Die Vergleichung d e r Bernsteiii-Neuroptere ii mit den lebenden Arten ist bei d e r noch so mangelhaften
Kenntniss d e r letzte ren schwie rig und meist unfruchtbar. Wo ich gar nichts d a rü b e r gesagt h ab e , sind mir
verwandte lebende T h ie r e nicht bekannt gewesen. Bei keinem einzigen liess sich eine Id e n titä t mit noch
lebenden Arten n achweisen , wohl ah e r ste ts sich ere A rtv e rsch ied e n h e it, wenn v erw an d te T h ie re Vorlagen.
Die b eträ ch tlich e Zahl von B e rn s te in -E in s c h lü s s e n , welche durch meine H ä n d e gegangen s in d , und
die R eih e von J a h r e n , in welchen ich selbe s tu d irte , hat mir einige Kunstgriffe und E rle ic h te ru n g e n in d er
Methode d e r Untersuchung g e lie fe rt, die ich h ie r an zuführen mich v e rpflichtet fühle.
ln B e tre ff d e r Untersuchung d e r cingeschlossenen T h ie r e ist zu v ö rd e rs t als R eg el fe s tz u h a lten , dass
jede s Stück wiede rholt zu verschiedenen Zeiten und so oft als möglich zu beobachten sei. Ein ze ln e schwierig
g e la g e rte Stücke habe ich wohl hundertmal vor Augen gehabt. S e lb s t ein an Bernsteintäuschungen gew o h n te r
B eo b ac h ter findet nichl selten e r s t bei vielfach w ied e rh o lte r Untersuchung, dass doch eine üb e rseh en e S palte
o der L u ftb lase ihn v e rfü h rt hat. Die Art d e r B eleu ch tu n g muss bei verschiedenen Stücken verschieden
s e in , und h ie r hilft allerdings n u r die Uebung das Richtige treffen. Manche S tü c k e , bei welchen wichtige
Organe lie f in dunklen Sp alten o d e r zwischen den F lü g e ln v e rste ck t lie g e n , e rfo rd e rn durchaus grell
einfa llcndes S o n n en lich t, um sie ü b e rh au p l zu s e h e n ; ande re werden bei L am p e n lic h t d eu tlich e r. Beide
Arten der Beleuchtung sind übrigens fü r das Auge die schädlichsten und so viel als möglich zu meiden.
Die S tü ck e selbst sind oft nicht durchsichtig genug und noch ö fte r d e r S ch liff nicht genau so g elegt,
wie es die Beobachtung e rfo rd e rt. U n te rsu ch u n g d e r Stücke in Oel o der W a s s e r, wie empfohlen wird, h a t
mir dabei wenig o d e r nichts gele istet. Muss d e r Schliff g e ä n d e rt werden, so habe ich folgende Methode am
wenigsten gefährlich und, was h ie r nicht unwichtig ist, am wenigsten zeitraubend gefunden. Müssen grösse re
Flä chen oder Ecken e n tfe rn t we rden, so gebrauche ich dazu eine S äge mit s e h r dünnem ab e r breitem B la tt,
wodurch d e r S c h n itt g leich a rtig er wird. Die Säge wird fe s tg e s le llt, ond das Stück d a rau f leicht bewegt.
Kle in e re Ecken o der F lä ch en werden a u f d er fe stge setzten F e ile geebnet und dann mil G la s abgestrichen.
E s ist s e h r wesentlich hierzu ein gerade gebrochenes Glas zu h ab e n , und das dünne g rü n e F en sterg la s
vorzuziehen. Man macht a u f ein Glasstück an d e r zu brechenden Kante einen F e ils tr ic h , und bricht es,
indem man a u f d e r entgegengese tz ten S e ite die Daumennägel dicht bei ein a n d er setzt, möglichst ge rad e durch.
