Gletschers. Die Wand, die senkrecht in den See einfällt, zeigt die
Streifen in höchster Vollendung, während der darüber liegende mehr
horizontale Theil des Felsbuckels vollkommen von jeglicher glacialer
Einwirkung frei ist. Der Kessel des Sees ist also ebenfalls in anstehenden
Fels eingegraben und erst später mit einer Schicht von
Anschwemmungsprodukten überdeckt worden. Der eigentliche Rand
des Beckens ist besonders am östlichen Ufer mit einem regellosen
Trümmerwerk von Grauwacke übersät, einem Produkt der anstossen-
den Berglehnen. Des weiteren ist der Boden mit vermoderten
Tannenstämmen bedeckt, die dem umgebenden Walde entstammen.
Der Sewen-See.
Wir kommen jetzt zur Schilderung eines Seebeckens, dessen
Charakter und Bildung eine ganz andere ist, als aller verher geschilderten
Seen. Während wir diese als eigentliche Hochgebirgsseen
bezeichnen können, müssen wir in dem Sewe n - See den Typus
eines eigentlichen Thalsees1 erblicken, d. h. eines Sees, der nicht
am Schluss eines Thaies gelegen ist, sondern in der Thalsohle sich
ausbreitet, ohne von den jähen Abstürzen der -das Thal abschliessenden
Felsen umgrenzt zu sein.
Der Sewen-See liegt in dem breiten Dollerthal. Hat man von
Masmünster ausgehend, nach Passiren von Kirchberg und Dollern,
Sewen erreicht, so erblickt man nach Verlassen des Dorfes thalauf-
wärts eine breite Thalsohle, die einen vollständig ebenen Anblick
gewährt, da sie so gut wie gar nicht ansteigt. Ueberall mit grünen
Wiesen bekleidet macht dieselbe durchaus den Eindruck eines alten
Seebodens; und thatsächlich finden wir in der Mitte dieses Seegrundes,
wie er noch bei der Bevölkerung genannt wird, den ruhigen
Spiegel des Sewen-Sees liegen, dessen Vorhandensein erst in unmittelbarer
Nähe dem Wanderer ins Auge fällt.
Der See, in einer Höhe von 500 m gelegen, besitzt in seinen
gewöhnlichen Umrissen eine Länge von 325 m und eine Breite von
175 m. Derselbe hat eine schlauchartige Gestalt. Die Längsachse,
mit dem Verlaufe des Dollerthales übereinstimmend, hat eine westöstliche
Richtung mit geringer Abweichung nach Süden. Die Ufer
des Sees sind keine scharf bestimmten, da bei der Ebenheit des umgebenden
Terrains schon eine geringe Wassermasse genügt, um ein
Üeberfluthen der Thalsohle zu Stande zu bringen. Besonders im Frühjahr,
wenn die Wassermengen, die das im Hintergründe gelegene,
vom Elsäss'er Belchen begrenzte Alfeldbecken liefert, sich in das
Thal stürzten, verwandelt sich die ganze Thalsohle, der Seegrund,
in einen grossen See, und man bekommt so eine Vorstellung von
den Dimensionen, die dieser Thalsee einst in früherer Zeit gehabt
haben muss. Denn, wie schon erwähnt, ist der Sewen-See in seiner
1 Auf die Auffassung D e e c k e ’s (Glacialerscheinungen im Dollerthal. Mitth.
d. Commission f. d. Geol. Landesuntersuchung von Elsass-Lothringen II. 1. 1889)
werden wir im zweiten Theil zu sprechen kommen.
heutigen Gestalt nur der Rest eines früheren ausgedehnteren Thalsees,
der unmittelbar bei Sewen beginnend, sich thalaufwärts in einer
Länge von 2 km erstreckte und eine Breite bis 500 m erreichte.
In seinen damaligen Dimensionen kam er dem jetzt noch existiren-
den grössten aller Thalseen auf dem westlichen Hange der Vogesen
gleich, dem See von Gerardmer, der bei einer Länge von 2000 m
eine Breite von 800 m aufweist. Heute liegt der grösste Theil des
Seebodens trocken und ist mit grünen Wiesen bedeckt, der schwankende
moorige Boden aber belehrt den Wanderer, dass auch hier
einst die Wasser des Sees flutheten, denn überall finden wir unter
der grünen Decke der Wiese das schwarze Moor verborgen, in welches
man Stangen metertief herabstossen kann, ohne den festen
Boden zu erreichen.
Das heutige Seebecken hat ein Areal von etwas über 4 ha,
während der frühere See eine Ausdehnung von 56 ha besass; er
ist also bis auf den 14. Theil seines Areals zurückgegangen. Die
Tiefen des Sees, der von uns genau ausgelothet wurde, sind keine
bedeutenden Die grösste Tiefe, die wir massen, liegt ziemlich genau
in der Mitte des heutigen Beckens und beträgt 12 m. Die
Tiefen nehmen vom Rande nach der Mitte ziemlich schnell zu.
Ueberall am Rande finden wir schon in einer Entfernung von circa
30 m die Tiefe von 8 m vor, so dass der Rand des noch vorhandenen
Beckens ziemlich steil einfällt. Dieses hat seinen Grund darin,
dass die Vermoorung des Sees auch heute noch fortdauert und ziemlich
gleichmässig an allen Ufertheilen vorrückt.
Ein eigentlicher Abschlussdamm ist natürlich unter diesen Umständen
nicht vorhanden, sowohl der Zu- als der Abfluss haben sich
tief in das Moor eingegraben. Der See geht allmählich, indem er
sich schlauchartig verjüngt, in den Seebach über. Welcher Art der
Aufdämmung der ursprüngliche Sewen-See seine Entstehung verdankt,
ist heute schwer festzustellen. Unserer Ansicht nach haben
wir es hier mit einem Moränensee zu thun, der in ähnlichen Weise
entstand wie die heute noch bestehenden Thalseen auf der Westseite
der Vogesen, z. B. lac de Gerardmer und lac de Longemer.
Nach dem Thurthal ist zweifellos das Dollerthal dasjenige der östlichen
Vogesenthäler, welches die meisten Spuren der Vergletscherung
zeigt. Besonders im unteren Thale sind zwischen Masmünster und
Kirchberg mehrere Moränen heute noch deutlich zu erkennen. Im
oberen Theile des Thaies kann,die Existenz solcher nicht mehr mit
Sicherheit nachgewiesen werden. Jedoch weisen vielfache Spuren
von geschliffenen Felsen und Rundhöckern auf eine frühere Existenz
von Gletschern hin. Es ist höchst wahrscheinlich, dass eine früher
vorhandene Moräne, die sich bei Sewen quer durch das Thal hinzog,
den See absperrte. Diese Ansicht wird noch mehr durch den
Umstand bekräftigt, dass gerade bei Sewen ein ziemlich bedeutendes
Seitenthal, das Wagenstallbachthal, einmündet. Waren beide Thäler