
Die s c h a r f - i ia rk o t is c h e u G ifte vereinigen mehr oder weniger
die giftigen Eigenschaften der beiden vorgenannten Gruppen. Hierhin
gehören die Gifte der Eibe (Taxus), der Eisenhnt-(Aconitum-) Arten,
der Herbstzeitlose (Colchicum autumnale), des Stechapfels (Datura
stramonium), des Tabaks (Niootiana tabacum u. a.), der Fingerhut-
(Digitalis-) Arten, des giftigen Schierlings (Cicuta virosa), der Hundspetersilie
(Aethusa cynapium), des Oleanders (Nerium), der Nachtschatten(
Solanum-) Arten, der Wasserlobelie (Lobelia Dortmanna) u.a.
Nicht aus dem Auge zu lassen ist jedoch bei dieser Einteilung, daß
sie die Gifte nur betrachtet nach der äußerlich sich ähnlich zeigenden
Wirkung auf den menschlichen Körper, während zweifelsohne jedes
Gift, seiner chemischen Konstitution gemäß, seine eigene, wenn auch
für uns noch nicht klar erkennbare spezifische Wirkung ausübt.
Manche Gifte, besonders die flüchtigen, können durch Erhitzen,
Kochen, Trocknen u. dgl. aus den betreffenden Pflanzenteilen entfernt
werden. Diese verlieren dadurch ihre Giftigkeit, und manche stärkehaltige
(z. B. die Knollen des Aronsstabs, der Kartoffel ii. a.) können
dann als Nahrungsmittel dienen.
Betrachten wir die in den P fla n z e n e n th a l te n e n G ifte vom
r em c h em is c h e n S ta n d p u n k te , so finden wir manche, deren
chemische Konstitution noch nicht über jeden Zweifel sichergestellt
ist. Hierhin gehören z. B. die Bestandteile des Sadebaumöls, die
phenolartige Giftsubstanz der Sumach-(Rhus-) Arten : das Toxicodendrol.
Auch die scharfen Stoffe mancher Milchsäfte, z. B. der Wolfsmilch-
(Euphorbia-) Arten, der Lattich- (Lactuca-) Arten u. a. sind hinsichtlich
ihrer giftig wirkenden Bestandteile gleichfalls noch wenig durchforscht;
nocli weniger wissen wir über die unter dem Gesamtnamen „T o x a lb u -
m in e “ zusammengefaßten sehr gefährlichen Gifte.
Die m e is te n d e r in u n s e r e n e in h e im is c h e n P f la n z e n v o rk
om m en d en G ifte g e h ö re n c h em is c h zu den b e id e n um f a n g r
e ic h e n G ru p p e n d e r Alkaloide u n d Glykoside. Da diese beiden
Bezeichnungen bei den Giften der einzelnen Gewächse häufig wiederkehren,
so dürfte eine allgemeine Charakteristik dieser beiden Gruppen
hier am Platze sein.
Alkaloide nennt man Erzeugnisse des Lebensprozesses gewisser
Pflanzen mit ausgesprochen basischen Eigenschaften. Sie enthalten
alle Stickstoff bei sonstiger großer Verschiedenheit im molekularen
Aufbau. Man unterscheidet s a n e r s to f f f r e ie und s a u e r s to f f h a lt ig e
S tic k s to f fb a s e n .
Die Alkaloide kommen gewöhnlich in der Pflanze nicht im freien
Zustande, sondern gebunden an weit verbreitete organische Säuren
(Apfel-, üxal-, Gerbsäure u. a.), zuweilen auch an spezielle Säuren
(Aconitin an Aconitsäure, Veratrin an Veratrumsäure u. a.) vor.
Fast alle Alkaloide sind, rein dargestellt, farblos und entweder
(die sauerstoffhaltigen) feste, kristallisierende oder amorphe Stoffe oder
(die sauerstofffreien) leicht und unzersetzt flüchtige Flüssigkeiten. Sie
besitzen einen brennenden, bitteren Geschmack. Die spezifisch physiologischen,
in den meisten Fällen sehr charakteristischen Wirkungen
der giftigen Alkaloide lassen sich zurzeit chemisch noch nicht erklären.
Über die E n ts te h u n g d e r A lk a lo id e in den P fla n z e n u n d
d ie B e d e u tu n g in d e r e n L e b e n s p ro z e s s e wissen wir zurzeit nichts
Bestimmtes; dieselben sind, entsprechend der Verschiedenheit ihres
Aufbaues, auch wohl nicht bei allen Pflanzen die gleichen. Die früher
häufig geäußerte Ansicht, die Alkaloide spielten eine Rolle als Reservestoffe,
ist wohl nicht mehr aufrecht zu halten. Allgemeine Erzeugnisse
des Stoffwechsels der Pflanze sind die Alkaloide nicht; denn sie
bilden sich nur in bestimmten Pflanzen, sind also nur charakteristisch
für den Stoffwechsel der betreffenden. Zweifelsohne steht ihre Bildung
in irgend einer Beziehung zum Eiweißstoffwechsel; vielleicht sind es
Umwandlungsprodukte, die durch den Zerfall zusammengesetzter stickstoffhaltiger
Elemente, etwa der Eiweißsubstanzen, entstehen. Ob
äußere Einflüsse und welche im einzelnen Falle die Bildung des betreffenden
Alkaloides in der Pflanze veranlassen, ist gleichfalls noch
unerforscht; doch ist erwiesen, daß Klima und Standort der Pflanze
in vielen Fällen den Alkaloidgehalt der Pflanze beeinflussen. Tatsache
ist, daß die wildwachsenden Individuen im allgemeinen alkaloidreicher,
bei den Giftpflanzen also giftiger sind als die kultivierten.
Dies ist z. B. erwiesen für die Tollkirsche (Atropa), den Stechapfel
(Datura), den Gefleckten Schierling (Conium), den Eisenhnt (Aconitum),
den Rittersporn (Delphinium); bei den Cytisusarten sollen
jedoch die kultivierten Exemplare alkaloidreicher sein als die wildwachsenden.
Die Ansammlung der Alkaloide kann in allen Teilen der Pflanze
erfolgen; in vielen F^ällen ist kein Organ der betreffenden Pflanze
alkaloidfrei, z. B. hei der Tollkirsche (Atropa), andererseits gibt es
Pflanzen, bei denen der Alkaloidgehalt auf bestimmte Organe beschränkt
und oft nur in ganz bestimmten Teilen der letzteren nachweisbar ist.
So sind z. B. die Alkaloide der Frucht von Conium maculatum nur
in der Fruchtschale, diejenigen der Frucht von Colchicum nur in der