Meistens ist n u r eine Kan te (die wenige r sch a rf v o rsteh e n d e ) zum Abslreichen tauglich, die ande re schrammt
das Stück. Gewöhnlich kann man durch blosses Abslreichen die gewünschten F lä ch en so glatt darste llen,
dass n u r noch eine letz te P o litu r a u f einem trockenen mit K re id e einge riebenen festen L e d e r o der a u f dem
Ballen d e r Hand genügt. Allerdings werden Stücke nass p o lirt meist einen s c h ö n e ren , gleiche ren Schliff
z e ig en , doch ist mein A'erfahren fü r die Beobachtung durchaus hinreichend.
Is t ein ümschleifen nicht g e s ta tte t o der nicht möglich ohne T h e ile des T h ie re s zu verle tzen, so habe ich
ein von Dr. T h o m a s e rfundene s V e rfa h ren (dem auch die obige Methode eigen ist) s e h r zweckmässig befunden.
Man schmilzt gereinigte s Colophonium und T e rp e n th in zu gleichen T h e ilen mit etwas Dammarharz und
bewahrt es zum Gebrauch in Stücken g lä se rn e r Baro in e te rrö h ren auf. AVill man ein Bernsteinstück
d am it zu b e reiteii, so nimmt man ein Glastäfelchen von p asse n d er G rö sse und tro p ft die einfach ü ber ein e r
Lichtflamme flüssig gemachte Ha rzmasse h in au f und drü c k t den B ern stein darin fest. Es e rse tz t dann das
Glas die po lirte F lä ch e , dio H a rzm asse hat dieselbe Brechung wie d e r B ern stein und erk altet so rasch, dass
die Untersuchung augenblicklich vorgenommen werden kann. N u r a u f diese AVeise sind Stücke gut zu u n te rsuchen
möglich, die inan sonsl forlw erfen mu sste , uud überdie s bildet eine solche aufgelegte Glastafel einen
dau e rh aften S ch u tz , so dass d e ra rtig p rä p a rirte S tü ck e unverwüstlich sind. Es h a t diese Methode auch noch
den Vo rth e il bei Durchsicht g rö s se r Sammlungen augenblicklich die Untersuchung wichtiger Stücke zu
ermöglichen. Das Auflegen eines Glastäfelchen e r fo rd e rt kaum einige Min u ten , und kann selbiges hernach
durch Erwärmen sogleich wiede r e n tfe rn t und das Stück mit S p iritu s gereinigt werden. Ich halle diese
Methode für eine wesentliche B e re ich e ru n g und w ürde ralheii, se lten e T y p e n s te ts in G las zu schliessen, da
s e lb st bei der sorgfältigsten Aufbewahrung die B ern s te in e dunkeln und an d e r Oberfläche v e rw itte rn . Das
letz te wird bestimmt durch Glasdecken vermieden we rden.
K ö n i g s b e r g , den 10. November 1855.
H e r r m a n II H a ^ e n.
Allgemeine Betrachtungen über die Neuropteren im Bernstein.
D i e fossilen Insekten sind bis je tz t noch nie in d e r Art s tu d ir t, dass »ns ih re r Vergleichung Schlüsse von
einiger AVichtigkeit gezogen werden könnten. D e r B e rn ste in en th ä lt so zahlreiche und schön e rh alten e Stücke,
dass w ir gegenwärtig hoffen können, einiges P o s itiv e ü b e r die urw eltliche Ge schichte dieser zahlreichen Klasse
zu erhalten. Ohne Zwe ifel werden w ir eine schätzbare B ekrä ftigung d e r R e su lta te finden, welche das Studium
d e r schon länge r bekannten und meist in Erdschichten aufbewahrten T h ie rre s te liefe rte. Meine Untersuchung
d e r in diesem merkwürdigen L a g e r en th a lte n en N e uropteren sche int mir im Allgemeinen folgende Schlüsse
zu erlauben.
De r e rs te wichtige P u n k t ist die B ekrä ftigung eines G e se tz e s , welches gegenwärtig von einigen
Geologen wohl mit Unrecht angegriffen w ird , mir jed o c h durch die Arbeiten d e r tüchtigsten Palaeonlologen
täglich sic h e re r zu werden scheint. Dieses G e se tz bedingt besonde re versch ied en e Arten fü r Jede F ormation,
und e rh eb t dabei zum P r in c ip , dass keine fossile Art mit e in e r d er gegenwärtig noch lebenden identisch Ist.
