III. Theil.
Die Temperaturverhältnisse des Weissen Sees
bei Urbeis.
Messungen der Tiefentemperaturen von Binnenseen, welche durch
einen längeren Zeitraum systematisch fortgesetzt sind, besitzen wir
noch in sehr geringer Zahl. Nur zwei Seen sind bisher nach dieser
Richtung hin wirklich gründlich durchforscht worden, der Thuner
See in den Jahren 1848 und 1849 von den Herrn F is c h e r -O o s t e r
und B r u n n e r (Mém. de la Soc. de Physique de Genève VII) und der
Genfer See von Professor F o r e l in den Jahren 1879 und 1880 (Archives
des sciences physiques et naturelles sér. 3 t. III). Beide Seen
besitzen im wesentlichen denselben Charakter ; sie sind Thalseen von
erheblicher Ausdehnung und Tiefe. Auch die klimatischen Verhältnisse
beider sind nicht wesentlich verschieden. Es ist daher sehr
begreiflich, dass auch ihre Temperaturverhältnisse grosse Ueberein-
stimmung zeigen. Eine solche tritt denn auch aus den beiden angeführten
Arbeiten sehr deutlich hervor; die sich ergebenden Differenzen
dürften wohl im wesentlichen auf die Vervollkommnung der
üntersuchungsmethode und der Instrumente, welche F o r e l anwandte,
zurückzuführen sein.
Dagegen dürften die Temperaturverhältnisse der Gebirgsseen,
welche weder an Flächenausdehnung noch an Tiefe mit jenen grossen
Seen sich messen und ausserdem unter sehr wesentlich verschiedenen
klimatischen Bedingungen existiren, nicht unerhebliche Abweichungen
von denen der Thalseen zeigen. Auch über die Temperaturen
von Gebirgsseen besitzen wir eine ganze Anzahl höchst werthvoller
Untersuchungen von Simony und in neuerer Zeit von G e is té e c k .
Es fehlte aber bis in die jüngste Zeit an Arbeiten, welche den Temperaturgang
in allen Tiefen eines Gebirgssees während eines Jahres vollständig
zur Darstellung bringen. Dass wir erst nach Abschluss unserer
Untersuchungen am Weissen See Professor E. R i c h t e r ’s Studien über
die Temperaturen der Alpenseen erhielten, ist schon hervorgehoben.
Von September 1889 bis zum Mai 1891 haben wir an dem
Weissen See bei Urbeis in den Hochvogesen eine erhebliche Anzahl
von Temperaturmessungen vorgenommen, deren Ergebnisse wir im
Folgenden zur allgemeinen Kenntniss bringen. Dass unter den ziemlich
zahlreichen Seen der Vogesen unsere Wahl gerade auf diesen
fiel, beruht zunächst auf dem zufälligen Umstand, dass auf ihm ein
für solche Untersuchungen brauchbarer Kahn uns zur Verfügung stand,
und in seiner unmittelbaren Nähe sich ein Hotel befindet, in welchem
wir unsere Messinstrumente und Seile aufbewahren und ohne grosse
Mühe zum See herabschaffen konnten. Es bot aber auch gerade
der Weisse See in doppelter Beziehung ein besonderes Interesse dar.
Er ist einmal der höchstgelegene und ferner der tiefste der Vogesenseen.
Er liegt in einer absoluten Höhe von 1054,5 m ; seine tiefste
Stelle besitzt eine Tiefe von durchschnittlich 60 m. Auch ist von
dem See eine sehr genaue Tiefenkarte vorhanden (siehe Taf. II).
Als Messinstrument benutzten wir ein NEGRETTi-ZAMBRA’s c h e s
Tiefseethermometer , • wie es auch von F o r e l und R i c h t e r bei ihren
Untersuchungen auf dem Genfer und Wörther See angewandt und
als sehr zuverlässig befunden worden is t; dasselbe war vor den Untersuchungen
mit einem dem meteorologischen Landesdienst von Eisass-
Lothringen gehörigen Normalthermometer verglichen worden.
Unsere erste Aufgabe war, die Gestalt der Isothermenflächen
festzustellen. Zu diesem Zweck wurde in den Tagen vom 3. bis 6.
September 1889 eine genaue Untersuchung der Temperaturvertheilung
im ganzen See auf folgende Weise vorgenommen. Wir spannten an
drei Stellen Seile über den See, das erste über die flache Nordbucht,
das zweite über das Mittelbecken, das dritte über das tiefere Südbecken.
Längs der so festgelegten Profile wurden in bestimmten
Abständen Temperaturmessungen vorgenommen. Die Beobachtungspunkte
längs des Profils I liegen sämmtlich je 20 m von einander
entfernt. Auch längs des Profils II wurde anfangs in denselben Abständen
gemessen bis zu einer Entfernung von 220 m vom Westufer
des Sees, wo etwa die grösste Tiefe des mittleren Beckens liegt,
dann aber nur noch eine Beobachtungsreihe hinzugefügt an einem
Punkte, der 310 m vom West-, 75 m vom Ostufer des Sees entfernt
ist. Die Resultate dieser Messungen zeigten, dass so nahe bei einander
liegende Beobachtungsreihen für das Profil III nicht mehr nöthig
seien. Längs dieses wurden daher nur noch an 6 Punkten Messungen
vorgenommen, die vom Ostufer des Sees bezüglich die Abstände
50, 60, 120, 270, 350 und 400 m hatten. Gemessen wurde
an allen Punkten von der Oberfläche bis zum Grunde, im allgemeinen
in Tiefenabständen von 5 zu 5 m, jedoch wurden in den Tiefen, wo
die Temperaturen sich rasch änderten, noch einige Messungen eingeschoben,
während in den grösseren Tiefen, wo die Temperatur eine
sehr langsame Abnahme zeigte, nur in Abständen von 10 zu 10 m
eine Messung vorgenommen wurde. Die Ergebnisse sämmtlicher Messungen
sind in der Tabelle I (s. folg. Seite) niedergelegt.
Die Tabelle zeigt, dass in den Tiefen, wo die Temperaturen
rasch abnehmen, also zwischen 17 und 22 m , die Temperaturvertheilung
eine sehr unregelmässige ist. Innerhalb dieser Zone wichen