
säure und wird dadurch giftig. Reichlich finden sich Amygdalin und
Kinulsin gemeinschaftlich, aber getrennt voneinaiider in den Keimblättern
der Fruchte des Mandelbaumes, den sogenannten „bitteren
Mandeln“. Die Einwirkung des Fermentes F'.mulsin auf das Glykosid
und die Bildung von Blausäure kann also erst erfolgen, wenn die
Zellen der Keimlilätter zerstört, z. B. die bitteren Mandeln zerrieben
oder gekaut werden. Die Wirksamkeit des Emulsins wird durch Flr-
hitzen über 100» C, sowie durch Pepsin und durch eine 0,135 prozentige
Salzsäurelösnng aufgehoben. Beim Verzehren von bitteren Mandeln
gelangt also nur diejenige Menge Blausäure in den Fiörper, die heim
Zerkauen der Samen im Munde entstanden ist, da im Magen die
weitere Ahsiialtiing jenes Giftes durch den pepsin- und salzsäurehaltigen
Magensaft unterbunden wird.
Die wasserfreie Blausäure ist eine bewegliche Flüssigkeit, die bei
— 15» 0 erstarrt und bei -)-26,5»C siedet; bei gewöhnlicher Temperatur
verdunstet sie also schon stark. Der ihr eigentümliche Gerucli rührt
von Bittermandelöl lier. — In verdünnter Lösung, z. B. im „Bittermandelwasser“
und im „Kirschlorbeerwasser“ (enthält bis zu 0,1 Proz.
Blausäure) wird die Blausäure medizinisch angewandt. Im „Kirsch“-
nnd im „Zwetschenwasser“ sind gleichfalls geringe, aus den Obstkernen
stammende Mengen Blausäure enthalten.
Die B la u s ä u r e g e h ö r t zu d en a u f den tie r i s c h e n O rg a n is mus
am s t ä r k s t e n g if tig w irk e n d e n S to ffen . Sie äußert ihre
Wirkung stets, gleichviel auf welchem Wege sie in den Körjier gelangt.
In konzentrierter F’orm, als flüssige Blausäure eingenommen, treten die
ersten Vergiftungserscheinungen schon nach wenigen Sekunden oder
ein bis zwei Minuten ein. Auf welche Organe und auf welche Weise
die Blausäure auf diese ein wirkt, ist noch nicht mit Sicherheit festgestellt;
nach einigen sollen Gehirn und Rückenmark, nach anderen
das Herz und Gefäßsystem gelähmt werden. ,Te nach dem Grade der
Vergiftung äußert sich die Wirkung verschieden. Bei starker Vergiftung
durch Blausäure stürzt der Vergiftete, oft einen Schrei ausstoßend,
zusammen und stirbt gefühl- und bewußtlos, ohne Krämpfe,
nach einigen Minuten; hei schwacher Vergiftung ist die Haut kalt und
gefühllos, die Atmung langsam, krampfhaft, der Atem selbst riecht
nach bitteren Mandeln; der Puls wird langsam, und unter Krämpfen
erfolgt nach einer Viertel- bis halben Stunde der Tod. Rettung ist
nur bei leichten Vergiftungsfällen durch sofortige Hilfe, und zwar in
erster Linie durch Entfernung der hlausäurehaltigen I ’lüssigkeit aus
dem Magen möglich.
Unter gewissen, noch niclit näher bekannten Bedingungen soll
auch in anderen, bisher nicht für giftig gehaltenen Samen einzelner
Pflanzen aus der F’amilio der Rosaceen Blausäure entstehen. So wurde
solche z. B. m den Samen des W e iß d o rn s (Crataegus oxyacantha)
nach einer vorgekommenen Vergiftung durch den Genuß von Beeren
dieses Strauches naehgewieseii.
Für nicht ganz imgiftig wird das in manchen Pflanzen frei vor-
kommende, chemisch zur Gruppe der Lecithine gehörende Cholin gehalten.
Wenn auch die direkte Giftigkeit desselben vielfach noch an-
gezweifelt wird, so kann es doch durch Bildung des giftigen Neurins
zum Ausgangspunkt von Vergiftungen werden. Frei kommt es vor unter
anderem im P a n th e r p ilz (Amanita pantherina), im F l i e g e n p i l z
(Amanita muscaria), im M u tte rk o rn (Clavieeps piirpurea) und in
manchen Samen höherer Pflanzen, ln naher Beziehung zum Cholin
steht das in den genannten Pilzen vorkommonde Muscarin; als Zersetzungsprodukt
des Cholins und des Muscarins tritt in den genannten
Pflanzen das „Trimethylamin“ auf; mit Cholin identisch soll das
Amanitin des Fliegenpilzes sein. Uber den Ort und die Art der Bildung
der genannten Stoffe in der Pflanze sind wir zurzeit noch sehr
ungenügend unterrichtet.
V e rg if tu n g e n d u rc h P f la n z e n k ö n n e n s e lir v e r s c h ie d e n e
U rs a c h e n z u g ru n d e lie g e n , und die Veranlassungen dazu recht
mannigfaltige sein. M e ist e rfo lg e n sie d u rc h Gen u ß g if tig e r
IM Tan zen teile, vornehmlich aus Uidienntnis derselben veranlaßt; in
ä n d e r e n F ä lle n k a n n u n v o r s ic h tig e , o ft le ic h ts in n ig e An w
en d u n g g if tig e r P f la n z o n te ile in g rö ß e r e n Mengen, etwa a ls
A rz n e is to ffe in sogenannten Volks- oder Hausmitteln, V e ra n la s su n g
zu s c hw e re n F lrk ra n k u n g e n w e rd en ! — S e lb s tv e rg if tu n g e n ,
d. li. S e lb s tm o rd e durch Pflanzengifte, stellen schon im Altertume
nicht vereinzelt da. — B e n u tz u n g d e r G if tp f la n z e n zum Morde
finden wir schon in den ältesten Zeiten bei allen Völkern verbreitet,
und seit der Tätigkeit der berühmten Giftmischerin Medea hat es
liis in die neueste Zeit nicht an Beispielen von Giftmischerei, besonders
durch Frauen ausgeführt, gefehlt.
Die rationelle Behandlung der Vergiftung, d. h. d ie B e s e itig
u n g d e r K r a n k h e its e r s c h e in u n g e n n a ch d en R eg e ln d e r
W is s e n s c h a f t, i s t A u fg ab e des A rz te s. Lediglich dieser kann
nach Beobachtung der Vergiftungserscheinungen, nach Feststellung des
Grades der Vergiftung und nach genauer Untersuchung des Kranken,
beurteilen, welche weitere Behandlung Platz zu greifen hat, und welche