E s wa r um so in te re s sa n te r die B ek rä ftig u n g d ieses G e setzes in d ie se r Klasse zu versuchen, da die Insekten
bis je tz t noch nicht aus diesem Ge sich tsp u n k te s tu d irt werden konnten. Die B e rn ste in -N eu ro p te ren bestätigen
dasselbe a u f das Vollkommenste. Ke ine s von allen, deren U n tersuchung mit einiger S ic h e rh e it möglich war,
kann e in e r noch lebenden Art beigezählt w e rd en , und w e n n , wie ich durchaus nicht zw eifle, die übrigen
Ordnungen dies R esu lta t b estä tig en , so kann als fü r die AA'issenschaft sich er b egründet angesehen werden,
dass kein In se k t d e r alten te rtia e ren F o rm atio n a u f uns gekommen s e i , sondern wie seine Zeitgenossen, das
Anoplotherium und P a la e o th e rium , untergegangen und durch ande re erse tz t worden sei.
Ve rgleichen wir diese neuen Arten und die G a ttu n g e n , welchen sie an g e h ö ren , mit den gegenwärtig
lebenden N e u ro p te re n , so können sie u n te r folgende Ka tegorien gebracht w e rd en :
1. A rte n , die durch G rö ss e und F o rm den j e tz t in M itte l-E u ro p a und P reu sse n insbesondere
lebenden s e h r nahe sind.
II. Arten aus G a ttu n g e n , die j e t z t nich t so weit gegen Norden angetroffen werden. So die Ga itu n g
T e rm e s , d eren Arten g eg e nw ä rtig das südliche F ran k re ich nichl üb ersch re iten .
II I. Arten derselb en Ka tegorie wie v o rh e r, welche in B e tre ff ih re r Grösse jetzt ih re s Gleichen e rst
in wä rm ere n L än d e rn fin d en , z. B. E g y p ten .
IV. Arten aus j e tz t nicht Europa eischen G a ttu n g e n , z. B . Chauliodes. (N o rd -A m e rik a .)
V. Arten aus neuen G a ttungen.
E s lassen sich aus diesen Thatsa chen in B e tre ff des Climas und der T em p e ra tu r im nördlichen Europa
zu r Z e it d e r älteren T e r lia c r-E p o c h e einige allgemeine Schlüsse entwickeln, doch ist dabei nicht zu übersehen,
dass alle diese F olge rungen ein E lem en t d e r U n sich e rh eit b e sitz e n , von welchem sie nicht gänzlich be fre it
werden können. E s we rden nemlich unterg eg an g en e Arten mit Arten verglichen, welche jenen nicht identisch
s in d , und gemeinhin d e r S chluss g ezogen, dass ähnliche Arten ein ähnliches Klima bedingt hätten. Is t es
nun gleich w a h r, dass j e tz t L ä n d e r von g leich e r T em p e ra tu r, falls sie nicht zu weit aus einander liegen,
eine beinahe gleiche F o rm b esitzen, so s te h t es ab e r auch f e s t, dass diese Regel nicht stren g e genau sein
kö nne, wenn die älte ren Epochen mit den heutigen F au n en verglichen w e rden. Uebcrdies d ü rfen solche
Schlüsse n u r aus e in e r s e h r grossen Anzahl von Angaben gezogen » e r d e n , wo sie dann sich gegenseitig
u n te rstü tz e n d eine um so g rö sse re S ic h e rh e it gewähren. Jed e n falls e rkennen wir es vollkommen a n . das.s
man diesen Resu ltaten keinen zu hohen AA’e rth beilegen m ü s se , und glauben n u r die G rän ze n ein e r bescheid
enen Mässigung zu ü b e rs c h re ite n , falls wir uns ganz d ie se r allgemeinen S chlüsse entha lten so llte n , zumal
da sie mit jen e n ü b e re in stim m en , welche durch das Studium d e r ü brigen T h ie rk la ssen e rla n g t »urden.