , Coccinelliden u n d P se lap h id en
in den meisten Ind iv id u en eine eigene Ga ttu n g b eg e g n e t, und dass wiederum in manchen re ic h en Ga ttungen
fast je d e s Individuum sich als eigene Art zu e rk en n en giebt. Als B e isp ie le mögen h ie r die S p in n e n -
Ga ttungen T h e rid ium , *M y z a lia ‘) , Clubiona , S eg e s tria un d * S y p h a x , u n te r d en N e u ro p te re n d ie Nemouren
und u n te r den Kä fe rn die Ga ttu n g en D c rm estes, An th rc n u s und Anthicus g en an n t s e y n ; mit Ausschluss d e r
zahlreich vorkommenden P h y to c o rid en g eh ö rt fa st je d e W a n z e e in e r eig en en A r t, o d e r g a r e in e r eigenen
G a ttu n g , an.
E in e b u n te In se k te n - S ch aa r aus allen Ordnungen beleb te d en B e rn sle inw a ld . Schwä rme von
D ip te re n , von Pfaryganiden und ande ren N e u ro p te re n , deren analoge L a rv e n heutigen T a g e s n u r in
S ümp fen und Gewässern zu finden s in d ; C ru s ta c e en , M y riap o d e n , S pinnen und A p o d e n ; B la ttid e n aus
a llen E ntwicke lungsständen; K ä fe r , die d en modernden Pflanzenabfall d u rc hw ü h lte n ; m eh re re Aradus-Arten,
Tin e id en und T o rtric id c n , die als L a rv e n u nd als vollkommene In se k te n wahrscheinlich in den R inde spalten
u n d zwischen den Nadeln d e r Zapfenbäume w o h n ten ; C allid ie n , B o s tric id e n , H y le s in e n , P tilin c n ,
X y lo p h a g e n , Anobien un d Cerambicinen an d en Stämmen, im B a s te u nd im H o lz e d e r P in ite n un d E ic h e n ;
B ie n e n , L e p tu r e n und M o rd e lle n , welche vom Blumenstaube le b te n ; eine Masse von Ameisen seh r v e rsch
ied e n er A r te n ; H a ltic a e und Ga lle ru c a e a u f so n n ig e re n , G ry llid en a u f tro ck e n e ren P lä tz e n , — geben
nach d e r Analogie mit dem In sek ten leb en in heutigen W ä ld e rn , in wenigen Zügen e in schwaches B ild je n e r
untergegangenen S ch ö p fu n g , d i e m i t R e c h t d e r P r o t o t y p d e r j e t z i g e n h e i s s t . — J e d e Baumgattung
ern äh rte gewiss schon damals ih re eigenthümlichen In s e k te n ; d e r im B e rn s te in h ä u f i g verkommende
Lachnus dryoides Germ. & Ber. z. B . sog seine N a h ru n g , w o rau f d e r überau s lange R ü ssel d eute t,
gleich allen je tz t lebenden Lachnus - A r te n , wohl ohne Zwe ifel aus e in e r H o lzp fla n ze , und g e h ö r te , wie d e r
») Mit lücaem Zeichen ( * ) sind alle neu Iienanntcii Gatlungon v e rs e h en .
ihm nahe steh en d e heutige Ai)his Quercus L . , wahrscheinlich d e r damaligen Eiche an. — W a s s e r -
I n s e k t e n sind b ish e r äu s se rs t selten g e fu n d en , ih r Vorkommen is t aber völlig ausser Zweifel gcslelil-
Ich sah einst in Königsberg eine N e p a ; ich besitze selbst a u s se r m eh re re n im W a s s e r lo b en d e nPh ry g a n id cn -
L a rv en (G e h ä u s e , bald aus abgebissenen G ra sh a lm en , bald ans Fichtennade lii kunstvoll zusammengefügt),
auch die v ortre fflich e rh alten en L a rv e n e in e r H y d rom e tra u nd eine s H a lo b a te s , und in d e r Sammlung des
H e rrn O b e rle h re r M e n g e h ie rse lb st w ird e in G y rin u s au fb ewah rt. E s w ürde ein ö fteres Vorkommen von
W a sserbewohnern mich übrigens g a r nich t b e frem d e n , d a sich dieselben in wä rm e re r S omm e rz e it, sobald
ih re Lache v e r s ie g t, einen an d e ren Au fen th altso rt zu suchen gezwungen s in d ; auch die N e p a fliegt bekanntlich
d e s Nachts v on einem G rab en zum an d e ren . Die beiden L a rv e n d e r W a s sc rlä u fe r liegen in
e i n e m S tü c k e , ein Umstand d e r sogar a u f e in g eh äu ftes Vorkommen d ie se r Ge schöpfe schliessen lässt.
