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mehreren Monaten, die das Sklerotium am besten unter leichter Erdbedeckung
zubrachte, treten aus seiner Oberfläche rötliche oder gelbliche
Fruchtlager hervor, die in ihrer weiteren Entwickelung zu einem
Fruchtträger werden, bestehend aus einem bis 1 cm großen Stielchen
mit einem rotbraunen Köpfchen (Tafel 2a, Fig 6 ). Je nach der Größe
des Sklerotiums entstehen wenige oder viele solcher Fruchtträger. Die
runden Köpfchen sind bedeckt mit zahlreichen warzenförmigen Erhebungen
(Tafel 2 a, Fig. 7). Von diesen ist jede die sich später erst
öffnende Ausmündungsstelle eines länglichen, flaschenförmigen Behälters
(Tafel 2 a, Fig. 8; Tafel 2 b, Fig. 12), der von zahlreichen keulenförmigen,
an seinem Grunde entspringenden Schläuchen ausgefüllt ist. Jeder
dieser Schläuche birgt im Innern acht fadenförmige Sporen (Tafel 2 b,
Fig. 14, 15, 16). Durch die Öffnungen auf den Warzen des Köpfchens
gelangen diese nach außen. Werden diese Sporen auf die Fruchtknoten
blühender Roggenpflanzen übertragen — in der Natur besorgen
Wind und Insekten dieses —, so keimen sie, und der geschilderte Entwickelungsgang
beginnt von neuem.
Standort und Verbreitung. Die Hauptnälirpflanze des Mutterkornpilzes
ist der Roggen; außerdem finden sich noch Clavicepsarten
auf zahlreichen anderen Gräsern. Noch unentschieden ist jedoch, ob
es sich in allen Fällen um dieselbe Art handelt, oder ob deren mehrere,
auf bestimmte Grasarten beschränkte, zu unterscheiden sind. Leicht
übertragbar ist Glaviceps purpurea durch Sporen auf Gerste, Spelt,
Dactylis glomer., Anthoxanthum odor., Arrhenatherum elatius, Poa-
arten u. a.; nicht übertragbar auf Lolium, Brachypodium silv., Milium
effusum u. a. Da die auf den letzteren vorkommenden Clavicepsarten
morphologisch gar nicht von Glaviceps purpurea zu unterscheiden sind,
so nimmt man an, daß es nur biologische Formen einer einzigen morphologischen
Art sind.
Gift und dessen Wirkung. Der Mutterkornpilz ist giftig im
Sklerotienzustande. Der Genuß solcher Sklerotien oder von Brot, das
stark durch solche verunreinigt ist, erzeugt gefährliche Krankheiten,
die in früheren Zeiten, in denen der Getreidebau und die Reinigung
des Getreides weniger sorgfältig betrieben wurden, besonders in Jahren,
wo die Witterung die Entwickelung des Pilzes begünstigte, in fast allen
Ländern Europas seuchenartig auftraten. Von dem eigentümlichen
Gefühle des Kribhelns (Juckens) in Händen und Füßen, mit dem die
Krankheit beginnt, hat sie den Namen der „Kribbelkrankheit“ erhalten.
Im Mittelalter wurde sie in Deutschland fast allgemein „Antoniusfeuer“
genannt, weil man glaubte, durch Verehrung der Reliquien des hl. Antonius
könne der Seuche Einhalt getan werden. Starke Vergiftungen
durch Mutterkorn führen stets unter Krämpfen, Schwindel, Ohrensausen,
furchtbaren Schmerzen, Atemnot zum Tode. In schweren Fällen