B em e rk en sw e rth is t die B eo b ac h tu n g , dass die eingeschlossenen O rg an ism e n , b e i gleichen F o rra -
und M aa s s -V e rh ä ltn is se n ih r e r G lie d e r, im A l l g e m e i n e n v o n k l e i n e r e n D im e n s i o n e n a l s d i e
h e u t i g e n sind. An den P flan z e n re ste n fä llt dies wenige r a u f , d a dieselben in zu g e rin g e r Z a h l, auch in
zu unbedeutenden F ragm en te n vorh an d en s in d , u nd m e h r e n t h e i l s i n s c h o n v e r d o r r t e m Z u s t a n d e
(v e rd r e h t, z e rp la tz t, z e rb ro c h en ) in den H a rz s a ft g erie th en . E in ab g e fallen e s, gleichlalU schon v e rd o rrt in
den B e rn s te in gekommenes B lü th e n k ätzc h en e in e r E ic h e , v ie le kleine T h u ja -Z w e ig e , die Nadelblätter
d e r P in ite n , so wie die einem L ep ism id en aufsitzenden P e z iz e n , haben so ziemlich die G rö sse ih re r
heutigen n ächsten V e rw a n d te n , u nd n u r die B lä ttc h en e in ig e r Ju n g erma n n ien ' erscheinen auffallend klein
gegen die je tz ig e n . F ä llt ein v erg le ich en d e r B lic k dagegen a u f eiue gleiche Zahl v e rw an d te r v o r - und
je tz tw e ltlich e r In s e k te n , so b es tä tig t sich d e r oben ausge sprochene S atz a u f das Constanleste. Ich glaube
dass unsere einheimische I n s e k te n -F a u n a aus dem R cichthuin ih r e r k leinsten T ip u la rie n u nd Dolichopoden,
ih re r P so c id en un d H em e ro b ie n , ih r e r E la te rid e n u nd C h ry som elin cn , desgleichen aus den Gattungen
C an th aris, S cy dm a e n u s, Anthicus u . s. w ., keine gleiche Z ah l eben so winziger S p e d e s -F o rm e n aufstclicn
kann. A l l e mir b ek a n n ten , j e t z t lebenden H em e ro b iu s - und S cydmaenus-Arten sind g rö s se r als diejenigen,
welche ich bis je tz t im B e rn s te in s a h .— E s kommen in m einer Sammlung sogar n u r zwei re c h t auffallende
B eispiele vom G e g en th e ile v o r: ein ausgezeichnet schöne r P la ty c e ru s , d e r d en jetztwe ltlichen P la ty c e ru s
caraboides um fa s t zwei L in ien an L än g e ü b e r tr ifft, und die B la tta gedanensis Germ. & B e r., in so fern
sich dieselbe neben keine exotische F o rm , so n d ern zunä chst neben die in u n se ren W ä ld e rn lebende
B la tta germanica L . s te llt. Ic h leugne das Vorkommen g rö s se r In se k te n darum ab e r n ic h t; ich besitze
selbst m eh r als d re issig Ind iv id u en au s allen O rd n u n g en , d e ren K ö rp erlän g e a u f 8 bis 12 L in ien s te ig t;
dieselben g e h ö re n , einige zweifelhafte L a rv e n ab g e re c h n e t, den Ga ttu n g en C rasp e d o soma , Cerinatia,
L ilh o b iu s , P la tym e ris , B la tta , A g rió n , P e r l a , Chauliodes, S ir e x , B u p re s tis , P la ty c e r u s , Uallidium, S ap e rd a
und L e p tu ra a n ; d e r L e ib eines Agrión ü b e rs te ig t noch das angegebene Längenmaass. — E s e rscheint
mir eben so u n s ta tth a ft den G ru n d d ie se r eigenthümlichen K le in h e it d e r ansgcstorbenen G e schöpfe n u r
darin zu su ch e n , dass g rö s se re T h ie re durch ih re in ten s iv e re K ö rp e rk ra ft und durch das w e ite re kräftige
Vorstrecken ih re r län g e ren B e in e sich aus dem H a rz s a fte le ich te r zu b efreie n v e rm o c h ten , als das Factum
r e i n physikalisch darau s e rk lä re n zu w o llen , dass die L u ft in den au sge trockne ten geräumigen K ö rp e rhöhlen
d e r g rö sse ren In c lu s a , bei ih r e r erfolgten Au sd e h n u n g , das Z e rp latzen des B ern s te in s le ich te r bew
irk te , wodurch vorzugsweise die Zerstö ru n g g rö s s e re r T h ie re b e fö rd e rt w e rd en m u s s te , (E rk lä ru n g e n
die ic h , gehörig m o tiv irt, d u rchaus die meinigen n e n n e ) ; ich glaube v ie lm e h r, dass d ie se r Erscheinung
noch etwas T ie f e re s , aus te rre s tris c h e n un d klimatischen Ve rh ältn isse n E n tsp ru n g e n e s , obgleich ich solches
nich t n äh e r zu bezeichnen w e is s , zum G ru n d e liegt.
Die Metamorphose d e r in v o lv irte n Insekten i s t , wo sic sich kund g ie b t, nach den noch h eu le
geltenden Regeln e rfo lg t; uns ist a b e r die Beziehung d e r versch ied en en In scktcnzuständc zu r Pflanzenwelt
sogar in d e r lebenden Scliöpfuiig le id e r zu wenig b e k a n n t, um bestimmte F olge rungen mit S ic h e rh e it
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